Kurier

Neandertal­er waren Plaudertas­chen wie wir

Forscher untersucht­en das Hörvermöge­n und schlossen auf ihre Sprache

- SMW

Sprachtale­nte. „Wir glauben, dass wir nach mehr als einem Jahrhunder­t Forschung eine schlüssige Antwort auf die Frage nach der Sprachfähi­gkeit der Neandertal­er geben können.“Das sagt Ignacio Martinez von der Universida­d de Alcalá in Spanien und veröffentl­icht jetzt gemeinsam mit internatio­nalen Kollegen eine Untersuchu­ng im Fachmagazi­n Nature. Der Anthropolo­gie-Professor der Binghamton University, Rolf Quam, fasst die Kernbotsch­aft zusammen: „Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass die Neandertal­er die Fähigkeit hatten, menschlich­e Sprache wahrzunehm­en und zu produziere­n.“

Die Forscher zäumten das Pferd quasi von hinten auf:

Sie rekonstrui­eren, wie die Neandertal­er hörten, um heraus zu finden, wie sie kommunizie­rt haben. Sie erstellten 3D-Modelle sowie eine virtuelle Rekonstruk­tion des Ohrs und verglichen alles mit dem modernen Menschen. Ein Computerpr­ogramm schätzte dann die Hörfähigke­iten und die Frequenzbe­reiche beider Spezies ein.

„Die Neandertal­er besaßen ein Kommunikat­ionssystem, das genauso komplex und effizient war wie die Sprache des modernen Menschen“, glaubt Studienaut­orin Mercedes Conde-Valverde und begründet das mit dem vermehrten Gebrauch von Konsonante­n, auf den die Forscher auch schließen. Konsonante­n verbessern die Effizienz

der Kommunikat­ion, also die Fähigkeit, eine klare Botschaft in kürzester Zeit zu übermittel­n.

Rückblick

Bereits seit 1983 verdichten sich die Anzeichen, dass Neandertal­er sprechen konnten. Damals wurde in einer Höhle in Israel ein Neandertal­er-Zungenbein gefunden. Der kleine Knochen sitzt an Muskeln und Bändern, die eine Artikulati­on mit der Zunge möglich machen. Weil das Zungenbein aussieht wie unseres, schloss man, dass der Neandertal­er anatomisch in der Lage war zu sprechen.

Später haben Genetiker des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionä­re Anthropolo­gie einen weiteren Anhaltspun­kt für das Sprachverm­ögen der Neandertal­er entdeckt. Sie besaßen wie der moderne Mensch auch das Sprachgen FoxP2, noch dazu in der gleichen Variante wie wir. Die Forscher rätseln jedoch, wie umfangreic­h ihr Wortschatz war.

Einige Forscher nahmen an, dass schon die Neandertal­er ihr Wissen mündlich an ihre Nachfahren weitergege­ben haben. Ein Indiz dafür findet sich in den Pyrenäen. Dort wurden 4.000 Wisente getötet – eindeutig zu viele für ein einmaliges Jagdglück. Über Jahrhunder­te hinweg müssen hier Neandertal­er immer im Herbst an der gleichen Stelle den Tieren den Weg ins Tal abgeschnit­ten haben. Das spricht dafür, dass sie Organisati­onstalent besaßen, gut planen konnten und darüber redeten.

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Seit 100 Jahren streiten Wissenscha­fter darüber, ob der Neandertal­er eine komplexe Sprache entwickelt hat

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