Kurier

„Auch Tiroler Flaggen haben wir verbrannt“

Der Musiker, Autor und kritische Geist über seinen neuen Roman, Altpunks und die Klimakatas­trophe

- VON MARCO WEISE

Der Musiker und Schriftste­ller Hans Platzgumer (52) ist ein genauer und kritischer Beobachter der Gesellscha­ft. Schon als Jugendlich­er hat er gegen Großkonzer­ne, Kapitalism­us, Kommerz und das Establishm­ent rebelliert. An seiner Verweigeru­ngshaltung, seinem Idealismus hat sich über die Jahre nichts geändert. Nur die Mittel zum Zweck sind andere geworden: Anfangs waren es vor allem punkige Aktionen, dann konzentrie­rte sich der gebürtige Tiroler auf die Musik, wurde in den USA zum Rockstar und verhalf danach u. a. der Band Tocotronic zu ihrem Meisterwer­k „Es ist egal, aber“.

Seit Jahren setzt Platzgumer als Schriftste­ller auch mit Worten Taten. Er weiß, dass er damit die Welt zwar nicht ändern kann, „aber man darf nie aufhören, seinen Teil beizutrage­n“, sagt er dem KURIER.

KURIER: Einmal Punk, immer Punk. Kann man das so sagen?

Hans Platzgumer: Das klingt schrecklic­h und sollte so nicht gesagt werden. Die hängen gebliebene­n Altpunks sind abschrecke­nde Beispiele für jeglichen Aktivismus. Lustig aber, dass dieses Wort Punk in letzter Zeit wieder auftaucht. Im Stern wurde ich kürzlich gar als „Edelpunk“bezeichnet. Niemand weiß, was Punk sein soll, was soll dann Edelpunk sein? Damals in den 80ern galt für mich: Ich weiß nicht, was ich will, aber ich weiß, was ich nicht will. Ich wollte Konvention­en brechen. Das finde ich nach wie vor einen guten Ansatz. Doch heute, 52jährig, mit Halbglatze, Nickelbril­le, Levis 501, Clarks und Anorak, würde mich wohl kaum jemand als Punk einstufen, der mich sieht.

Wogegen haben Sie früher protestier­t, wogegen heute? Wie haben sich da im Laufe der Jahre die Prioritäte­n verschoben?

Früher rebelliert­en wir gegen alles, was uns aufgezwung­en wurde. Wir wollten nicht von der Staatsgewa­lt kontrollie­rt und unterdrück­t werden. Wir lehnten uns gegen Ungerechti­gkeit und Diskrimini­erung auf. Es war eine Verweigeru­ngshaltung, eine Jugendbewe­gung, ein Generation­enkonflikt. Die Themen sind im Grunde bis heute dieselben geblieben, aber nicht erst seit Corona muss man es differenzi­erter betrachten. Der Konfliktst­off ist viel komplexer geworden: Die Gesellscha­ft ist in gewisser Weise liberaler, in mancher Beziehung konservati­ver.

Sie haben in den Achtzigern auch performati­ve Taten gesetzt. Zum Beispiel sich vor einem Fast-Food-Restaurant den Finger in den Hals gesteckt und vor den Gästen erbrochen. War das im doppelten Sinn befreiend?

Solche Aktionen macht man, wenn man jung ist und die Schnauze voll hat. Wir unternahme­n auch andere Flashmobs, überfielen etwa mit Baum-Attrappen aus Papier eine Straßenbah­n oder organisier­ten öffentlich­e CDVerbrenn­ungen. Auch Bibeln und Tiroler Flaggen haben wir verbrannt. Das alles gehörte zum Rebellentu­m dazu, und es machte verdammt viel Spaß.

Wollen Sie auch heute noch die Welt verändern? Wenn ja, wie soll Ihnen das gelingen?

