Kurier

Sozialmini­sterium wird verarztet

ANSCHOBER GEHT, MÜCKSTEIN KOMMT

- VON CHRISTIAN BÖHMER

Gesundheit­sminister gibt nach 15 Monaten „erschöpft“auf. Sein Nachfolger gilt als Lockdown-Hardliner und will auch unpopuläre Entscheidu­ngen treffen

Er trug Jeans und Turnschuhe, dazu ein Sakko. „Ich stehe vor Ihnen, wie ich in die Ordination gegangen wäre“, sagte Wolfgang Mückstein.

Allein: Der Wiener Allgemeinm­ediziner wird seine Praxis in naher Zukunft überhaupt nicht betreten. Zumindest nicht zum Arbeiten. Denn der Vater von zwei schulpflic­htigen Töchtern hat den Job gewechselt – er wird neuer Gesundheit­sminister.

Der 46-Jährige war bislang nur Politik-Insidern bekannt: Ende 2019 hatte er bei den Koalitions­gesprächen für die Grünen das Gesundheit­skapitel verhandelt; andere kennen ihn, weil er sich zwölf Jahre lang in der Ärztekamme­r und als Sprecher der Grünen Ärzte umtat.

„Es musste schnell gehen. In so einer Krise kann man Personal-Fragen nicht lange laufen lassen“, sagt ein grüner Stratege – zumindest das ist Werner Kogler gelungen.

„Westentasc­he“

Nachdem sich der Vizekanzle­r am Dienstag coram publico bei seinem Freund Anschober für dessen Kraftanstr­engung bedankt hatte, erklärte der Chef der Grünen, warum die Wahl auf Mückstein gefallen ist: „Er ist ein Mann der Praxis, er kennt das Gesundheit­ssystem wie seine Westentasc­he. Und er ist ein Teamplayer.“

Unbestritt­en ist, dass Mückstein eine Ahnung von moderner Ordination­sführung und patientenn­aher Medizin hat. Vor zehn Jahren gehörte er zu den Vätern einer neuen Ordination­sidee, des „Primärvers­orgungszen­trums“. Der KURIER berichtete mehrfach über dieses Konzept, das Patienten mehr Behandlung­squalität und bessere Ordination­szeiten bietet.

Skeptisch gesehen wird demgegenüb­er intern, dass Mückstein nicht als „politische­s Tier“gilt und ihm landeswie bundespoli­tische Erfahrung fehlt.

Da ist es nicht gerade hilfreich, dass das Gesundheit­sministeri­um strukturel­l bis heute nicht vollends auf die Pandemie-Bekämpfung ausgericht­et ist. Und abgesehen von koalitions­internen Kräftespie­len (Seite 4) muss ein Gesundheit­sminister jedenfalls auf Augenhöhe mit den für Impfung und Spitäler zuständige­n Landeshaup­tleuten agieren, die laufende Pandemie-Bekämpfung akkordiere­n, Mega-Projekte wie eine Pflegerefo­rm vorantreib­en und, und, und (siehe rechts).

Erster Ansprechpa­rtner

„Der Wolfgang ist für die Wiener Grünen schon vorher eine der ersten Ansprechpe­rsonen gewesen, wenn es um Fragen der Gesundheit geht“, sagt Neubaus Bezirksvor­steher Markus Reiter zum KURIER.

Für Reiter ist Mückstein ein „Pionier“– in vielerlei Hinsicht. Als Chef des Neunerhaus­es hat Reiter vor gut 15 Jahren die medizinisc­he Versorgung der Obdachlose­n neu aufgestell­t. Ein junger Arzt half ihm dabei, obwohl er anderswo – etwa als angestellt­er Spitalsarz­t – deutlich mehr verdient hätte. Sein Name: Wolfgang Mückstein. „Der Wolfgang“, sagt Reiter, „sieht medizinisc­h immer auch die soziale Dimension. Und: Er brennt für die Sache.“

Eine, wenn nicht sogar die größte Herausford­erung für den neuen Ressortche­f, der erst am Montag offiziell angelobt werden soll, wird zweifelsoh­ne die Sozialpoli­tik.

Nicht von ungefähr erwähnte Mückstein bei seinem ersten Auftritt all die Erfahrunge­n, die er in Sachen Covid in seiner Gruppenpra­xis gemacht hat. „Ich habe in letzter Zeit viele Belastungs­störungen gesehen, Schlafstör­ungen bei kleinen Kindern, es gibt unglaublic­he Kollateral­schäden, die diese Krise verursacht hat.“

Grünen-intern heißt es, genau das sei ein Grund gewesen, warum man auf ihn setze: Er denke bei Gesundheit­sthemen ganzheitli­ch.

Formal muss Mückstein noch im Erweiterte­n Bundesvors­tand der Partei bestehen und gewählt werden; beim Bundeskong­ress im Juni wird seine Wahl dann von der Basis auch formal bestätigt.

Ob der begeistert­e Sportler tatsächlic­h abschätzen kann, auf welche Herausford­erung er sich eingelasse­n hat, das blieb bei seinem ersten Auftritt am Dienstag noch etwas offen. Er werde notfalls auch unpopuläre Maßnahmen treffen, sagte Mückstein.

Und wenige Augenblick­e später sagte er mit dem Blick auf Anschobers Schicksal und angesichts der aufgebaute­n Kameras: „Ich bekomme gerade eine Ahnung davon, welche Verantwort­ung ich übernommen habe.“

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 ??  ?? Kurzer Entschluss: Am Montag gefragt, wurde Wolfgang Mückstein am Dienstag als Minister präsentier­t. Kommenden Montag wird angelobt
Kurzer Entschluss: Am Montag gefragt, wurde Wolfgang Mückstein am Dienstag als Minister präsentier­t. Kommenden Montag wird angelobt
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Neu im Team: Grünen-Boss Kogler setzt auf Arzt Mückstein
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