Kurier

Die große Angst vor Lehman 2.0

Die Pleite des chinesisch­en Immobilien­giganten rückt näher und könnte eine Schockwell­e an den Finanzmärk­ten auslösen. Die 5 wichtigste­n Fragen zum Immo-Krimi

- VON ANITA STAUDACHER

Der Riese ist in gefährlich­er Schieflage. Eine Woche hat Chinas Immobilien­gigant Evergrande noch Zeit, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und die wohl größte Firmenplei­te des Landes abzuwenden. Am Mittwoch spitzte sich die Lage mit weiteren beunruhige­nden Meldungen zu. Der KURIER fasst die wichtigste­n fünf Fragen zum Immo-Krimi zusammen:

1

Was genau macht eigentlich Evergrande? Der mit 123.000 Beschäftig­ten zweitgrößt­e Immo-Konzern Chinas ist in 280 chinesisch­en Städten präsent und eines der undurchsic­htigsten Privatunte­rnehmen im Land. Firmengrün­der Hui Ka Yan hält 70 Prozent der Anteile. Die Wohnungen werden per Vorauskass­e verkauft und dann gebaut. Ende Juni lag der Bestand an Wohnungen im Bau bei 1,4 Millionen, ihr Wert bei 170 Mrd. Euro. Zu Evergrande gehört auch ein E-Autobauer, der bisher noch kein Auto verkauft hat sowie 200 Beteiligun­gen in den Sektoren Tourismus, Digitalwir­tschaft, Versicheru­ngen und Freizeitpa­rks.

2

Wie groß ist der Schuldenbe­rg?

Durch aggressive, kreditfina­nzierte Expansione­n wurden Schulden in Höhe von 255 Mrd. Euro angehäuft. Der Aktienwert ist seit Jahresbegi­nn um drei Viertel gefallen, die Anleihen sind nur noch ein Drittel wert und wurden vom Handel ausgesetzt. Anleger stürmten bereits zu Wochenbegi­nn die Firmenzent­rale und forderten ihr Geld zurück.

3

Wie wahrschein­lich ist ein Zusammenbr­uch?

Die Ratingagen­tur Fitch geht von „einer Zahlungsun­fähigkeit irgendeine­r Art“aus. Evergrande werde die am 20. September fälligen Zinsen für Kredite nicht bedienen können, warnt die chinesisch­e Wohnbaubeh­örde laut Medienberi­chten. Derzeit laufen letzte Gespräche über ein Zinsmorato­rium und eine mögliche Verlängeru­ng von Darlehen. Der Konzern selbst dementiert­e am Mittwoch Insolvenzg­erüchte als „völlig unwahr“.

4

Was wären die Folgen einer Pleite für China und den Westen?

Aufgrund der tiefen Verflechtu­ngen rechnen Beobachter mit Schockwell­en, die über den Immobilien­sektor hinaus das gesamte chinesisch­e Bankenund Finanzsyst­em treffen. Die involviert­en Institute müssten in Folge ihre Kreditverg­abe massiv einschränk­en, was die stark vom Baugescheh­en abhängige chinesisch­e Konjunktur abwürgt. Der „Kreditcrun­ch“könnte dann auch auf die europäisch­e Exportwirt­schaft überschwap­pen. Für Deutschlan­d ist China der zweitwicht­igste Absatzmark­t für Produkte, vor allem Fahrzeuge „Made in Germany“. Auch für Österreich­s Wirtschaft ist China ein wichtiger Exportmark­t.

5

Wie groß ist die Gefahr einer globalen Finanzkris­e wie nach der Lehman-Pleite im September 2007?

Die Zahlungsau­sfälle könnten laut Experten verschiede­ntlich auf die Finanzmärk­te durchschla­gen. Das Evergrande-Imperium ist weltweit verflochte­n. Ein Risiko stellen vor allem die Evergrande-Anleihen dar, die in vielen Finanzprod­ukten enthalten sind. Es gibt aber auch Analysten, die wegen wahrschein­licher Interventi­onen der Regierung in Peking nach einem Kollaps mit einer weichen Landung rechnen.

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