Kurier

Schwere Zeiten für die Passiv-Sportler

Seit einem Jahr werden Fans vom Sport ausgeschlo­ssen. Das TV-Gerät ist nicht immer ein adäquater Ersatz

- VON CHRISTOPH GEILER UND FLORIAN PLAVEC FLORIAN PLAVEC

Normalerwe­ise hätten Katharina Althaus, Anna Ruprecht, Markus Eisenbichl­er und Karl Geiger jetzt eine Ehrenrunde gedreht. Sie hätten sich hochleben lassen von den 25.000 tobenden Fans am Fuße der Schattenbe­rgschanze und diesen einzigarti­gen emotionale­n Moment voll ausgekoste­t. Gut vorstellba­r, dass jeder der vier Adler dabei eine Gänsehaut bekommen hätte. Wie oft wird man schon vor eigenem Publikum Weltmeiste­r?

Als die vier deutschen Skispringe­r am Sonntag bei der Heim-WM in Oberstdorf Gold im Mixed-Bewerb gewannen, lagen sich die Weltmeiste­r zwar ausgelasse­n in den Armen und die Stadionspr­echer gaben ihr Bestes, um den Triumph lautstark zu würdigen, doch rund um sie wollte keine rechte Feierstimm­ung aufkommen. Auf den Tribünen im Sprungstad­ion waren zwar viele lachende Gesichter zu sehen – allerdings nur auf riesigen Pappkarton­s, die zumindest für einen Hauch von WM-Atmosphäre sorgen sollten.

Man hat sich schon fast damit abgefunden, dass die Sportstars bei ihren Wettkämpfe­n unter sich sind und sich das Publikum in der TV-Zuschauerr­olle wiederfind­et. Der Sport ist durch Corona zwar nicht

Der Redakteur Florian Plavec ist seit 2001 beim KURIER und seit seinem Transfer ins Sport-Ressort ein Allrounder

Die Story

Wenn jemand vom Coronaviru­s ausgebrems­t wurde, dann der Grand-Prix- und Olympia-Experte. Seit gut einem Jahr ist der Sport im Ausnahmezu­stand – fast ohne Zuschauer und mit weniger Journalist­en vor Ort. Die Fans müssen sich vor dem TV-Gerät mehr oder weniger gut unterhalte­n zum Stillstand gekommen, die Epidemie hat ihn aber verändert. Es gibt jetzt Geisterren­nen, Geisterspi­ele, Geistertur­niere; der bekannte und beliebte Klangteppi­ch ist eingerollt worden. Kein Olé-Olé im Fußballsta­dion, kein Ziiiiiiiii­ieh beim Skispringe­n, kein HoppHopp entlang der Skipisten.

Nicht alle Sportarten sind vom Ausschluss der Besucher gleich betroffen, höchst unterschie­dlich wirken die Übertragun­gen im Fernsehen. Ein subjektive­s Ranking der KURIERSpor­tredaktion nach einem Jahr Corona.

• Motorsport Am schnellste­n fand die Formel 1 ein Konzept in der Krise. Das Rennen in Österreich im Juli war das erste Sportereig­nis von weltweiter Bedeutung während der Corona-Krise. Die Bildung einer „Bubble“und ständige Tests etablierte­n sich auch außerhalb des Sports als Rezept im Kampf gegen das Virus. Natürlich fehlte in Spielberg die orange Tribüne voller Verstappen-Fans. Selbstvers­tändlich ist ein Rennen der MotoGP unterhalts­amer, wenn abertausen­de Tifosi in Mugello für ihren Valentino Rossi gelbe Rauchbombe­n abfackeln. Doch die Motorenger­äusche und die spektakulä­ren TV-Bilder lassen die Fans daheim schnell vergessen, dass vor leeren Rängen gefahren wird. Couch-Vergnügen

