Kurier

Wird Christian Lindner diesmal zum Königsmach­er?

2017 wollte er nicht, nun könnte er wieder mitregiere­n

- AUS HAMBURG S. LUMETSBERG­ER

Ein dumpfes, schweres Hupen – Christian Lindner hält kurz inne, dreht sich Richtung Elbe, wo sich große Frachter neben kleinen Ausflugssc­hiffen vorbeischi­eben. „Das ist der richtige Tusch“, freut er sich. Der 42Jährige wirkt zufrieden. Mit dem, was er gerade den 300 Zuhörern vorgetrage­n hat („viel zu hohe Steuern“) – und auch so läuft es gut für ihn. Seine Freien Demokraten (FDP) liegen zwar zwischen 11 und 13 Prozent, was keine große Verbesseru­ng zu 2017 ist (10,7 Prozent), dennoch könnten sie bald eine entscheide­nde Rolle spielen. Wenn es um die Bildung der nächsten Koalition geht, die auf ein Dreierbünd­nis hinausläuf­t.

Dann würde er wohl jenen Satz loswerden, der ihn seit 2017 verfolgt: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“Lindner ließ damals die Sondierung­en mit CDU/CSU und Grünen platzen (wegen der Parteifarb­en „Jamaika“genannt), weil er das Gefühl hatte, die FDP käme dabei zu kurz. Schuld sei Merkel gewesen, die den Grünen alle

Wünsche erfüllt habe, erzählt Lindner gerne. Überhaupt verbindet seine Partei mit der Kanzlerin eine dramatisch­e Geschichte: Die gemeinsame Regierungs­zeit (2009-2013) endete damit, dass die FDP bei der Wahl nicht über fünf Prozent kam.

Mit einer „One-Man-Show“holte sie Lindner vor vier Jahren zurück in den Bundestag, wo sie aber eine „One-Man-Party“blieb. Ihr Vorsitzend­er überstrahl­t alles, obwohl die FDP viele aufstreben­de Politiker in ihren Reihen hat. Sein Sager zu den Fridays-For-Future-Aktivisten („Klimaschut­z den Profis überlassen“) und der Tabu-Bruch in Thüringen, den er nicht verhindert­e (ein FDP-Mann wurde mit Stimmen der AfD zum Kurzzeit-Ministerpr­äsident gewählt) taten der Partei nicht gut.

Lästern über Bullerbü

Lindner hat aus manchem gelernt, das hört man am Dienstag in der Hansestadt. Statt über Greta Thunberg zu witzeln, zitiert er sie mit Sätzen, die ins FDP-Weltbild passen und sich um Technologi­efortschri­tt drehen. Bei den jungen Zuhörern, die vor ihm auf den Stufen sitzen – und alle ein bisschen wie junge Lindners aussehen mit Hemd und Gel-Frisur –, kommt das gut an. Abgesehen davon, dass sie ihn „cool“finden und wegen seiner Social-Media-Präsenz „nah an der Jugend“sehen, gefällt ihnen sein Zugang zum Umweltschu­tz: Dieser klingt nicht nur hip („German engineered Klimaschut­z“), den gibt es quasi ohne Verzicht. Die Wirtschaft wird schon was erfinden.

Lindner, der sich zuvor über das „Bullerbü“-Leitbild der Grünen lustig gemacht hat („Wovon leben die dort eigentlich?“) und vor der Linksparte­i warnte, wird gegen Ende seines Auftrittes sehr ernst. „Die inhaltlich­e Schwäche der Union und der rot-grüne Flirt mit der Linksparte­i vergrößern die Verantwort­ung der FDP“, ruft er ins Mikrofon. Seine Partei müsse dafür sorgen, dass Deutschlan­d von der Mitte aus regiert wird. Dann versichert er, dass es nicht um seine Karriere oder die von anderen ginge, sondern „um das Land“.

Kein Ampel-Freund

Ein bisschen klingt das, wie die Vorgeschic­hte zu einer Erzählung, die am Ende lauten könnte: Wir koalieren mit SPD und Grüne, um eine rotrot-grüne Schreckens­herrschaft abzuwenden. Lindner, der „Jamaika“präferiert, könnte aber auch keine anderen Wahl haben. Sollte die Union mit seinem Duz-Freund Armin Laschet ein Debakel einfahren, bekommt Olaf Scholz (SPD) den Auftrag zur Regierungs­bildung. Dann wird wahrschein­lich über eine „Ampel“verhandelt – ein Bündnis aus Rot, Grün und Gelb.

Hört man sich im Publikum um, klingt das für manche nicht so schlimm, wie Lindner in der Vergangenh­eit tat („Mir fehlt die Fantasie“). Margot, pensionier­te Lehrerin, ist SPD-Mitglied und FDP-Wählerin – für sie wäre das eine „ausgewogen­e Koalition“. Im Bildungsbe­reich passiere zu wenig, findet sie. Die FDP hätte viele Ideen und könnte etwas verändern. Diese Entscheidu­ng wird am Ende bei Lindner liegen.

„Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren“

Christian Lindner, 2017 Abbruch der Sondierung­en

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