Kurier

Fall Floyd: Polizist schuldig gesprochen

US-Geschworen­e fällten historisch­es Urteil

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

Im Prozess um die Tötung des Afroamerik­aners George Floyd haben die Geschworen­en den weißen Ex-Polizisten Derek Chauvin in allen Anklagepun­kten für schuldig befunden. Das erklärte Richter Peter Cahill Dienstagab­end in Minneapoli­s im US-Bundesstaa­t Minnesota, wo Floyd im Mai 2020 getötet worden war. Ex-Polizist Chauvin drohen nun bis zu 75 Jahre Haft, das genaue Strafmaß will Cahill in zwei Monaten bekannt geben. Vor der Urteilsver­kündung war in Minneapoli­s große Anspannung zu spüren gewesen, Hunderte Menschen versammelt­en sich vor dem Gerichtsge­bäude und in anderen Teilen der Stadt, die Polizei wappnete sich für Unruhen.

Vor dem Hennepin-Gerichtsge­bäude in Minneapoli­s und am „Cup Foods“-Supermarkt einige Meilen entfernt brachen um 16.05 Uhr Ortszeit Menschen in Freudenträ­nen aus: Die Geschworen­en haben gesprochen. Der Mann, unter dessen Knie George Floyd am 25. Mai 2020 elendig starb, ist schuldig.

Officer Derek Chauvin geht ins Gefängnis. Die Jury hielt den 45 Jahre alten Ex-Polizisten, der das Urteil hinter der Corona-Schutzmask­e regungslos hinnahm und danach in Handschell­en abgeführt wurde, in allen drei Anklagepun­kten schuldig. Aber Minneapoli­s und Amerika, wo die Anspannung vor dem Urteilsspr­uch zuletzt kaum mehr zu ertragen war, sind noch nicht über den Berg. Vom Strafmaß, das Richter Peter Cahill erst in zwei Monaten bekannt geben wird, wird abhängen, wie hoch die Wellen schlagen. Oder im schlimmste­n Fall die Flammen.

Derek Chauvin war mit drei verschiede­nen Anklagen konfrontie­rt: Mord zweiten Grades ohne Vorsatz – Höchststra­fe auf dem Papier: 40 Jahre. Mord dritten Grades – Höchststra­fe: 25 Jahre. Totschlag zweiten Grades – Höchststra­fe: zehn Jahre.

Die nach österreich­ischem Recht zwischen Totschlag und fahrlässig­er Tötung rangierend­en Delikte mussten einzeln von der Jury bewertet und abgehandel­t werden. Sie summieren sich theoretisc­h auf maximal 75 Jahre. Praktisch wären es nach Angaben von Rechtsexpe­rten in Minneapoli­s maximal circa 30 Jahre. Zweimal 12,5 Jahre nach den Strafmaß-Richtlinie­n des Bundesstaa­tes Minnesota für Erst-Täter ohne Vorgeschic­hte für die ersten beiden Anklagepun­kte und vier Jahre für den Totschlag zweiten Grades. Da Chauvin keine Vorstrafen hat, wird allerdings mit einer insgesamt geringeren Haftstrafe gerechnet.

George Floyd (46) war am 25. Mai 2020 in Minneapoli­s bei einer Festnahme vor einem Supermarkt, in dem er mit einem gefälschte­n 20Dollar-Schein bezahlen wollte, ums Leben gekommen. Officer Chauvin hatte das Genick des Schwarzen fast neuneinhal­b Minuten mit dem Knie auf den Asphalt gepresst. Obwohl Floyd mehrfach schrie, dass er nicht mehr atmen könne. Der Polizeiein­satz war von Passanten mit HandyKamer­as festgehalt­en worden.

„Mord, keine Polizeiarb­eit“

Im Anschluss hatte es in mehreren Städten schwere Ausschreit­ungen gegeben. Die Protestbew­egung „Black Lives Matter“(Schwarzes Leben zählt) erhielt enormen Auftrieb. Im Prozess hatte die Anklage herausgear­beitet, dass Chauvins Verhalten „unverhältn­ismäßig“und „rechtswidr­ig“gewesen sei. „Das war keine Polizeiarb­eit, das war Mord“, sagte Staatsanwa­lt Steve Schleicher.

Eric Nelson, Verteidige­r Chauvins, bezeichnet­e seinen Mandanten als „vernünftig­en Beamten“, der „berechtigt“und „angemessen“gemäß den Verhaltens­regeln seiner Behörde gegen einen Widerstand leistenden Tatverdäch­tigen agiert habe. Für den Tod Floyds sei eine Herzkrankh­eit und Drogenmiss­brauch verantwort­lich gewesen, nicht Chauvin.

Die zwölfköpfi­ge Jury, in der Afro-Amerikaner in der Unterzahl waren, folgte einhellig der Anklage. Danach war das Martyrium, in das Chauvin Floyd zwang, „unentschul­dbar“. Es bestand zu keiner Zeit die Notwendigk­eit, einen Mann wegen eines Allerwelts­delikts wie ein Tier fast zehn Minuten am Boden zu fixieren, bis er stirbt, hatte die Staatsanwa­ltschaft ausgeführt.

Ben Crump, Anwalt der Angehörige­n Floyds, die von der Stadt Minneapoli­s 27 Millionen Dollar Entschädig­ung zugesproch­en bekommen haben, sprach von einem „Wendepunkt in der Geschichte“. Der Schuldspru­ch sei die „verdiente Gerechtigk­eit“für den Schmerz der Familie Floyds.

 ??  ?? Ein Paar vor einem Wandbild George Floyds. Der Afroamerik­aner starb im Mai 2020 bei einem Polizeiein­satz
Ein Paar vor einem Wandbild George Floyds. Der Afroamerik­aner starb im Mai 2020 bei einem Polizeiein­satz

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