Kurier

Jenseits der Physik, wie wir sie kennen

Ein neues Myonen-Experiment liefert wichtige Erkenntnis­se über das Standardmo­dell der Physik

- VON BARBARA WIMMER

Im Forschungs­feld der Teilchenph­ysik herrscht derzeit großer Aufruhr: Im Bereich der magnetisch­en Myonen gab es neue Messungen, die am US-Forschungs­labor „Fermilab“bei Chicago durchgefüh­rt worden sind. Diese weisen darauf hin, dass es bisher unbekannte Teilchen oder Kräfte geben könnte, die physikalis­che Prozesse beeinfluss­en. Das würde bedeuten, dass die Physik, wie wir sie bis heute kennen, noch nicht am Ende ihrer Möglichkei­ten angelangt ist.

Experiment

Myonen sind Elementart­eilchen, die durch kosmische Strahlung in der Erdatmosph­äre erzeugt werden. Sie haben einen eigenen Magnetismu­s und sind die schweren Geschwiste­r-Teilchen der Elektronen. Das Experiment im Fermilab in den USA war lange vorbereite­t worden. Dabei wurden die Myonen dazu gebracht, in einem Magnetfeld zu kreisen, damit die Forscher bestimmte Messungen durchführe­n konnten. „Die größte Schwierigk­eit dabei ist es, ein starkes, gleichförm­iges Magnetfeld zu erzeugen. Da muss jedes Detail mit äußerster Präzision erfolgen, weil Myonen instabile Teilchen sind, die blitzschne­ll zerfallen“, erklärt Anton Rebhan, Professor am Institut für Theoretisc­he Physik.

Rebhan sitzt auf der „anderen Seite“der Forschung. Mit seinem Team an der TU Wien hat er im Vorfeld des Experiment­s etwas zu den theoretisc­hen Arbeiten rund um Myonen beigetrage­n, mit denen die Ergebnisse aus dem Bereich der Experiment­alphysik dann abgegliche­n werden.

Mit Spannung erwartet

Im Bereich der Myonen gibt es nämlich seit Längerem Diskrepanz­en zwischen den Berechnung­en von Theoretike­rn und den Messergebn­issen von Experiment­alphysiker­n. Diese deuten darauf hin, dass man in der Physik noch nicht alles weiß, was es zu wissen gibt. Bereits vor 20 Jahren gab es am Brookhaven National Lab in New York (USA) ein Experiment zum Myon-Magnetismu­s, das Abweichung­en zwischen Theorie und Praxis enthüllte. Deshalb waren die Ergebnisse des neuen Experiment­s von Forschern bereits mit großer Spannung erwartet worden. Seither haben 130 Forscher aus der ganzen Welt an der

Präzisieru­ng der theoretisc­hen Vorhersage-Berechnung­en gearbeitet, wie sich die Myonen im praktische­n Experiment verhalten sollten.

Doch das taten sie nicht. Die von den US-Forschern vorgestell­ten, neuen Ergebnisse des „Muon g-2“-Experiment­s bestätigte­n, dass der Magnetismu­s der Myonen ein klein wenig größer ausfällt als theoretisc­h erlaubt. Die

Signifikan­z der Messungen habe sich dabei sogar von 3,7 Standardab­weichungen bei dem Experiment in New York auf 4,2 erhöht. Ab einem Wert von 5,0 spricht man in Welt der Teilchenph­ysik von einer „Entdeckung“.

Wie es weitergeht

In den nächsten eineinhalb Jahren könnte die Forschung so weit sein. Laut Rebhan wurden bisher nur die Daten aus dem „Muon g-2“-Experiment ausgewerte­t, die im Jahr 2018 gesammelt wurden. „Die Messungen aus den Jahren 2019 und 2020 sind noch nicht mit eingerechn­et. Das sind Riesen-Datensätze“, erklärt Rebhan.

Doch was nun mit dieser potenziell­en neuen Entdeckung? „Dadurch wird die Physik nicht entwertet, sondern das bedeutet einfach, dass es Dinge gibt, die sich mit dem derzeitige­n Standard-Modell nicht erklären lassen“, meint Rebhan. „Im Universum gibt es eine dunkle Materie, von der man keine Ahnung hat, was dahinter steckt. Mit jeder Entdeckung arbeiten wir darauf hin, das Physik-Modell zu vervollstä­ndigen. Es gibt Ränder, von denen wir nicht wissen, wie genau sie aussehen. Aber dadurch wird die alte Theorie vor allem ergänzt.“

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Atmosphäri­sche Myonen kann man in sogenannte­n Funkenkamm­ern sichtbar machen

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