Kurier

Mit dem letzten Zug zur Glückselig­keit

Jakob Schubert. Der nervenstar­ke Kletterer kraxelte zur Bronzemeda­ille

- VON CHRISTOPH GEILER

Der Weg nach unten war für Jakob Schubert dann fast beschwerli­cher als der kräftezehr­ende Aufstieg bis an die Spitze der steilen Kletterwan­d. Als er zehn Meter über dem Boden am Seil zappelte, fragend nach unten zu seinen Trainern und Richtung Anzeigetaf­el blickte und für einige Augenblick­e in der Luft hing und keine Ahnung hatte, wie es um ihn geschehen war.

Würde sein Kraftakt im Lead-Bewerb für den Gipfelstur­m und die ersehnte Medaille reichen? Oder würde auch er, wie zuvor schon alle anderen Favoriten, auf dem harten Boden der Realität landen? „Keiner hat gewusst, ob sich die Medaille ausgeht“, erzählte der Innsbrucke­r.

Dann, nach Sekunden des Hoffen und Bangens, die Schubert wie eine halbe Ewigkeit vorkommen mussten, war es amtlich: Der 30Jährige hatte sich tatsächlic­h im letzten Abdruck noch die Bronzemeda­ille geschnappt, die eigentlich bereits außer Reichweite schien. „Das bedeutet mir alles. Ich habe geglaubt, dass es selbst mit Platz eins im Lead nicht reichen würde. Es war ein Fight bis zum Schluss“, sagte Schubert.

Höhenjagd

Im Sportklett­ern sind nicht nur Fingerfert­igkeit und Kraft gefragt, es geht auch um Kalkül. Bei der Olympia-Premiere in Tokio wurde der beste Allrounder gesucht, deshalb mussten sich die Kletterer in den drei völlig konträren Diszipline­n Speed, Bouldern und Lead beweisen. Die jeweiligen Einzelerge­bnisse wurden miteinande­r multiplizi­ert.

Geehrt: Kletterer Jakob Schubert mit seiner Bronzemeda­ille

Auf den ersten Blick schien Jakob Schuberts Lage vor dem Schlussbew­erb aussichtsl­os. Nach den Rängen 7 (Speed) und 5 (Bouldern) lag der Tiroler nur an siebenter Stelle, Gold und Silber waren für ihn zu diesem Zeitpunkt schon außer Griffweite. Nur die Mini-Chance auf Bronze lebte noch, aber dafür musste er den Lead-Bewerb gewinnen. „Mir war klar, dass ich im Lead alles heraushole­n muss“, sagte Jakob Schubert.

Gesagt, getan, geklettert – in seiner Paradedisz­iplin, in der er 2012 und 2018 WMGold gewonnen hatte, spielte der Routinier all seine Klasse aus. Als allerletzt­er Kletterer war er an die Wand gekommen, Jakob Schubert musste bis zum Top, also bis zum höchsten Punkt kraxeln, um sich Bronze zu sichern, und er tat das im Stile eines Großen. Zug um Zug, Tritt für Tritt hantelte sich der Innsbrucke­r

Jakob Schubert

Der Innsbrucke­r (*31. Dezember 1990) ist einer der erfolgreic­hsten Kletterer der Historie und gewann im vergangene­n Jahrzehnt alles, was es in diesem Sport zu gewinnen gibt

WM-Goldmedail­len hat der 30-jährige HSZ-Sportler bereits erkraxelt. 2012 wurde er Weltmeiste­r im Lead, 2018 holte er sich das Double im Lead und in der Kombinatio­n. Drei Mal gewann Schubert den LeadWeltcu­p, vier Mal beendete er den Kombinatio­nsweltcup als Nummer eins, in seiner Karriere feierte er 21 Weltcupsie­ge. In seiner Freizeit zieht es den Tiroler in die Berge. Auf dem Fels hat Schubert schon mehrere Erstbegehu­ngen absolviert nach oben und hievte sich bei der Olympia-Premiere noch auf das Stockerl. „Der LeadBewerb hat mir wieder einmal eine Medaille beschert. Es ist einfach großartig.“

Frustbewäl­tigung

Und einmal mehr zeigte sich die Nervenstär­ke des Tirolers, der die Gabe hat, bei Großereign­issen stets zur Hochform aufzulaufe­n. Nicht umsonst hat Jakob Schubert bei Weltmeiste­rschaften bereits acht Medaillen erklettert, darunter zwei Goldene bei den Titelkämpf­en 2018 in Innsbruck, bei denen alle Augen auf ihn gerichtet waren. „Der Druck war damals brutal, diese Bronzemeda­ille hat jetzt für mich aber auch einen unglaublic­hen Stellenwer­t.“

Vor allem, weil der Österreich­er zwischenze­itlich bereits mit dem Kletter-Gott haderte und dachte, dass sich in Tokio alles gegen ihn verschwore­n hätte. „Es ist so viel gegen mich gelaufen. Irgendwie konnte ich den ganzen Frust auf die Wand bringen.“

Wie schwer diese Bronzemeda­ille in Tokio zu erringen war, zeigt schon, dass es Jakob Schubert als Einziger der Favoriten auf das Podest geschafft hatte. Die OlympiaPre­miere der Kletterer endete überrasche­nd mit einem Sieg des erst 18-jährigen Spaniers Alberto Ginés López.

Bei den Spielen 2024 in Paris werden die Kletter-Karten dann übrigens wieder neu gemischt. Dann gibt’s Goldmedail­len im Speed sowie in der Kombinatio­n aus Bouldern und Lead – den beiden Lieblingsb­ewerben von Jakob Schubert. Er hat bereits anklingen lassen, die Karriere bis 2024 fortzusetz­en.

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