Amerika, du hast es besser …!
Einstieg in den Journalismus. In den USA lernt Hugo Portisch nicht nur das redaktionelle Handwerk, sondern auch wie Journalismus in einer freien Gesellschaft aussehen kann und soll
Eigentlich wollte ich 1945 Geograf oder Naturwissenschafter werden, erinnert sich Hugo an seine Zukunftswünsche als 18-Jähriger im Wien der unmittelbaren Nachkriegszeit. An Journalismus dachten er und sein älterer Bruder Emil jun. (auch er später Redakteur) dagegen gar nicht, denn Vater Emil Portisch, führender Journalist im Pressburg der Vorkriegszeit, hat die Söhne nie dazu ermuntert:
Mich hat er vielleicht insgesamt dreimal in meinem Leben in die Redaktion mitgenommen. Meinen Bruder glaube ich gar nicht. Wir wollten beide nicht Journalisten werden. Aber dann hat uns die blanke Geldnot dazu gezwungen, schnell einen Job anzunehmen. Mein Vater hat sofort nach dem Krieg in St. Pölten sozusagen die Blätter des heutigen „Niederösterreichischen Pressvereins“aufgebaut, und diese Blätter hatten eine Filiale in Wien, in der Beatrixgasse. Und was lag näher? Ich habe dringend 90 Schilling im Monat verdienen müssen. 30 Schilling hat mein Untermietzimmer gekostet. 30 Schilling die Werksküche, 20 oder 15 Schilling die Stadtbahn, mit der ich angereist bin. 5 Schilling blieben fürs Kino. Ich habe dort also für 90 Schilling jeden Tag gearbeitet und Meldungen umgeschrieben. Erst später habe ich dann gesehen, dass der Journalismus eigentlich eine ganz gute Geschichte ist. Mir gefällt es, und ich kann es offenbar auch.
In dieser Zeit studiert Hugo Zeitungswissenschaften, Germanistik und Anglistik an der Uni Wien und lernt seine Frau fürs Leben kennen: Traudi, die Tochter des von den Nazis verfolgten Sportjournalisten Maximilian Reich und später selbst erfolgreiche Autorin. Bis zu Traudis Tod 2018 hält die Ehe der beiden, 1949 kommt der Sohn Edgar Thomas († 2012) zur Welt. Die Portischs führen ein skandalfreies Leben – 70 Jahre lang.
Bald darauf wechselt Hugo zur Wiener Tageszeitung, ein ÖVP-Blatt, und wird 1950 – mit 23 Jahren! – Leiter des außenpolitischen Ressorts. Sein politisches Weltbild ist bereits gefestigt. Seit seiner Kindheit von Diktaturen und Zwangsideologien umzingelt, erlebt er im vierfach besetzten Wien die nächste Prägung seines Lebens: die Angst vor dem Kommunismus und der Sowjetunion.
Die Fronttruppen der Roten Armee waren noch, glaube ich, durchwegs in Ordnung. Die haben sich sehr ordentlich benommen. Aber der Tross, der gleich hinten nachkam, der war dressiert auf Vergewaltigung und Plünderung. Das war eine Schreckensherrschaft! Man soll nicht im Nachhinein versuchen zu sagen: „Das war gar nicht so arg.“Es war sehr arg! Daher haben sich die Russen dieses Eigentor geschossen. Mit dem Benehmen ihrer Leute war der Kommunismus für die Leute gestorben. Außerdem hatten alle aus meiner Generation, die ich kannte, dieses ganz intensive und tolle Gefühl der Befreiung. Deshalb bin ich auch wahrscheinlich im Kalten Krieg ein recht Kalter Krieger gewesen.
1950 wird Portisch gemeinsam mit neun anderen Kollegen österreichischer Medien für sechs Monate auf Kosten der amerikanischen Besatzungsmacht zu einem Journalistenkurs
in die USA eingeladen und lernt dort u. a. die New York Times und die Washington Post von innen kennen.
In der „School of Journalism“an der Columbus University in Missouri erfährt er vom Dekan, dem bedeutenden Medienwissenschafter Frank Luther Mott, grundlegende Prinzipien des Journalismus westlicher Prägung:
Die erste Grundvoraussetzung für einen Journalisten ist, dass er sich mit allen Möglichkeiten bemüht, die Wahrheit herauszufinden. Nur dann hat er ein Recht zu publizieren, unter dem Motto: „Check – Recheck – Doublecheck“. Du musst, wenn du eine Nachricht oder eine Meinung hörst, überprüfen, nochmals überprüfen und ein drittes Mal überprüfen. Das nächste Ding ist: „Audiatur et altera pars“aus dem römischen Recht. Du musst auch wissen, wie die andere Seite denkt und was sie dazu zu sagen hat. Die dritte Lektion ist: Wenn nicht so sicher ist, was wahr ist und wer recht hat, dann gilt: „In dubio pro reo“– „Im Zweifel für den Angeklagten!“Er hat das mit einem solchen Pathos vorgetragen, der Dekan Mott, dass uns die Ganslhaut heruntergelaufen ist.
Die Realität in Österreich sieht dagegen ganz anders aus:
Bei uns konnte man Politiker gar nicht richtig befragen. 1947, ’48, ’49 hat dich ja als
Journalist gar keiner empfangen, und die Beamten hatten alle Redeverbot. Bis in die 60erJahre blieb es so, dass kein Politiker einen Journalisten vorgelassen hat, wenn er nicht wollte. Daher war Amerika für uns 1950 eine Märchenwelt! Heute, wo die investigativen Journalisten überall nachstöbern können, Informationen bekommen und notfalls vielleicht sogar mit dem Scheckbuch nachhelfen und aufdecken können, ist das alles nicht mehr überraschend. Es ist eine andere Art des Journalismus. Meiner Ansicht nach leider nicht die beste …“
Die USA werden zum Sehnsuchtsland der Portischs. 1953 wechselt Hugo zum Österreichischen Informationsdienst beim Generalkonsulat in New York. Für Traudi und ihn steht fest: Hier wollen wir bleiben! Wir wandern aus. Doch es wird anders kommen …
„Bei uns konnte man Politiker gar nicht richtig befragen. 1947, ’48, ’49 hat dich ja als Journalist gar keiner empfangen“Hugo Portisch
2010 hat Hugo Portisch dem Verleger Hannes Steiner in 30 Stunden sein Leben erzählt mit dem Auftrag, sein geistiges Erbe einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Steiner hält gemeinsam mit dem Unternehmer Michael Kraus die Rechte an diesen „Toskana Tapes“. Wir bringen die packendsten Auszüge in zwölf Teilen.
Martin Haidinger hat als Ö1Wissenschaftsredakteur das Material bereits in drei Radiosendungen („Salzburger Nachtstudio“) auf bereitet.