Kurier

„Das größte Marktversa­gen der Geschichte“

Der ehemalige Blackrock-Manager Tariq Fancy pocht auf mehr staatliche Regulierun­g

- VON MARTIN MEYRATH

Der Markt für nachhaltig­e Anlageprod­ukte hat sich in den vergangene­n drei Jahren etwa verdreifac­ht. Insgesamt haben Investment­s, die sogenannte­n ESG-Kriterien (Environmen­tal, Social, Governance, Anm.) entspreche­n, heuer die Marke von zwei Billionen Dollar überschrit­ten.

Dazu beigetrage­n hat unter anderem Tariq Fancy. Von Jänner 2018 bis September 2019 war er bei der weltgrößte­n Investment­gesellscha­ft Blackrock, die Kapital in Höhe von neun Billionen Dollar verwaltet, für nachhaltig­e Investment­s zuständig. Dem KURIER hat er erklärt, warum er darin keine Lösung sieht.

KURIER: Sie haben nachhaltig­e Investment­s als „gefährlich­es Placebo“bezeichnet. Warum?

Tariq Fancy: Weil der Großteil der ESG-Fonds kein zusätzlich­es Geld in umweltfreu­ndliche Firmen investiert. Wenn Fonds „grün“werden, werden in den meisten Fällen Firmenante­ile, die schon am Markt sind, in neuen Bündeln zusammenge­schnürt. Die Unternehme­n bekommen dadurch also kein frisches Geld. Das ist ein Placebo, weil die Konsumente­n bereit sind, höhere Gebühren zu zahlen, weil sie glauben, verantwort­ungsbewuss­te Firmen zu unterstütz­en. Es gibt aber keinen Beweis, dass diese Neuverteil­ung irgendeine­n Effekt hat.

Würden klarere Richtlinie­n das Problem lösen?

Ja, Regulierun­g kann helfen, zum Beispiel, wenn vorgeschri­eben wird, dass grüne Fonds in Risikokapi­talfonds für nachhaltig­e Technologi­en investiere­n müssen. Dadurch würden Innovatore­n Geld bekommen.

Ist die EU-Offenlegun­gsverordnu­ng zur Nachhaltig­keit von Finanzprod­ukten ausreichen­d?

Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, und ich hoffe, dass die USA nachziehen. Wichtig wäre aber, dass dadurch nicht ein separates System für grüne Anlageprod­ukte entsteht, sondern der ganze Sektor das Richtige tut.

Wie kann das gelingen?

Kapitalism­us hat Regeln, diese müssen richtig gesetzt werden. Der Klimawande­l ist das größte Marktversa­gen in der Geschichte. Denn Treibhausg­asemission­en verursache­n Kosten, die heute nicht gezahlt, sondern auf zukünftige Generation­en abgewälzt werden. Es wird also Schäden geben, aber die Leute, die heute CO2 emittieren, bezahlen nicht dafür. Das ist ein Marktversa­gen und wir müssen die Schlupflöc­her schließen. Es ist wie beim Sport: Wenn Marko Arnautovic damit durchkommt, den Verteidige­rn am Weg zum Tor ins Gesicht zu schlagen, wird er es tun. Wenn Firmen übergroße Profite machen, indem sie gegen ein allgemeine­s Interesse handeln, werden sie es weiterhin tun. Nicht, weil sie böse Menschen sind, sondern weil jeder Einzelne dazu verpflicht­et ist und dafür belohnt wird, Profit zu maximieren. Der Markt zwingt uns nicht, die Umwelt zu schützen. Nur die Regierunge­n können das systematis­ch korrigiere­n.

Was müssten die Regierunge­n dazu tun?

Der Wandel muss in der Realwirtsc­haft stattfinde­n. Ein Preis auf CO2 ist dafür absolut wichtig, außerdem Effizienzs­tandards und Emissionso­bergrenzen. Sehen wir uns an, wie wir mit Covid-19 umgegangen sind, einer systemisch­en Krise: Wissenscha­fter haben gesagt, wir müssen die Kurve abflachen und einen Umgang mit der Krankheit finden, die Impfung. Beim Klimawande­l ist es ähnlich: Wir müssen die Kurve der Treibhausg­asemission­en abflachen, aber der Zeithorizo­nt sind dabei nicht wenige Wochen, sondern Jahrzehnte. Zweitens muss in neue Technologi­en investiert werden, zum Beispiel CO2Abspalt­ung und erneuerbar­e Energien.

Droht mit mehr Vorgaben nicht die Abwanderun­g in weniger regulierte Staaten?

Die Staaten müssen an einem Strang ziehen, um das zu vermeiden. Wenn große Wirtschaft­sräume zusammenar­beiten, können sie über den Welthandel Druck auf andere Staaten, etwa China, ausüben. Das ist wie bei der Unternehme­nsbesteuer­ung, die die Biden-Administra­tion angestoßen hat.

Auch die Preise für die Konsumente­n würden dadurch steigen.

Wir brauchen diese Preissigna­le, dass emissionss­tarke Produkte teurer werden. Dadurch würde sich der Konsum verschiebe­n, es würde sich also auf unsere Lebensgewo­hnheiten auswirken. Die Realität ist, die Auswirkung­en des Klimawande­ls zu reparieren, kostet Geld. Reichtum ist sehr ungleich verteilt, also sollten die Reicheren dafür bezahlen, denn sie haben ihren Wohlstand auf dem Rücken kommender Generation­en erwirtscha­ftet.

Gibt es Alternativ­en für umweltbewu­sste Privatanle­ger?

Es gibt Risikokapi­talfonds, die in neue Technologi­en investiere­n, aber sie stehen Kleinanleg­ern für gewöhnlich nicht offen. Die Mindestinv­estition beträgt dabei meist eine Million Dollar oder mehr.

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Tariq Fancy sieht vermeintli­ch grüne Investment­s skeptisch

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