„Wir haben beschissen“
VW-Dieselskandal. Beim Prozessauftakt gegen die Verantwortlichen fehlt der wesentliche Beschuldigte. Den Angeklagten drohen jahrelange Freiheitsstrafen
Am 18. September 2015, also fast exakt vor sechs Jahren, löst die US-Umweltbehörde den bisher größten Skandal in der Geschichte der Automobilindustrie aus. Sie stellt Manipulationen in großem Stil bei Dieselautos von VW fest und leitet Untersuchungen ein. Diese führen zu hohen Strafzahlungen und Schadenersatzzahlungen (siehe Info).
Die strafrechtliche Aufarbeitung ist aber noch lange nicht abgeschlossen. Seit dem Vorjahr läuft der Prozess gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler und andere Managern der VW-Tochter. Und gestern, Donnerstag, fiel in Braunschweig der Startschuss um die strafrechtliche Verantwortung von VW-Führungskräften. Vier Ex-Manager stehen wegen des Vorwurfs des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs vor Gericht.
Der mutmaßliche Tatzeitraum reicht zurück bis ins Jahr 2006. Nicht vor Gericht erscheinen wird Ex-VWBoss Martin Winterkorn. Er musste sich vor geraumer Zeit einer Operation unterziehen und fällt daher aus Gesundheitsgründen aus. Sein Verfahren soll zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.
Dennoch stand der langjährige Ex-Boss zum Auftakt im Mittelpunkt. „Auch der frühere Vorstandsvorsitzende hat deutlich vor dem Einräumen des Betrugs gegenüber den US-Behörden von der Täuschungsstrategie gewusst“, sagte eine Staatsanwältin. So habe er nach Überzeugung der Strafverfolger etwa über die Notiz eines Vertrauten in seiner „Wochenendpost“relativ frühzeitig erfahren, dass Dieselautos in den USA bei Tests im Jahr 2014 die zulässigen Stickoxid-Grenzwerte deutlich überschritten. Er soll dies zur Kenntnis genommen haben und die weitere Verwendung der Betrugssoftware nicht stoppen habe lassen. „Er entschied sich gegen eine Offenlegung und hoffte, die Rechtsverstöße weiter verschweigen zu können“, so die Staatsanwaltschaft.
„Voll schiefgelaufen“
Spätestens bei einer Manager-Besprechung Ende Juli 2015 sei die entsprechende Software, die die volle Abgasregelung nur in Testsituationen aktivierte und im normalen Fahrbetrieb abschaltete, dann offen thematisiert worden. Winterkorn habe seinen Vertrauten zur Vorbereitung angerufen. Der hohe Mitarbeiter habe ihm gegenüber dabei erklärt: „Wir haben beschissen.“Alle Anwesenden seien sich einig gewesen, auch noch zu diesem Zeitpunkt die Abschaltfunktion der Emissionsreinigung weiterhin gegenüber der kalifornischen Umweltbehörde zu verschweigen, so die Ankläger. Ein in Braunschweig ebenfalls angeklagter hoher Entwickler habe daraufhin bemerkt: „Shit, voll schiefgelaufen.“
Den früheren Managern und Ingenieuren werden gewerbsund bandenmäßiger Betrug sowie weitere Delikte (etwa Steuerhinterziehung) vorgeworfen. Bei einer Verurteilung drohen Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Ein Urteil wird frühestens im Sommer 2023 erfolgen.