Kurier

Metamorpho­sen der Macht in einer dysfunktio­nalen Familie

Händels „Saul“in der Regie von Claus Guth für das TV

- VON PETER JAROLIN

Was war das für eine Premiere! Jubel, Ovationen, ein tobendes Publikum und begeistert­e Kritiken – 2018 landete das Theater an der Wien mit Georg Friedrich Händels Oratorium „Saul“(eigentlich ein Hybrid aus großer Oper und Oratorium) einen sensatione­llen Erfolg. 2021 hätte diese Produktion ihre Wiederaufn­ahme feiern sollen; aufgrund der Pandemie und der diversen Lockdowns ein unmögliche­s Unterfange­n.

Aber immerhin ist dieser „Saul“in der brillanten, weil so psychoanal­ytischen Inszenieru­ng von Claus Guth nun auch für die Nachwelt dokumentie­rt. ORF 2 zeigt am 2. Mai ab 9.05 Uhr den Film „Saul in Szene gesetzt“, die Klassik-Streamingp­lattform fidelio bringt am 8. Mai um 20 Uhr das Werk in Gesamtläng­e. Und zusehen lohnt!

Sogwirkung

Denn dieser „Saul“– einige wenige Medienvert­reter waren nach negativem CoronaTest bei den Aufzeichnu­ngen zugelassen – hat fast noch mehr an Kraft, ja an Sogwirkung entfaltet, wurde präzise einstudier­t und beeindruck­t szenisch wie musikalisc­h. Da wäre einerseits die grandiose, in die Tiefe der Charaktere gehende Regie von Claus Guth, der alles Biblische abräumt, sich stattdesse­n auf eine Kreatur namens Mensch konzentrie­rt. König Saul, Chef einer dysfunktio­nalen Familie, weiß, dass seine Tage als Herrscher wohl gezählt sind und wehrt sich mit allen Mitteln gegen die Ankunft des Goliath-Bezwingers David. Die eigenen Töchter und auch der Sohn aber verfallen (sogar in sexueller) Hinsicht diesem David,

der bald seine eigene Sekte gründet und die Macht übernimmt. Saul stirbt im Wahn, doch David steht das gleiche Schicksal bevor.

Claus Guth zeigt all dies in der Drehbühnen-Ausstattun­g von Christian Schmidt in beeindruck­enden Bildern und in konsequent­er Radikalitä­t – Händel plastisch, heutig, als Spiegel der Metamorpho­sen der Macht.

Wie schon 2018 ist Florian Boesch als Saul eine vokale wie darsteller­ische Urgewalt, schlicht eine Idealbeset­zung. Dazu kommt Jake Arditti, der als David nicht nur mit seinem tollen Counter glänzt, sondern auch die Wandlung vom naiven Helden hin zum brutalen Machtmensc­h mit Intensität deutlich macht. Ein echtes Geschenk: Anna Prohaska als

Sauls Tochter Merab; Giulia Semenzato steht ihr als ihre Schwester Michal nicht nach. Rupert Charleswor­th gibt den Sohn Jonathan tadellos; auch das übrige Ensemble und der gute Arnold Schoenberg Chor sind eine Freude.

Wie auch Dirigent Christophe­r Moulds, der am Pult des starken Freiburger Barockorch­esters Händel ideal zum Klingen bringt. Top!

 ??  ?? Abscheu und Faszinatio­n: Anna Prohaska als Merab mit dem Kopf des Goliath
Abscheu und Faszinatio­n: Anna Prohaska als Merab mit dem Kopf des Goliath
 ??  ?? Starb im Alter von 73 Jahren: Der Rock-Komponist Jim Steinman, berühmt für seine Arbeit mit Meat Loaf
Starb im Alter von 73 Jahren: Der Rock-Komponist Jim Steinman, berühmt für seine Arbeit mit Meat Loaf

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