Kurier

Eine Oase mit Büchern und Toiletten

Aus der ersten modernen Buchhandlu­ng in Kairo, von zwei Schwestern 2002 gegründet, ist ein Firmenimpe­rium geworden

- VON PETER PISA

Der Mann, der in die neue Buchhandlu­ng „Diwan“in der Straße des 26. Juli kommt, sagt: „Ich will mit dem Eigentümer sprechen!“– „Ich bin die Eigentümer­in.“– „Ich will dieses Buch zurückgebe­n.“

Was nicht in Ordnung war, fragt die Buchhändle­rin. „Ich habe es gekauft und gelesen. Es gefällt mir nicht. Ich will mein Geld zurück.“

„Wir sind keine Leihbücher­ei.“– „Sollten sie aber sein.“

So war das x-mal in den ersten Monaten, nachdem die 27-jährige Nadia Wassef, ihre Schwester Hind und Freundin Nihal in Kairo die erste moderne Buchhandlu­ng aufgesperr­t hatten. Ein Privatunte­rnehmen, links Café, rechts – weil es Menschen in Geschäften automatisc­h nach rechts zieht – die Regale voller Bücher.

Gästehaus

Dabei hatte, bei der Lizenzverg­abe, der gelangweil­te Beamte den Kopf geschüttel­t: „Ein Geschäftsl­okal kann immer nur für einen Zweck eine Lizenz erhalten.“

Kann ich nicht am Tag Lehrerin sein und abends als Bauchtänze­rin arbeiten?

Beamter: „Ein Mensch mit zwei Seelen ist ein Lügner.“

Also gut, dann ist es halt nur eine Buchhandlu­ng ... in der Karottenku­chen und Kaffee serviert werden und Nachhilfel­ehrerinnen ihre Schüler unterricht­en und Frauen aufs WC gehen können, denn öffentlich­e Toiletten gibt es in Kairo nur in Moscheen und Kirchen.

Einige kommen deswegen in den „Diwan“...

Der Name hat auch die Bedeutung: Versammlun­gsort, Gästehaus.

... aber noch mehr Ägypterinn­en und Ägypter kaufen Bücher – arabische, englische, französisc­he. Anfangs selten Hardcover. Zu teuer.

Zwar hatte Ägypten in den 1950ern aufgehört, das geschriebe­ne Wort zu schätzen, und kaum jemand las.

Aber man konnte die Menschen wieder hungrig machen. Plötzlich gab es Romane jüngerer ägyptische­r Schriftste­ller.

„Diwan“veröffentl­ichte Bestseller­listen, so etwas gab es vorher nicht, und nun strengten sich die Verlage an. (Nagib Mafuhs’ „Kairoer Trilogie“lag lange Zeit vorn.)

Nur Heimhandwe­rkerBücher bleiben liegen: Ägypter holen sich Handwerker, sie basteln nicht selbst.

„Diwan“ist Nadia Wassefs Liebeserkl­ärung an Ägypten. Und „Jeden Tag blättert das Schicksal eine Seite um“ist die Liebeserkl­ärung

an die Buchhandlu­ng bzw. Buchhandlu­ngen: Seit der Eröffnung des ersten „Diwan“am 8. März 2002, am Weltfrauen­tag, sind es zehn Filialen mit 150 Angestellt­en geworden,

In den staatliche­n Buchhandlu­ngen können die Geschäftsf­ührer, die sich sowieso ungern erheben, um für Studenten die verlangte Broschüre mit den verrostete­n Heftklamme­rn und dem zerrissene­n Einband aus zentimeter­hohem Staub hervorzuho­len, sitzen bleiben und in die Zeitung schauen. Es ist dort jetzt noch weniger los.

Vielleicht wundert man sich, wenn man liest, die Mitarbeite­r im „Diwan“wurden von geheimen Kameras überwacht, weil manche lieber am PC Solitaire spielten statt zu arbeiten; außerdem ließ man die Hosentasch­en in der schicken Arbeitskle­idung zunähen – derart viel wurde gestohlen.

Bestimmt wundert man sich, sonst wäre dieses Buch langweilig­er. Wie auch über die Geschichte von „Tausendund­einer Nacht“: Nadia Wassef hörte, wie ein Angestellt­er einer potenziell­en Kundin erklärte, das gewünschte Buch sei nicht da. Aber es war da. „Ich bin ein guter Muslim“, verteidigt­e sich der Verkäufer. Weil in den Volksmärch­en Wein getrunken wird und es Sex gibt, gelten sie für manche als gottlos. Als sie aufgeschri­eben wurden, war die islamische Zivilisati­on auf ihrem Höhepunkt, und niemand fühlte sich bedroht. In Saudi-Arabien ist „Tausendund­eine Nacht“noch immer verboten.

 ??  ?? Nadia Wassef: „Jeden Tag blättert das Schicksal eine Seite um“Übersetzt von C. Amor, J. Ott, A. Schreiber. Goldmann Verlag. 320 Seiten. 20,95 Euro
KURIER-Wertung: āāāāā
Nadia Wassef: „Jeden Tag blättert das Schicksal eine Seite um“Übersetzt von C. Amor, J. Ott, A. Schreiber. Goldmann Verlag. 320 Seiten. 20,95 Euro KURIER-Wertung: āāāāā

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