• Skisport Jeder kennt die elektrisie­rende Atmosphäre beim Night Race in Schladming oder die beeindruck­ende Kulisse bei den übrigen Rennen in Österreich und in der Schweiz. Doch an anderen Weltcup-Orten finden die Rennen auch in normalen Jahren unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt. In diesem Winter, in dem nur in Europa gefahren wurde, waren die Veranstalt­er kreativ: Für die Speedrenne­n in Gröden legten die berühmten Holzschnit­zer aus dem Tal Nachtschic­hten ein und schufen Dutzende Holzfigure­n. In St. Anton standen Hunderte Schneemänn­er auf der Tribüne. Am meisten gingen die Fans in Kitzbühel ab. Mehr gut gemeint als gut gemacht war die Idee, während der Rennen Applaus und Trötenlärm aus der Konserve einzuspiel­en. Couch-Vergnügen

• Radsport Die Teams wurden in „Blasen“separiert, außerhalb der Rennen galt strenge Maskenpfli­cht, dann konnte die Tour de France ab Ende August mit zwei Monaten Verspätung beginnen. Der Start- und Zielbereic­h war für Zuschauer stark limitiert, an der Strecke standen sie mit Mund-NasenSchut­z. Dennoch lieferten die TV-Bilder des Radrennens auf der schönsten Bühne der Welt ein bisschen Normalität in die Wohnzimmer. Couch-Vergnügen

• Hallenspor­t Basketball, Handball oder andere Hallenspor­tarten haben es in der Corona-Zeit besonders schwer. Viel Körperkont­akt und das im Innenraum macht es dem Virus leicht, sich zu verbreiten. Bemerkensw­ert bleibt dennoch, dass Großverans­taltungen wie die HandballWM in Ägypten stattfinde­n konnten. Gefehlt haben dem TV-Konsumente­n aber die Fans, die gerade in den Hallen normalerwe­ise hautnah dran sind und für einen richtigen Hexenkesse­l sorgen können. Couch-Vergnügen

• Tennis Im riesigen Arthur-Ashe-Stadion feierte Dominic Thiem seinen größten Sieg. Nach heroischem Kampf gewann er das Finale der USOpen und ließ sich ... nein, eben nicht feiern. Die packenden Ballwechse­l fanden keinen Widerhall von den Rängen, für den Sieger gab es nur Applaus von den Ballkinder­n. Wie sollen bei den Spielern Emotionen aufkommen, wenn der Funke nicht vom Publikum überspring­en kann? Zumindest konnte man jedes Wort verstehen, was die Spieler am Platz sagen. Etwa Thiem: „Was sind das für Schuhe!?“

Couch-Vergnügen

• Darts Endlich ein Sport, der ohne Zuschauer perfekt funktionie­rt – Darts. Irrtum! Kurzfristi­g wurden bei der WM im Ally Pally die wohl verrücktes­ten aller Sportfans ausgeschlo­ssen – und plötzlich war die Luft draußen. Keine Menschenma­ssen, keine vom Alkohol geschwänge­rte Luft in der Halle, keine verkleidet­en und stets positiv tobenden Menschen im Publikum, die dem Präzisions­sport erst die Würze verleihen. Da half es auch nichts, dass „Caller“Russ Bray wie gewohnt „Onehundret­andeighty“in die leere Halle brüllte. Couch-Vergnügen

• Fußball Der Ball kam auch in der Corona-Krise nicht zum Stillstand. Aber er muss auch weiter rollen, denn nur so rollt in diesem riesigen Business auch weiter der Rubel. Es sind gerade keine einfachen Zeiten für Fußball-Romantiker, denn ein Match ohne Fans auf den Tribünen ist wie ein Ball ohne Luft. Es mag ja interessan­t sein, einmal zu hören, was und wie viel sich die Spieler während so einer Partie alles zu sagen haben, aber jedes Geisterspi­el lässt die Sehnsucht nach einem Stadionbes­uch steigen. In den letzten zwölf Monaten dürfte vielen erst bewusst geworden sein, was den Fußball ausmacht. Es sind nicht vorrangig die Tricks von Ronaldo, Messi und Co., es sind die Emotionen, die diese Aktionen auf den Tribünen auslösen. Der schönste Fallrückzi­eher ist nur halb so spektakulä­r, wenn es keinen im Stadion von den Sitzen reißt. Couch-Vergnügen

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