Es wird mir nicht gelingen, die Welt zu verändern. Nicht einmal Greta Thunberg wird das gelingen. Aber man darf nie aufhören, seinen Teil beizutrage­n. Man kann Einfluss auf Dinge in der direkten Umgebung nehmen, kann Mitmensche­n mit Texten, Taten oder Visionen beeinfluss­en, kann Jüngere inspiriere­n und Ältere reanimiere­n. Ich sehe es als unsere Pflicht an, Leute zum Nachdenken über die Gegebenhei­ten zu bringen. Ständig schleicht sich irgendwo ein Trott, eine Schieflage oder Lethargie ein. Alles muss man ständig hinterfrag­en und so wach wie möglich bleiben.

Sie haben den Lockdown anfangs durchaus positiv gesehen, die Entschleun­igung genossen. Wie sehen Sie das heute, nach einem gefühlten Jahr im Lockdown?

Die Dauerentsc­hleunigung ist mir fast schon zuviel, aber ich denke nach wie vor, dass diese Disruption etwas Gutes mit sich bringen kann. Viel geht in die Brüche, das ist schmerzhaf­t, mal trifft es die einen, mal die anderen mehr. Endlich aber gibt es den längst überfällig­en tiefen Einschnitt in unser aller Lebensgewo­hnheiten. Unsere Lebensweis­e machte seit Langem uns und unsere Welt kaputt. Alle wussten es, aber erst Corona zeigte uns, dass wir auch fähig sind, etwas dagegen zu unternehme­n. Ich hoffe, die Menschheit nützt diese vielleicht einmalige Chance.

Sind Sie optimistis­ch, dass wir uns und unseren Lebensstil hinterfrag­en werden?

Vielleicht dauert der Prozess einfach viel länger als ursprüngli­ch gedacht? Ich bin selbst ein ungeduldig­er Kerl, aber vielerorts kann ich erkennen, dass ein Umdenken einsetzt. Corona gibt uns einen neuen Schub. Wir lernen, mit Verzicht umzugehen. Wir sehen, was durch persönlich­en Verzicht erreicht werden kann. Hochkomple­xe Entwicklun­gen können abgeändert werden, wenn wir alle etwas beitragen. Diese Lektion könnte uns in Sachen Klimakatas­trophe sehr nützlich sein.

In ihrem neuen Roman „Bogners Abgang“geht es um Schuld, um die Wahrheit und darum, diese auch zu sagen. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Genauer gesagt ging es mir um die Frage, inwieweit wir bereit sind, Verantwort­ung für unsere Taten zu übernehmen. Inwieweit erkennen wir unsere persönlich­e Schuld bzw. Mitschuld an etwas an? Wie ehrlich sind wir in Notsituati­onen mit uns selbst und mit anderen? Und was entsteht aus diesem Dilemma?

Das Feld der Lügen und Ausreden ist scheinbar grenzenlos. Keiner will mehr Verantwort­ung für seine Handlungen übernehmen. Was hat uns bloß so ruiniert?

Jetzt habe ich den ganzen Tag lang wieder diesen Song meines Freundes Frank Spilker im Kopf. Was hat uns bloß so ruiniert? Die Antwort ist einfach: Ein System, das auf Konkurrenz­kampf und Leistungsd­ruck beruht, unterteilt die Welt in Gewinner und Verlierer. Niemand will zugeben, zu den Verlierern zu gehören.

Man lügt und belügt sich selbst – immer weiter und weiter. Aber dann kommt das schlechte Gewissen. Oder haben so etwas viele gar nicht mehr?

Moral ist eine Frage der Sozialisat­ion und der Erziehung. Dort werden leider viele Versäumnis­se gemacht. Das Vermitteln von Empathie oder sozialem Verantwort­ungsbewuss­tsein ist Teil des Erziehungs­auftrags, den wir als Eltern und Gesellscha­ft haben. Ethik-Unterricht gehört als fixer Bestandtei­l in den Lehrplan.

„Die hängengebl­iebenen Altpunks sind abschrecke­nde Beispiele für jeglichen Aktivismus“ „Moral ist eine Frage der Sozialisat­ion und der Erziehung. Dort werden leider viele Versäumnis­se gemacht“

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Hans Platzgumer hat sich für seinen Roman „Bogners Abgang“mit der Schuldfrag­e, Lügen und Kränkungen beschäftig­t
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Hans Platzgumer: „Bogners Abgang“Zsolnay. 144 Seiten. 20,60 Euro

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