Triumph im Spiegel der Erkenntnis
Kritik. Cecilia Bartoli mit Händel-Oratorium in Salzburg
Mit Händels Oratorium „Il trionfo del tempo e del disinganno“(„Triumph der Zeit und der Erkenntnis“) trotzte Cecilia Bartoli in dunklen Zeiten dem Virus. Die Mezzosopranistin – sie leitet seit 2012 die Pfingstfestspiele mit Fortune – begann für die Premiere im Mai zu proben, als noch nicht einmal feststand, ob überhaupt gespielt werden darf. Der Erfolg gab ihr Recht.
Händels Oratorium ließ sie von Robert Carsen als bestechende Castingshow mit anschließender Psychoanalyse in Szene setzen. Gideon Davey wandelt die Bühne eindrucksvoll von der GlitzerGlamour-Show-Welt der TopModels in einen dunklen Saal der Ernüchterung, überdimensionaler Spiegel inklusive. Da passt alles zur Parabel über die Schönheit, die sich vom Vergnügen zu einem ausschweifenden Leben verführen und durch die Zeit und die Erkenntnis von der Endlichkeit alles Irdischen überzeugen lässt.
Regula Mühlemann zeigt Bellezza als heutige Frau, die sich in die Hände ihres Psychoanalytikers begibt. Der ist bei Carsen Disinganno, die Erkenntnis. Mit ihrem hellen Sopran besteht sie die Koloraturen-Duette und Duelle mit
Ein barockes Oratorium, inszeniert als Castingshow: „Il trionfo del tempo e del disinganno“bei den Salzburger Festspielen
La Bartoli als Piacere. Als diabolische Agentin der Ausschweifung in rotem Hosenanzug ist die passionierte Singschauspielerin ganz in ihrem Element. Mit der Arie „Lascia la spina“berührt sie zutiefst. Countertenor Lawrence Zazzo ist als Disinganno ein Seelenforscher, dem man gern bei der Arbeit zusieht. Charles Workman komplettiert als Tempo im Priestergewand. Musiziert wird brillant. Gianluca Capuano führt sein OriginalklangOrchester Les Musiciens du Louvre mit Esprit und Präzision und wurde wie das gesamte Ensemble bejubelt.