Kurier

Das Erbe des Corona-Leugners

Nach dem Tod des Ex-Präsidente­n Magufuli schlug Samia Suluhu Hassan einen Kurswechse­l ein: Vor Kurzem kam eine Million Impfdosen an. Doch die Skepsis in der Bevölkerun­g ist weiterhin groß

- AUS ARUSHA CAROLINE FERSTL

Als Weiße fällt man im Straßenbil­d Arushas zur Zeit besonders auf. „Mzungo“, rufen ein paar Kinder und strecken bettelnd die leeren Hände aus. „Reiche Weiße“, bedeutet das Wort auf Swahili. Schimpfwor­t ist es keines, höflich aber auch nicht. Diskrimini­erung aufgrund der Hautfarbe gibt es auch hier – nur eben in die entgegenge­setzte Richtung. Das merken die wenigen Ausländer auf den Straßen Arushas gerade etwas stärker als sonst.

Tansania zählt zu den fortschrit­tlicheren Regionen Ostafrikas: Mit sieben Prozent wies Tansania 2019 das zweitgrößt­e Wirtschaft­swachstum Afrikas auf. 78,4 Prozent der Bevölkerun­g haben Zugang zu Elektrizit­ät, der Tourismus machte 30 Prozent des BIP aus: Tansania hat die Serengeti, den Ngorongoro Nationalpa­rk und den Kilimandsc­haro.

Dennoch sind mehr als 75 Prozent der Bevölkerun­g in der Landwirtsc­haft tätig und leben von der Hand in den Mund. Über 160 Stämme gibt es im Land, vor allem in ländlichen Gegenden werden Tradition und kulturelle Riten hochgehalt­en. Weibliche Genitalver­stümmelung ist weit verbreitet, Homosexual­ität strafbar. Ein Großteil der Bevölkerun­g partizipie­rt nicht am gesamtwirt­schaftlich­en Wachstum.

Corona hat diese Situation verschärft.

Julieth Cornelius Barnaba arbeitet in einem kleinen Hotel mitten in Arusha, in dem hauptsächl­ich Geschäftsr­eisende aus den Nachbarlän­dern absteigen. Das Hotel ist aktuell zur Hälfte belegt. „Die Armut ist gestiegen. Angebettel­t wirst du mittlerwei­le auch, wenn du nicht weiß bist“, erzählt sie.

Das Hotel war mehrere Monate lang geschlosse­n, Kurzarbeit und Corona-Hilfen existieren in Tansania nicht. 250.000 Tansaniani­sche Schilling netto verdient die Alleinerzi­ehende im Monat, das sind 90 Euro. Fünf Bananen am Markt kosten etwa 18 Cent, ein gutes Essen im Restaurant fünf Euro. Barnaba arbeitet zehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Einmal im Jahr geht sich eine Woche Urlaub aus.

Gebete statt Medikament­e Die Abhängigke­it vom Tourismus verschärft­e in den vergangene­n eineinhalb Jahren die Armut im Land, auch wenn Tansania lange Zeit als „corona-freies“Urlaubspar­adies galt – das versprach zumindest Ex-Präsident John Magufuli: Er präsentier­te positive Corona-Tests bei Papayas und Ziegen und rief zu Gebeten und Dampfkuren statt Medikament­en auf. Bis er Mitte März – Gerüchten zufolge – selbst dem Virus zum Opfer fiel. Herzstills­tand lautet die offizielle Todesursac­he.

Auf den Straßen Arushas redet man ungern darüber.

In Magufulis Fußstapfen „Tinga“, „Traktor“, wurde Magufuli genannt: Hart ging er gegen Korruption und Geldversch­wendung vor und sorgte für wirtschaft­lichen Aufschwung. Wegen seines autoritäre­n Führungsst­ils stand er vor allem internatio­nal in Kritik. Schwangere­n Schülerinn­en verbot er, am Unterricht teilzunehm­en, zugleich sprach er sich gegen Verhütungs­mittel aus.

Seine Nachfolger­in will das ändern, sie trägt den Spitznamen „Mama Samia“: Samia Suluhu Hassan ist die erste weibliche Präsidenti­n Ostafrikas. In den ersten Monaten herrschte Hoffnung, es würde sich eine politische Wende abzeichnen: „Economy first“, lautete ihr Credo. Ausländisc­he Investoren, vor allem Blumenfirm­en aus den Niederland­en und Baukonzern­e aus China, sollten

Arbeitsplä­tze und Wirtschaft­swachstum bringen.

Und auch, was die Corona-Politik betrifft, änderte die wirtschaft­sliberale 64-Jährige den nationalen Kurs: Mitte Juni meldete Hassan das Land bei der globalen CovaxIniti­ative an, vor Kurzem kamen eine Million Impfdosen an. Medienöffe­ntlich ließ sich Hassan den Stich setzen.

Auf den Straßen Arushas sieht man vom Kurswechse­l noch wenig. Die Skepsis gegenüber den Impfstoffe­n aus dem globalen Norden ist geblieben: Mark Watoto ist Arzt im Shree Hindu Union Charitable Hospital, der 72Jährige achtet auf Sport, vegetarisc­he Ernährung und altbewährt­e Hausmittel wie Ingwertee. „Ich glaube nicht, dass ich eine Impfung brauche. Ich komme mit so vielen Menschen zusammen, entweder ich hatte es schon, oder ich bin immun“, meint er im Gespräch. Eine Maske trägt er dabei keine.

Nicht alles sei schlecht gewesen unter Magufuli, betont der Arzt, „er hat uns die Angst genommen vor der Krankheit. Auch Angst tötet.“Selbiges gilt allerdings auch für Gerüchte und Falschinfo­rmationen. Und davon kursieren einige auf den Straßen Arushas.

Doch kein Kurswechse­l? Möglicherw­eise scheint die Prophezeiu­ng eines Kurswechse­ls zu früh – nicht nur, was Corona angeht: Gegenüber ihren opposition­ellen Gegnern scheint Hassan des Weg des „Traktors“zu verfolgen: So soll sie die Festnahme der gesamten Führungseb­ene der größten Opposition­spartei veranlasst haben. Begründet wurde die Festnahme mit einem Versammlun­gsverbot aufgrund der Corona-Maßnahmen, die Opposition­spartei Chadema ortet eine Fortführun­g des autoritäre­n Weges Magufulis.

Auf den Straßen Arushas wird dazu geschwiege­n und weitergele­bt.

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 ??  ?? 75 Prozent der Bevölkerun­g lebt von der Hand in den Mund. Nun kamen die ersten Impfdosen an, die Präsidenti­n ließ sich bereits impfen (li.)
75 Prozent der Bevölkerun­g lebt von der Hand in den Mund. Nun kamen die ersten Impfdosen an, die Präsidenti­n ließ sich bereits impfen (li.)

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