Jenseits der Physik, wie wir sie kennen
Ein neues Myonen-Experiment liefert wichtige Erkenntnisse über das Standardmodell der Physik
Im Forschungsfeld der Teilchenphysik herrscht derzeit großer Aufruhr: Im Bereich der magnetischen Myonen gab es neue Messungen, die am US-Forschungslabor „Fermilab“bei Chicago durchgeführt worden sind. Diese weisen darauf hin, dass es bisher unbekannte Teilchen oder Kräfte geben könnte, die physikalische Prozesse beeinflussen. Das würde bedeuten, dass die Physik, wie wir sie bis heute kennen, noch nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt ist.
Experiment
Myonen sind Elementarteilchen, die durch kosmische Strahlung in der Erdatmosphäre erzeugt werden. Sie haben einen eigenen Magnetismus und sind die schweren Geschwister-Teilchen der Elektronen. Das Experiment im Fermilab in den USA war lange vorbereitet worden. Dabei wurden die Myonen dazu gebracht, in einem Magnetfeld zu kreisen, damit die Forscher bestimmte Messungen durchführen konnten. „Die größte Schwierigkeit dabei ist es, ein starkes, gleichförmiges Magnetfeld zu erzeugen. Da muss jedes Detail mit äußerster Präzision erfolgen, weil Myonen instabile Teilchen sind, die blitzschnell zerfallen“, erklärt Anton Rebhan, Professor am Institut für Theoretische Physik.
Rebhan sitzt auf der „anderen Seite“der Forschung. Mit seinem Team an der TU Wien hat er im Vorfeld des Experiments etwas zu den theoretischen Arbeiten rund um Myonen beigetragen, mit denen die Ergebnisse aus dem Bereich der Experimentalphysik dann abgeglichen werden.
Mit Spannung erwartet
Im Bereich der Myonen gibt es nämlich seit Längerem Diskrepanzen zwischen den Berechnungen von Theoretikern und den Messergebnissen von Experimentalphysikern. Diese deuten darauf hin, dass man in der Physik noch nicht alles weiß, was es zu wissen gibt. Bereits vor 20 Jahren gab es am Brookhaven National Lab in New York (USA) ein Experiment zum Myon-Magnetismus, das Abweichungen zwischen Theorie und Praxis enthüllte. Deshalb waren die Ergebnisse des neuen Experiments von Forschern bereits mit großer Spannung erwartet worden. Seither haben 130 Forscher aus der ganzen Welt an der
Präzisierung der theoretischen Vorhersage-Berechnungen gearbeitet, wie sich die Myonen im praktischen Experiment verhalten sollten.
Doch das taten sie nicht. Die von den US-Forschern vorgestellten, neuen Ergebnisse des „Muon g-2“-Experiments bestätigten, dass der Magnetismus der Myonen ein klein wenig größer ausfällt als theoretisch erlaubt. Die
Signifikanz der Messungen habe sich dabei sogar von 3,7 Standardabweichungen bei dem Experiment in New York auf 4,2 erhöht. Ab einem Wert von 5,0 spricht man in Welt der Teilchenphysik von einer „Entdeckung“.
Wie es weitergeht
In den nächsten eineinhalb Jahren könnte die Forschung so weit sein. Laut Rebhan wurden bisher nur die Daten aus dem „Muon g-2“-Experiment ausgewertet, die im Jahr 2018 gesammelt wurden. „Die Messungen aus den Jahren 2019 und 2020 sind noch nicht mit eingerechnet. Das sind Riesen-Datensätze“, erklärt Rebhan.
Doch was nun mit dieser potenziellen neuen Entdeckung? „Dadurch wird die Physik nicht entwertet, sondern das bedeutet einfach, dass es Dinge gibt, die sich mit dem derzeitigen Standard-Modell nicht erklären lassen“, meint Rebhan. „Im Universum gibt es eine dunkle Materie, von der man keine Ahnung hat, was dahinter steckt. Mit jeder Entdeckung arbeiten wir darauf hin, das Physik-Modell zu vervollständigen. Es gibt Ränder, von denen wir nicht wissen, wie genau sie aussehen. Aber dadurch wird die alte Theorie vor allem ergänzt.“