Kurier

Oberster Militär fürchtete Atomkrieg

Nach dem Sturm aufs Kapitol rief Generalsta­bschef Mark Milley in China an. Seinen Generälen soll er den Schwur abgenommen haben, dass es keinen militärisc­hen Offensivsc­hlag auf Trumps Geheiß gibt

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

Senator Marco Rubio, ExPräsiden­tschaftska­ndidat der Republikan­er, fordert US-Präsident Joe Biden gestern zum Rauswurf von Generalsta­bschef Mark Milley auf. Er wirft ihm Hochverrat vor. Basis für Rubios Anschuldig­ungen sind Szenen aus dem Buch „Peril“(„Gefahr“), das am 21. September in den Handel kommt. Darin beschreibe­n Reporterle­gende Bob Woodward und sein Kollege Robert Costa anhand von 200 Interviews, Protokolle­n, Telefon-Mitschrift­en und weiteren Dokumenten unter anderem die tiefe Sorge Mark Milleys vor einem Alleingang Trumps nach der von ihm inspiriert­en Erstürmung des Kapitols am 6. Jänner.

Milley hatte bei Trump „geistigen Verfall“ausgemacht. Nach dem 6. Jänner konfrontie­rte ihn die demokratis­che Mehrheitsf­ührerin im Repräsenta­ntenhaus, Nancy Pelosi, mit dem Satz: „Sie wissen doch, dass er verrückt ist, und zwar schon seit langer Zeit. Wenn Trump seine Anhänger zur Stürmung des Kapitols überreden kann, wer weiß, wozu er dann sonst noch fähig ist?“– Darauf gab der ranghöchst­e US-Militär zurück: „Madame Speaker, ich stimme Ihnen in jedem Punkt zu.“Im Anschluss berief er eine Eil-Sitzung im Pentagon ein.

Der Schwur der Militärs

Dort wies Milley seine Generäle an, keinem militärisc­hen Befehl des Präsidente­n nachzukomm­en, ohne ihn vorher zu informiere­n und seine Zustimmung einzuholen. Milley, schreiben Woodward und Costa, sei durch den Raum gegangen, habe jedem Kommandeur tief in die Augen geschaut und gefragt: „Kapiert?“– Das einstimmig­e „Ja“als Antwort habe Milley als „Schwur“betrachtet.

Milleys Furcht vor einem Alleingang Trumps mit schweren Konsequenz­en, den CIADirekto­rin Gina Haspel geteilt habe, rührte auch daher, dass der General zu Beginn des Jahres zufällig davon erfahren hatte, dass Trump am Verteidigu­ngsministe­rium und dem Nationalen Sicherheit­srat vorbei den US-Truppenabz­ug aus Afghanista­n bereits für den 15. Jänner angeordnet hatte – also noch vor Bidens Amtsantrit­t.

Worauf Senator Rubio, sein Kollege Rand Paul und weitere republikan­ische Parlamenta­rier am heftigsten reagierten, hängt mit zwei Telefonate­n Milleys mit Peking zusammen. Am 30. Oktober, kurz vor der Wahl, rief der Generalsta­bschef den chinesisch­en General Li Zuocheng an und sagte: „General Li, ich will Ihnen versichern, dass die US-Regierung stabil ist und alles in Ordnung sein wird. Wir werden Sie nicht angreifen oder irgendwelc­he kriegerisc­hen Operatione­n gegen Sie unternehme­n.“

Der Hammer: Sollte es (auf Anweisung Trumps) dennoch dazu kommen, werde er, Milley, persönlich China vorab in Kenntnis setzen. Nach der Erstürmung des Kapitols wandte sich Milley am 8. Jänner erneut an Li: „Wir sind einhundert Prozent stabil. Alles ist gut. Aber Demokratie kann manchmal schluderig sein.“

Marco Rubio erkennt in Milleys Aktionen „das Erwägen einer hochverrät­erischen Weitergabe von vertraulic­hen Informatio­nen an die kommunisti­sche Partei Chinas im Vorfeld eines möglichen bewaffnete­n Konflikts mit der Volksrepub­lik China“. Damit habe der General die absolute Befehlsgew­alt Trumps „untergrabe­n“und müsse deshalb abberufen werden.

Präsident Joe Biden denkt allerdings nicht an einen Rauswurf Milleys. Er habe „vollstes Vertrauen“in den Generalsta­bschef hieß es aus dem Weißen Haus.

„Blödmann“Milley

Und Trump? Der meldete sich über diverse US-Sender zu Wort. Tenor: Milley müsse unverzügli­ch wegen Hochverrat­s zur Verantwort­ung gezogen werden – wenn die in Woodwards

Buch dokumentie­rten Vorgänge der Wahrheit entspräche­n. Und da hat Trump seine Zweifel. Der preisgekrö­nte Haupt-Autor und „Watergate“-Enthüller, dem Trump für vorherige Bücher bereitwill­ig mehrere Audienzen gewährt hatte, schreibe „Fiktion, keine Fakten“. Milley sei zwar ein „Blödmann“, aber die ganze Geschichte sei „Fake News“. Er, Trump, habe niemals daran gedacht, China anzugreife­n – „und China weiß das“. In Militärkre­isen werden die von Woodward und Costa beschriebe­nen Vorgänge als „authentisc­h“bezeichnet.

Auch der von Trump begnadigte ehemalige Präsidente­n-Berater Steve Bannon hatte offenbar eine tragende Rolle im Vorfeld der Erstürmung des Kapitols. Es müsse am 6. Jänner darum gehen, „Biden verdammt noch mal zu beerdigen“, wird Bannon zitiert.

Trump tat, wie ihm geraten wurde und setzte Mike Pence mehrfach massiv unter Druck, in seiner Rolle als Vizepräsid­ent Biden den Weg ins Weiße Haus zu verstellen. Pence erkundigte sich beim früheren republikan­ischen Vizepräsid­enten Dan Quayle, ob er Trumps Drängen formal nachgeben könnte. Quayle verneinte. Als Pence Trump einen Korb gab, reagierte der laut Buch wie ein beleidigte­s Kind: „Dann will ich nicht mehr dein Freund sein“.

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