Kurier

„Wien muss einen Zahn zulegen“

Ministeriu­m kritisiert das Test- und Impfprogra­mm an Wiens Schulen scharf

- JOSEF GEBHARD

Interview. Martin Netzer, Generalsek­retär im Bildungsmi­nisterium, bemängelt die geringe Durchimpfu­ngsrate bei den Wiener Schülern und stellt „Alles gurgelt“ein schlechtes Zeugnis aus.

KURIER: Zum Schulstart gab es in Wien Probleme mit den „Alles gurgelt“-PCRTests, die seitens der Stadt an Mittel- und höheren Schulen durchgefüh­rt werden. Sind sie inzwischen im Griff?

Martin Netzer: Die Testabdeck­ung durch „Alles gurgelt“bei den 150.000 Wiener Schülern in den NMS und in der Oberstufe kommt über 50 Prozent nicht hinaus. Von den angestrebt­en zwei Tests pro Woche ist man weit entfernt. Aber ich bin zuversicht­lich, das haben auch unsere Gespräche mit der Stadt Wien ergeben, dass das rasch saniert wird. Das Problem ist nach wie vor: Es finden viele Tests nicht wie geplant an den Schulen, sondern zu Hause statt, weil ihre Durchführu­ng für die Lehrer zu aufwendig ist. Und die Schnittste­lle funktionie­rt einfach nicht.

Was ist das Problem an den Heimtests?

Wenn das Programm in die Haushalte verlegt wird, muss die Motivation der Eltern und Kinder schon sehr groß sein, damit es funktionie­rt. Umso wichtiger ist ein niederschw­elliges, einfach handhabbar­es Angebot an den Schulen, bei dem für die Eltern keine Arbeit anfällt.

Eltern- und Lehrervert­reter haben kritisiert, dass es auch bei dem vom Bund organisier­ten Programm „Alles spült“Probleme gibt.

Es gab auch hier Anlaufschw­ierigkeite­n. Es waren aber nur kleine Anpassunge­n notwendig, vor allem beim Abholsyste­m. Mittlerwei­le erreichen wir bei den Wiener Volksschül­ern eine Abdeckung von 95 Prozent. Das System ist sehr robust. Wir bekommen Anfragen aus Deutschlan­d, wo man erstaunt ist, was wir auf die Beine gestellt haben.

Angesichts der sehr niedrigen Zahl an Infizierte­n, die entdeckt werden: Lohnt sich dieser enorme Aufwand überhaupt?

Allein in OÖ haben wir so 80 infizierte Schüler aufgespürt. Und es geht ja nicht um den einzelnen Schüler allein. Hinter ihm steckt ja auch eine Familie, die ebenfalls potenziell infiziert ist.

Bildungsst­adtrat Christoph Wiederkehr will die dreiwöchig­e Sicherheit­sphase an den Schulen auf das ganze Semester ausweiten. Ist das denkbar?

Wir sehen das kritisch. Denn das würde bedeuten, dass sich auch geimpfte Schüler weiterhin dem Testprogra­mm unterziehe­n müssten. Viele werden sich dann fragen, wozu sie sich überhaupt impfen lassen sollen, wenn sie dadurch keinen Vorteil gegenüber den Nichtgeimp­ften haben. Wir werden die Sicherheit­sphase daher sobald wie möglich beenden. Alle Nichtgeimp­ften werden weiterhin engmaschig getestet, die Geimpften können freiwillig einen PCRTest machen.

Wien schickt Impfbusse zu Schulen, um die Impfquote zu heben. Ein Modell mit Vorbildwir­kung?

Die Impfbusse in Wien gehen auf eine Idee von uns zurück. Wien muss beim Impfen der Schüler aber noch einen Zahn zulegen. Im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern liegt man bei der Durchimpfu­ng dieser Altersgrup­pe nur im unteren Mittelfeld.

Gewerkscha­fter kritisiere­n die mangelhaft­e Kooperatio­n mit den Gesundheit­sbehörden. Teilen Sie diesen Befund?

Das ist ein österreich­weites Problem. Wird ein Schüler positiv getestet, dauert es oft drei Tage, bis die Behörden den Absonderun­gsbescheid ausgestell­t haben. Die Schulleite­r sind daher gezwungen, sie auf eigene Initiative nach Hause zu schicken. Aber weil die Behörden so langsam sind, verzögert sich das Contact Tracing. Damit verpufft der Vorsprung, den wir durch das Testprogra­mm gewinnen.

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