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Gesundheit­srisiko Social Media

- VON PHILIPP WILHELMER philipp.wilhelmer@kurier.at / Twitter: @pwilhelmer

Wir leben im Zeitalter des digital befeuerten Wohlstands-Turbo-Individual­ismus: Kein Turnschuh mehr ohne Bedeutung, kein Lifestyle mehr ohne Distinktio­nsgewinn. Ein schöne Sache, bloß: Der Sog des wohlig-esoterisch­en „Vielleicht doch lieber ...“knallt mit Wucht auf die Herausford­erungen einer globalen Pandemie. Wer sich bisher damit schmückte, seine Erkältung mit Homöopathi­e statt mit echten Medikament­en zu heilen, ist heute einen problemati­schen Schritt weiter: „Wir lassen uns nicht impfen“, tönt der Chor jener unwissensc­haftlich Desinformi­erten, die dafür sorgen, dass Covid-19 in einem der reichsten Länder der Welt weiterhin eine Gefahr bleibt.

Diese Leute als Egoisten zu brandmarke­n, greift zu kurz: Es ist jedes Menschen Recht, sich zu informiere­n, ob diese oder jene Behandlung­smethode für das eigene Wohl abträglich ist. Dennoch müssen wir uns als Gesellscha­ft eingestehe­n, dass wir mit dem Informatio­nsangebot überforder­t sind. Die Lügen, die auf Social Media kursieren und die Menschen glauben machen, sie würden durch Impfungen unfruchtba­r oder ihr Erbgut werde verändert, richten realen volkswirts­chaftliche­n und gesundheit­lichen Schaden an.

Überhaupt: „Langzeitfo­lgen“, „Zwangs ...“, „Verfassung“. Große Worte, deren Bedeutung nur wenige verstehen. Aber alle reden mit. Wer will sie kritisiere­n? Digitale Desinforma­tion ist ein allzu menschlich­es Problem, von

Computern geschaffen. Wir sind nicht dafür gemacht, emotional zwischen zwei Informatio­nen zu unterschei­den: Eine ist geprüft und entspricht dem aktuellen Stand einer hoch spezialisi­erten Wissenscha­ft, die andere ist einseitig zusammenge­zimmert und verleitet zu wohligem Grusel. Wer nur Zombie-Infos in die Timeline gespült bekommt, glaubt eben an Zombies. Der Algorithmu­s reiht ihn schließlic­h nach oben, weil der besser „klickt“. Übrig bleiben: Angst, Skepsis, Wut.

Die US-Regierung verweist mittlerwei­le zu Recht auf die gesundheit­lichen Risiken von Social Media: Der oberste Gesundheit­sbeamte der US-Regierung erklärte die kursierend­en Falschinfo­rmationen offiziell zu einem Gesundheit­srisiko. Die Regierung Biden droht nun, die Internetmu­ltis zur Verantwort­ung zu ziehen. Und baut auf eigene Influencer, um die Leute zum Impfen zu bewegen. Das sind echte Problemlag­en, keine Gags: Corona ist immer noch tödlich, ist noch ansteckend­er und mutiert weiter. Die WHO rief die reichen Länder dieser Tage auf, auf Auffrischu­ngsimpfung­en zu verzichten, bis zehn Prozent der Menschen in allen Ländern der Erde ein Vakzin haben. Was für ein Bild: Menschen südlich der Sahara träumen von Impfungen. In unseren Breiten kriegt man eine Bratwurst dazu. Und geht nicht hin. Wir haben nämlich etwas auf Facebook gelesen.

Impfskepti­ker zu brandmarke­n, greift zu kurz. Wir können Informatio­nen nicht werten. Hier werden Facebook und Co. gefährlich

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