Der lange Weg zur Gleichberechtigung
Rhythmische Gymnastik und Synchronschwimmen sind für Männer bei Olympia noch immer tabu. Der Wiener Aleksandar Savija kämpfte auf der Matte – und landete im Cirque du Soleil „Ich war der einzige Mann auf der ganzen Welt, der Rhythmische Gymnastik machte“
„Jetzt kommt ihr damit? 20 Jahre später?!“Aleksandar Savija ist sichtlich überrascht über den Anruf des KURIER. „Es ist gut, dass endlich darüber gesprochen wird und das Thema an die Öffentlichkeit kommt“, sagt der 43-Jährige. Savija kommt gerade vom Training. Normalerweise wäre sein Terminkalender gefüllt mit Auftritten im Cirque du Soleil. Diese mussten wegen der Pandemie jedoch verschoben werden. „Ich bin Zirkusartist und Performer“, sagt der Wiener. „Und ich war Österreichs erster Mann in der Rhythmischen Gymnastik.“
Ballettausbildung
Seine Karriere begann im frühen Kindesalter, als er sich dazu entschloss, Balletttänzer zu werden. „Meine Eltern waren super, was das betrifft. Mein Vater war nur fünf Minuten geschockt, und meine Mutter hat gesagt: ,Aus – er macht Ballett!‘ Und meine Schwester ist meine beste Freundin und ehrlichste Kritikerin. Wichtig ist halt, dass Familie und Freunde dahinterstehen, dann hat man einen guten Halt.“Den brauchte er auf seinem Weg. „Es war nicht immer ein Zuckerschlecken, wegen der Reaktion der anderen. Ich wurde immer angestarrt, manche haben mit den Augen gerollt.“Am Wiener Konservatorium fiel Savija vor allem aber durch seine extreme körperliche Flexibilität auf.
Turnmatten-Odyssee
„Einmal kam eine Trainerin aus der Rhythmischen Gymnastik für einen StretchingKurs vorbei. Ich war der einzige Bursche, und wie die mich gesehen hat im Training, hat’s mal geschaut!“Nachdem für Savija selbst der Überspagat zwischen zwei Sesseln ein
Klacks war, fragte ihn die Trainerin, ob er nicht einmal im Gymnastikverein mittrainieren möchte. Doch die Rhythmische Gymnastik war und ist noch Frauen vorbehalten. „Als Mann durfte ich nicht ins Training der Mädels.“Erst nach einem Ansuchen beim Verband und mit der Unterstützung der Trainerinnen Monica Czech und Magdalena Schaufler durfte Savija endlich die Turnmatten betreten – und das als erster Mann Österreichs.
Training, Training ...
„Für die Rhythmische Gymnastik war mein leidenschaftlicher und experimenteller Geist perfekt!“Bis zu neun Stunden stand der damals 18Jährige täglich im Training. Pirouetten am Morgen und Nachmittag, Überschläge und fliegende Keulen am Abend. „Es war der Wahnsinn, aber der menschliche Körper ist zu vielem fähig, wenn ein Wille dahinter ist.“
Ziel war es, im Showprogramm einer Europa- oder Weltmeisterschaft anzutreten. „Meine Trainerin Magdalena hat recherchiert und herausgefunden, dass ich der einzige Mann auf der ganzen Welt war, der Rhythmische Gymnastik machte.“Damit wäre er in die Geschichte eingegangen, doch Savija durfte nicht an EM oder WM teilnehmen – weil er ein Mann war.
Geplatzte Träume
„Wir erhielten einen Brief von der Fédération Internationale de Gymnastique mit der Begründung, dass ein Mann diese Flexibilität nicht haben kann – aber ich hatte sie!“Die größten Hürden waren Verbände und Alteingesessene. „Die wussten nicht, was sie mit mir anfangen sollten. Jeder erklärt dir, wie du zu sein hast. Da gehört ein frischer Wind rein.“Entgegen aller Kritik ging Savija weiter seinen Weg. „Ich habe diese Kugel geschluckt, weil ich wusste, was ich will. Ich möchte später einmal sagen: JA, ich habe das gelebt! Ich habe das von ganzem Herzen gelebt!“Durch seinen Kampf um Gleichberechtigung machte er auf sich aufmerksam. „Plötzlich war ich mitten im Showbusiness. Es haben sich alle gemeldet! Sogar Musicals und letztendlich der Cirque de Soleil, wo ich seit 2008 bin.“Aus herablassenden Blicken wurde Bewunderung.
Der Fall Bill May
Zur gleichen Zeit auf einem anderen Kontinent: „Wir können keine Männer in einem Frauensport erlauben“, sagte Ginny Jasontek, die ehemalige Präsidentin des US-Syndie chronschwimmer-Verbandes (USSSF). Es war ein Schlag ins Gesicht für den besten Synchronschwimmer aller Zeiten: William „Bill“May. Ende der 90er-Jahre dominierte der 25-Jährige mit seiner Partnerin Kristina Lum
Duett-Bewerbe dieser Welt. 2000 wollte May endlich auch bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen antreten. Doch die USSSF lehnte es ab, einen Antrag auf Zulassung von gemischten Duetten zu stellen.
May wurde im Stich gelassen – vom eigenen Verband. Die Sommerspiele 2004 in Athen fanden ohne ihn statt. Ziellos und enttäuscht musste May erkennen, dass die Zeit noch nicht reif für männliche Unterwasserkünstler war.
Cirque du Soleil
Wie Savija nahm auch May ein Angebot des Cirque du Soleil an und erhielt die Hauptrolle in der Unterwassershow „O“. Zehn Jahre vergingen, als er ein eMail vom Weltverband der Synchronschwimmer im Postfach fand: „Gemischte Duette werden bei der nächsten Weltmeisterschaft zugelassen.“
Historischer Meilenstein
Mit der neuen Partnerin Christina Jones trainierte May sieben Monate und flog zur WM nach Kasan. Dass die Premiere in Russland stattfand, sorgte bei vielen für Entsetzen. Synchronschwimmen sei ein „rein weiblicher Sport“, sagte der russische Sportminister Witalij Mutko. Doch May war es bereits gewöhnt, gegen den Strom zu schwimmen und sein Auftritt wurde zum Sinnbild seines unermüdlichen Einsatzes im Synchronschwimmen.
Im Alter von 36 Jahren wurde er zum ersten männlichen Weltmeister im Synchronschwimmen. „Ich würde es lieben, bei Olympia teilzunehmen. Sobald sie den Wettbewerb öffnen, werde ich da sein“, sagte Bill May nach dem Sieg. Bis es so weit ist, überbrückt er die Zeit wohl wieder auf einer der vielen Showbühnen dieser Welt.