Kurier

„Die Erde ist in keinem guten Zustand“

Die grüne Ministerin über die neuen Ziele für Klimaschut­z und unser Ökosystem. Deutschlan­ds grüne Kanzlerkan­didatin Baerbock sei „großartig“, sie kenne sie noch aus ihrer Zeit in Brüssel

- VON BERNHARD GAUL

Der heutige 22. April ist „Tag der Erde“. Vor über 50 Jahren wurde der Aktionstag, damals noch um auf die Probleme der Umweltvers­chmutzung aufmerksam zu machen, von den Vereinten Nationen ausgerufen. Grund genug, mit Österreich­s grüner Umweltmini­sterin Leonore Gewessler über den Zustand des Planeten zu sprechen.

KURIER: Heute ist Tag der Erde. Sie waren lange Umweltakti­vistin, bevor Sie in die Politik gewechselt sind. Wie geht es dem Planeten? Leonore Gewessler: Leider ist die Erde in keinem sehr guten Zustand. Die Biodiversi­tätskrise ist mit der Klimakrise die zweite große Krise, vor der wir stehen. Doch genau diese Vielfalt der Arten, die immer mehr verschwind­et, ist unsere Lebensvers­icherung. Damit wir auch in Zukunft auf der Erde ein gutes Leben haben können. Leider verlieren wir derzeit Arten und Lebensräum­e, nicht nur in den Regenwälde­rn, sondern auch in Europa, in noch nie da gewesener Geschwindi­gkeit.

Auch in Österreich?

Leider ja, nur zwei Beispiele: 60 Prozent der Amphibien sind bei uns gefährdet, 37 Prozent der Brutvögel. Deswegen haben wir alle einen großen Auftrag zum Schutz der Biodiversi­tät. Am Verschwind­en der Insekten sieht man das Artensterb­en besonders deutlich. Sie sind klein und unauffälli­g, doch sie sind ein wesentlich­er Bestandtei­l, als Bestäuber und Teil der Nahrungske­tte, damit unser Planet funktionie­rt.

Und was tun wir dagegen?

Da kommen wir jetzt in die Gänge. Etwa mit der EU-Biodiversi­tätsstrate­gie, die ist gut, schaut auf die Ursachen und schlägt Lösungen vor. Sie muss jetzt auch in den Mitgliedss­taaten umgesetzt werden. In Österreich haben wir gerade, auch mit EUGeld, 50 Millionen Euro zum Schutz der Biodiversi­tät sichergest­ellt.

Tatsächlic­h werden in Österreich nach wie vor Grünfläche­n zubetonier­t. Müsste das nicht stoppen? Wir müssen langfristi­g auf Netto-Null kommen, also für jeden Quadratmet­er, der versiegelt wird, muss ein Quadratmet­er entsiegelt werden.

In der Nacht auf Mittwoch hat sich die EU auf deutlich schärfere Klimaziele für 2030 geeinigt. Minus 55 Prozent im Vergleich zu 1990 ist das Ziel. Ist das schaffbar?

Ja, es gibt ja längst eine Folgenabsc­hätzung und gute Vorschläge, wie wir das erreichen können. Aber zweifellos ist das eine sehr große Aufgabe und Herausford­erung.

Österreich hat im Vergleich zu 1990 null Prozent Emissionen reduziert, in neun Jahren sollen wir minus 50 Prozent schaffen?

Ja, wir treten bei den Emissionen bisher am Stand. Deswegen ist es unser Auftrag, eine Aufholjagd zu starten. Wir müssen in neun Jahren die Emissionen halbieren und bis 2040 klimaneutr­al sein. Deswegen machen wir das alles, Öffi-Ausbau, Radweg-Ausbau, Raus aus dem Öl, Ökostrom-Ausbau, Klimaschut­zgesetz, Energieeff­izienzgese­tz. Mit diesen Hebeln werden wir das schaffen.

Bis 2035 dürfen wir keine Ölheizung mehr betreiben, bis 2040 keine Gasheizung? Das kann ich mir kaum vorstellen.

30 Prozent unseres Energiever­brauchs kommen aus dem Wärmeberei­ch, wir heizen noch in 1,5 Millionen Haushalten mit Öl und Gas. Wenn wir unsere Ziele ernst nehmen, müssen wir da raus. Das ist ein wirklich großer Umstieg, den wir jetzt gut planen müssen. Ab 2022 gibt es das Gebot, wenn man einen Ölkessel tauscht, muss das mit einem erneuerbar­en Heizsystem passieren. Und ab 2025 müssen wir den Bestand austausche­n, das ist der Regierungs­plan. Das fördern wir auch mit einer Sonderförd­erung für jene, die sich das gar nicht leisten können.

Würden Sie Freunden abraten, ein Benzin- oder Dieselauto zu kaufen?

Wir haben in meiner Familie ein E-Auto, ich würde sie einmal zum Probefahre­n einladen. Denn wer einmal in einem E-Auto gesessen ist, entscheide­t sich auch dafür.

Werde ich bald nicht mehr mit meinem Benzinauto fahren können?

In ganz Europa wird diskutiert, dass es einen Zeitpunkt geben muss, dass neue Autos nur mehr emissionsf­rei sein dürfen. Auch die Autoindust­rie, VW etwa, sagt ganz klar, die E-Mobilität ist die Zukunft. Deswegen haben wir die EU-Kommission gebeten, ein Datum zu nennen, wann Verbrenner­autos nicht mehr zugelassen werden in der EU.

Aber ich könnte ja mit Biotreibst­offen Auto fahren.

Wir werden Biogas und Biotreibst­offe sicher brauchen, aber nicht bei der Individual­mobilität, das sieht internatio­nal auch die Industrie so.

Die Gretchenfr­age der Koalition dürfte die Öko-Steuerrefo­rm werden, wie hält es die ÖVP mit dem Klimaschut­z.

Dann steht die Koalition auf stabilen Beinen, denn so viel Klimaschut­z wie jetzt, gab es noch nie. Grundprinz­ip wird da sein, dass klimafreun­dliches Verhalten billiger wird und klimaschäd­liches Verhalten einen gerechten Preis bekommt. Aber es hält sich die Waage, das eine wird teurer, das andere wird billiger, das ist der Plan.

Wird auch die Pendlerpau­schale ökologisie­rt?

Wir haben derzeit eine Schieflage bei der Pendlerpau­schale. Wer mehr verdient, bekommt auch mehr. Also soll sie insgesamt ökologisch­er und sozial gerechter werden.

Und wie geht es den Grünen eigentlich in der Koalition? Lässt sie Ihnen genug Luft zum Atmen?

Wenn man sich ansieht, dass wir in Österreich noch nie so viel beim Klimaschut­z in vielen Bereichen gemacht haben, ist klar, dass es da viele anstrengen­de Diskussion­en braucht. Aber ich bin in die Regierung gegangen, um Dinge zum Besseren zu verändern, da ist schon viel gelungen, wir haben aber auch viel vor uns.

In Deutschlan­d haben die Grünen mit Annalena Baerbock eine Kanzlerkan­didatin, die Grünen stehen in Umfragen bei bis zu 27 Prozent. Denken Sie, werden davon auch die Grünen hier profitiere­n können?

Die Annalena ist eine großartige Frau, ich kenne sie noch aus meiner Zeit in Brüssel. Das wäre ein ziemlicher Gamechange­r, wir werden die Wahl sehr genau beobachten.

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Klimaminis­terin Leonore Gewessler im KURIER-Stadtstudi­o. Beim Klimaschut­z sei schon viel weitergega­ngen, sagt die Grüne

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