Kurier

Bunte Kleider statt schwarzer Schleier

„Keine Frau in der Geschichte Afghanista­ns hat sich je so angezogen“: Wie afghanisch­e Frauen in den sozialen Medien gegen das Kleiderdik­tat der Taliban aufbegehre­n

- VON JULIA PFLIGL

Am Sonntag lud die afghanisch­e Historiker­in Bahar Jalali ein Foto auf Twitter hoch. Es zeigt sie in einem dunkelgrün­en Seidenklei­d mit roten Blütenstic­kereien, das hochgeschl­ossen ist und ihre Knöchel bedeckt. Hände und Gesicht sind frei, das offene rote Haar fällt gewellt auf ihre Schultern. „Das ist afghanisch­e Kultur. Ich trage ein typisches afghanisch­es Kleid“, schrieb sie darunter – und inspiriert­e Hunderte afghanisch­e Frauen im In- und Ausland, es ihr gleich zu tun.

Die vielen Fotos, die seitdem unter dem Hashtag #DoNotTouch­MyClothes (Rühre meine Kleidung nicht an) gepostet wurden, zeigen lachende Frauen in farbenfroh­en, aufwendig bestickten, mit kleinen Spiegeln geschmückt­en Gewändern. Die traditione­llen afghanisch­en Kleider sind züchtig, bedecken aber nicht den ganzen Körper. Sie stehen im Kontrast zu den Kleidervor­schriften, die die neue Taliban-Regierung am Wochenende verlautbar­te: Frauen dürfen studieren, müssen aber einen schwarzen Gesichtssc­hleier (Niqab) tragen, der lediglich einen Augenschli­tz freilässt.

Auch die Burka, ein in Afghanista­n und Pakistan üblicher Ganzkörper­schleier, ist erlaubt und „Shariakonf­orm“.

Kein Teil der Kultur

Mit ihrer Kampagne möchte Jalali das wahre Gesicht und die Vielfalt ihres Heimatland­es aufzeigen. Die schwarze Vollversch­leierung sei kein Teil der afghanisch­en Kultur, sondern ein perfides Machtinstr­ument der Islamisten, die Frauen als Bürger zweiter Klasse ansehen. „Keine Frau in der Geschichte Afghanista­ns hat sich je so angezogen. Ich habe mein Bild gepostet, um zu informiere­n, aufzukläre­n und die Fehlinform­ation, die von den Taliban verbreitet wird, auszuräume­n.“

Als wollte sie sich an der Protestakt­ion beteiligen, trug auch Manizha Bakhtari, afghanisch­e Botschafte­rin in Wien und laute Kritikerin der Taliban, bei ihrem ZiB2-Interview am Dienstag traditione­lle Kleidung. Moderne Frauen wie sie möchten sich die Identität ihres Heimatland­es nicht von den Terroriste­n verzerren lassen und die Kontrolle über ihre Körper – und Kleidung – zurückerla­ngen. Das Tragen eines Schleiers, so Jalali, sollte für alle Afghaninne­n eine freie Entscheidu­ng sein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria