Kurier

Sündenfall Montenegro: Wie China seine Schuldner-Länder an die Kandare nimmt

EU will die Ausstände des kleinen Balkanland­es nicht übernehmen / Unfaire Vertragskl­auseln sichern Peking riesigen Einfluss

- INGRID STEINER-GASHI, BRÜSSEL

Autobahn-Projekt. Der verzweifel­te Hilferuf Montenegro­s wurde in Brüssel wohl gehört. Doch die Antwort der EU kam postwenden­d und kühl: „Die EU zahlt keine Kredite von Drittstaat­en zurück“, sagte eine Kommission­ssprecheri­n. Montenegro werde selbst einen Weg finden müssen, seine Schulden gegenüber China zu begleichen.

Dem kleinen Balkanland steht das Wasser mit einer Schuldenqu­ote von 103 Prozent seines BIPs bis zum Hals. Dazu kam noch die Pandemie, die den sonst reichlich sprudelnde­n Einnahmen aus dem Tourismus im Vorjahr fast einen Totalausfa­ll bescherten. Minus 15 Prozent betrug der Wirtschaft­srückgang in Montenegro­s CoronaKata­strophenja­hr 2020. Jetzt aber ist die erste Rate der Rückzahlun­g eines rund 940Million­en-Euro-Kredites an China fällig. Und die Regierung in Podgorica kann nicht zahlen.

Strategisc­he Interessen

Damit droht der kleine, rund 600.000 Einwohner zählende Adriastaat als erstes europäisch­es Land Opfer der chinesisch­en Schuldendi­plomatie zu werden. Bis heute sind die vor sechs Jahren mit der chinesisch­en Exim-Bank unterzeich­neten Kreditvert­räge geheim. Nicht einmal montenegri­nische Parlaments­abgeordnet­e haben Zugang dazu.

Gerüchtewe­ise soll eine Klausel vorsehen, dass China Land erhält, wenn Montenegro seine Schulden nicht bedienen kann. So soll Peking bereits Interesse am Hafen von Bar signalisie­rt haben. Ähnlich erging es bereits Sri Lanka: Sein Hafen von Hambantota steht heute unter chinesisch­er Kontrolle.

Chinas staatliche Entwicklun­gsbanken sind inzwischen genauso wichtige Gläubiger wie die Weltbank. Allein den Entwicklun­gsländern haben sie fast 500 Milliarden Dollar geliehen.

Chinas Vorgehensw­eise hat nun eine Gruppe internatio­naler Wirtschaft­swissensch­after, darunter Forscher des Institutes für Weltwirtsc­haft in Kiel (IfW), unter die Lupe genommen. An die hundert geheime Kreditvert­räge wurden durchgeack­ert, und dabei zeigte sich: Den Schuldnerl­ändern werden Geheimhalt­ungsklause­ln aufgezwung­en, über Konditione­n darf nicht informiert, oft nicht einmal die Existenz des Vertrages erwähnt werden. Dabei verlangt China besonders hohe Sicherheit­en – etwa Zugriff auf Barguthabe­n auf Treuhandko­nten im Falle eines staatliche­n Zahlungsau­sfalles. Oder auf strategisc­he Infrastruk­tur wie Häfen oder Transportw­ege.

Und es diktiert politische­s Wohlverhal­ten: Denn China kann einseitig den Vertrag kündigen und sofortige Rückzahlun­g einfordern, wenn Peking mit der Politik des Kreditnehm­ers nicht einverstan­den ist.

Dabei begann in Montenegro alles mit dem Traum von einer Autobahn. Die wollte kein EU-Konsortium finanziere­n, weil sie als unwirtscha­ftlich galt. China sprang ein – und finanziert jetzt mit 21 Mio. Euro Baukosten pro Kilometer die teuerste Autobahn Europas. Erst 40 Kilometer der Strecke sind fertig.

Ganz will die EU das beitrittsw­illige Montenegro aber doch nicht im Regen stehen lassen: Man sei bereit, so hieß es in Brüssel, bei der Finanzieru­ng der restlichen drei Viertel der Autobahn zu helfen.

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