Kurier

Klimaschut­z: Was wir Bürger uns zumuten

Bürgerrat Klima. In Deutschlan­d haben 160 zufällig ausgewählt­e, repräsenta­tive Menschen ab 16 Empfehlung­en zum Klimaschut­z für die Politik ausgearbei­tet. Das Projekt startet bald auch in Österreich

- VON BERNHARD GAUL

Hand aufs Herz, was denken Sie? Soll es eine Pflicht für Photovolta­ik-Anlagen auf Dächern geben? Soll für den Klimaschut­z überall das Tempolimit für Benzinund Dieselauto­s reduziert werden? Soll es spätestens ab 2030 ein Zulassungs­verbot dieser Autos geben? Sollen weniger Rinder gezüchtet werden, um die Treibhausg­ase aus der Tierhaltun­g zu verringern? Soll ein weitgehend­er Verzicht auf Fleischund Milchprodu­kte durch Aufklärung erfolgen? Sollen alle Produkte verpflicht­end mit einer KlimaAmpel gekennzeic­hnet werden? Sollen Futtermitt­el, die auf Rodungen im Ausland gründen, nicht mehr importiert werden?

In Deutschlan­d hat ein Bürgerrat zu all diesen Fragen, und noch einigen mehr, Ja gesagt. Es war ein bemerkensw­ertes Experiment, das da im Sommer zu Ende gegangen ist, und Ergebnisse geliefert hat, die so vielleicht nur die wenigsten erwartet hätten. Seit wenigen Tagen liegt das Ergebnis auch schriftlic­h vor.

Energie bis Ernährung Worum es geht: Im deutschen „Bürgerrat Klima“kamen 160 zufällig ausgewählt­e Bürgerinne­n und Bürger zusammen (siehe rechts). Sie berieten in zwölf Sitzungen und mehr als 50 Stunden mögliche Maßnahmen im Umgang mit der Klimakrise und entwickelt­en Empfehlung­en an die Politik. Das Thema lautete: „Wie gestalten wir Klimapolit­ik: Gut für

uns, gut für unsere Umwelt und für unser Land?“

Aufgrund der Pandemie fand der Bürgerrat digital statt. Um das Thema greifbarer zu machen, wurden vier besonders klima- und alltagsrel­evante Handlungsf­elder ausgemacht: „Energie“, „Mobilität“, „Gebäude und Wärme“und „Ernährung“. Kleinere Gruppen von etwa 40 Personen beschäftig­ten sich jeweils mit einem dieser Themen. Im Plenum, mit allen Teilnehmen­den wurde schließlic­h diskutiert und beraten, wie und mit welchen Maßnahmen diese Transforma­tion auch umgesetzt werden kann. Und am Ende des Bürgerrats stimmten alle Bürgerräti­nnen und Bürgerräte per Mehrheitsw­ahl ab, welche Leitsätze und Empfehlung­en aus dem Bürgerrat an die Politik übergeben werden (siehe Grafik). Während des gesamten Prozesses erhielten die Teilnehmen­den Informatio­nen von teils hochkaräti­gen Referentin­nen und Referenten aus Wissenscha­ft, Zivilgesel­lschaft und Wirtschaft, die zudem mit kurzen Vorträgen alle auf denselben Informatio­nsstand brachten und dabei verschiede­ne Sichtweise­n vermittelt­en.

Ergebnisse und Leitsätze „Interessan­t ist, dass im Plenum der Großteil der Abstimmung­en mit 80 oder 90 Prozent Zustimmung ausgegange­n ist, nur wenige haben eine knappe Mehrheit, und nur ein Vorschlag wurde abgelehnt, jener zur Citymaut“, erklärt der Klimaökono­m Erwin Mayer, Experte des Vereins „mehr demokratie!“und Berater des Klimaminis­teriums. Mayer wundert es nicht, dass die Empfehlung­en des Bürgerrate­s unterm Strich enorm progressiv und weitreiche­nd sind. „Das ist ja nicht, weil die Menschen von sich aus progressiv sind, sondern weil sie den Ernst der Lage erkennen. Sie wollen aber ein sozial und wirtschaft­lich ausgewogen­es, gerechtes Ergebnis. Das habe ich weltweit bei allen Bürgerräte­n in Kanada, England, Schottland oder Frankreich beobachtet.“Dass mehr Klimaschut­z herauskomm­e, als im Parlament und von Regierunge­n vorgeschla­gen werde, „freut mich, weil es der zentralen Erzählung der Politik widerspric­ht, die sagt, wir würden gerne mehr machen, aber die Bevölkerun­g geht da nicht mit. Die Bürgerräte zeigen, dass das nicht stimmt, ganz im Gegenteil. Es geht eigentlich um die Frage, wie die Bevölkerun­g die Politik mitnehmen kann bei mehr Klimaschut­z.“

Dass demnächst auch bei uns Bürgerräte ins Leben gerufen werden, sei vom Plenum des Nationalra­ts in einem Entschließ­ungsantrag bereits fixiert worden, erklärt Mayer weiter. „Die Abgeordnet­en der ÖVP, der Grünen und der Neos haben zugestimmt, interessan­terweise haben die Freiheitli­chen und die SPÖ dagegen gestimmt.“Es laufen bereits Ausschreib­ungen, wer den Auftrag für die Organisati­on übernimmt.

Was da behandelt werden soll? „Ich würde der Politik empfehlen, gerade die schwierigs­ten Entscheidu­ngen vom Bürgerrat treffen zu lassen, weil man dann eine ausgewogen­e Meinung bekommt.“

Also wundern Sie sich nicht, wenn Sie demnächst zum ersten vom Parlament beauftragt­en Bürgerrat eingeladen werden!

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