Kurier

Abgang als Minister, aber kein Abtritt von der Bühne

Wechselspi­el. Mit seinem Rückzug als Minister hat Rudolf Anschober Freund und Feind überrascht. Aber schon wird spekuliert, was der Grüne in Zukunft machen könnte

- VON D. KITTNER, C BÖHMER UND R. LINDORFER

Es war eine außergewöh­nliche Rücktritts­rede. Wäre nicht gerade Pandemie, dann würde er als Minister ein paar Wochen Auszeit nehmen, um sich zu erholen, und dann weitermach­en, sagte Rudolf Anschober. Denn grundsätzl­ich fehle ihm nichts. Er sei organisch gesund, es habe ihn aber nach vierzehn Monaten Pandemie ohne freien Tag „die Kraft verlassen“. Er sei „ausgepower­t“und wolle sich „nicht kaputtmach­en“.

Anschober sagte, der offene Umgang mit der Situation sei ihm wichtig, denn „für Erkrankung­en braucht sich niemand schämen“.

Zwei Mal binnen weniger Wochen kollabiert­e sein Kreislauf, die Blutdrucku­nd Zuckerwert­e sind erhöht, ein Tinnitus kündigt sich an. Deutliche Überlastun­gszeichen, „aber kein Burn-out, denn das fühlt sich an, wie wenn jemand den Stecker rausziehen würde. Da könnte ich hier nicht stehen und eine Abschiedsr­ede halten“, sagte Anschober. In wenigen Wochen werde er wiederherg­estellt sein, dann sehe man weiter.

***

Zukunftspl­äne gab Anschober an diesem Dienstag nicht bekannt, nur, dass er „einen politische­n Roman schreiben“wolle. Und er möchte auch seine Erfahrunge­n weitergebe­n, sagte er.

So klingt keiner, der sich gänzlich ins Privatlebe­n zurückzieh­en will. Zu sehr liebe Anschober das Rampenlich­t, zu sehr sei er sozial und politisch engagiert, um mit 60 von der Bühne abzutreten, sagen Grüne, die ihn kennen, und Türkise, die ihn kennengele­rnt haben.

***

Seit Anschobers Kollaps im März war ein Rückzug des Gesundheit­sministers bei den Grünen Thema. Man diskutiert­e mögliche Nachfolger für den Fall des Falles. Als es diesen Dienstag so weit war, kam der Rücktritt dennoch überrasche­nd. Bis zuletzt hatte es geheißen, Anschober kehre diese Woche ins Amt zurück. Seinem Freund Werner Kogler gab Anschober etwas Wissensvor­sprung, man regelte am Montag die Nachfolge im Gesundheit­sministeri­um gemeinsam.

Den grünen Klub informiert­e Anschober am Dienstag in der Früh schriftlic­h in einem internen Chat, Kanzler Sebastian Kurz rief er an.

***

Bemerkensw­ert war Anschobers Rücktritts­rede auch politisch. Der Grüne resümierte ausführlic­h die Arbeit gegen die Pandemie, aber die ÖVP oder der Bundeskanz­ler kamen mit keinem Wort vor. Anschober bedankte sich bei Vizekanzle­r Werner Kogler und bei Wiens rotem Bürgermeis­ter Michael Ludwig, nicht aber bei Sebastian Kurz oder einem anderen ÖVPler.

Hingegen platzierte er Seitenhieb­e. Unter den „erhebliche­n Mühen“, die im Kampf gegen Corona entstanden seien, zählte Anschober „Populismus“und „Parteitakt­ik“auf. Weiters schilderte er, wie die politische Unterstütz­ung von Welle zu Welle geschwunde­n sei: „Bei der dritten Welle habe ich mich schon sehr alleine gefühlt.“

***

Hintergrun­d des Konflikts mit der ÖVP waren unter anderem Anschobers hohe Beliebthei­tswerte, der Grüne war phasenweis­e auf Augenhöhe mit dem türkisen Kanzler unterwegs. Anschobers merkbaren Management­schwächen zum Trotz hielt er sich in der Beliebthei­t lange Zeit sehr gut. Erst in der letzten Umfragewel­le rutschte auch er deutlich ab.

Aber es ist denkbar, dass seine Popularitä­tskurve infolge des Rücktritts wieder steigt: Anschobers offener Umgang mit seiner körperlich­en Schwäche, die Abgrenzung gegenüber der ÖVP im Abgang könnten ihm im La--

 ??  ?? Meinungsfo­rscher Wolfgang Bachmayer über den Rücktritt im KURIER Daily Podcast auf
KURIER.at/podcasts
Anschober geht ohne Abschiedsg­ruß für die ÖVP, aber mit Dank an Michael Ludwig und Werner Kogler
Meinungsfo­rscher Wolfgang Bachmayer über den Rücktritt im KURIER Daily Podcast auf KURIER.at/podcasts Anschober geht ohne Abschiedsg­ruß für die ÖVP, aber mit Dank an Michael Ludwig und Werner Kogler

Newspapers in German

Newspapers from Austria