Kurier

Vom Kriminalis­ten zum Krimiautor

Ernst Geiger. Der bekannte Mordermitt­ler, der selbst keine Krimis mag, schreibt einen Kriminalro­man mit sich selbst in der Hauptrolle. Heraus kommt ein spannendes Buch über die Favoritner Mädchenmor­de

- VON DOMINIK SCHREIBER UND MICHAELA REIBENWEIN

301 Seiten hat Ernst Geiger über die drei Morde in Favoriten geschriebe­n, die in den 1980er- und 1990er-Jahren in Wien für Aufsehen sorgten. Im KURIER-Interview spricht er über sein Buch Heimweg (Edition a, 16 Euro), den perfekten Mord und warum es derzeit so wenige Tötungsdel­ikte gibt.

KURIER: Sie waren 12 Jahre Leiter der Mordkommis­sion, nun sind Sie Buchautor. Warum haben Sie sich ausgerechn­et die Favoritner Mädchenmor­de für Ihren ersten Krimi ausgesucht?

Ernst Geiger: Naja, als Autor würde ich mich nicht bezeichnen. Über vierzig Jahre habe ich versucht, Erlebtes aufzuarbei­ten, nun mache ich das in Romanform. Der Mordfall war mein erster großer Fall und der Fall, an dem ich fast gescheiter­t bin. Der Fall ist immer bei mir geblieben, ich konnte ihn nicht vergessen.

Wie sind Sie in die Ermittlung­en eingestieg­en?

Ich kann mich noch sehr genau erinnern, es war der Nationalfe­iertag 1988. Ich war im Lainzer Tiergarten laufen, als der Pager anschlug, damals gab es noch keine Handys. Der Tatort war von Anfang an sehr bizarr: Eine junge Frau, nackt, war an einen Baum gebunden und erdrosselt worden. Es fehlten Habseligke­iten wie die Handtasche oder ein Schuh. Wenn eine junge Frau ermordet wird, hat man von Anfang an einen gewaltigen Ermittlung­sdruck.

Oft schlagen Serienmörd­er solange zu, bis sie eines Tages verhaftet werden. Warum war das hier anders?

Wir haben von Anfang an erwartet, dass bald der nächste Fall kommt. Noch eine Steigerung, noch bizarrer. Und als Opfer ein Kind, weil es sich weniger wehren konnte als etwa die Alexandra Schriefl. Wir haben nach den ersten Zweifeln gemeint, das ist der Beginn einer Serie und wird nicht so schnell abreißen. Aber das ist ausgeblieb­en.

Ein Kollege von Ihnen hat den Mörder in den beiden ersten Fällen stets im Verdacht gehabt. Doch er war gar nicht froh, als der Täter dann überführt worden ist. Wie haben Sie sich gefühlt?

Wir waren schon alle froh. Vielleicht war der Gedanke da, der zweite Mord hätte verhindert werden können. Und das Unbefriedi­gende war ja auch, dass die Täter kein Geständnis abgelegt haben. Das ist schon wesentlich. Als Ermittler will man natürlich wissen, wie ist das passiert und warum?

Sind die Trophäen der Mordopfer eigentlich jemals wieder aufgetauch­t?

Im Fall Schriefl hat der Täter den Schuh zum Beispiel 42 Tage später in der Nähe des Tatortes abgelegt – ein Zeichen, um die Polizei und die Allgemeinh­eit zu provoziere­n. Die Tasche ist nicht mehr aufgetauch­t.

Sie sind ja selbst Vater einer Tochter. Wir haben Mitte September bisher 21 Frauenmord­e. Ist Österreich ein gefährlich­es Land für Frauen?

Nein, überhaupt nicht. Diese Zahlen werden immer sehr einseitig dargestell­t. In meiner Zeit als Leiter der Mordkommis­sion waren allein in Wien 40 bis 50 vollendete Tötungsdel­ikte, heute gibt es so viele in ganz Österreich. Es gab Sexualmord­e, Raubmorde, viele Morde an älteren Personen oder Homosexuel­len. Solche Mordfälle gibt es heute praktisch nicht mehr. Übrig geblieben sind die Beziehungs­morde, die von der Zahl her auch etwas weniger sind als früher. Bei den 21 Frauenmord­en sind auch sogenannte erweiterte Selbstmord­e dabei, echte Frauenmord­e waren es 17.

Sind Sie eigentlich ein KrimiFan? Schauen Sie am Sonntag den Tatort im Fernsehen?

Ich mag eigentlich gar keine Krimis. Ich habe in 40 Jahren in tiefere Abgründe geschaut als jeder Kriminalsc­hriftstell­er. Aber ich bewundere andere, die eine derartige Fantasie haben, spannende Geschichte­n zu schreiben.

Als langjährig­er Mordermitt­ler: glauben Sie, dass Sie den perfekten Mord begehen könnten?

Nein, das ist immer von Zufälligke­iten abhängig, die man nicht beeinfluss­en kann. Es kann ein sehr wenig geplanter Mord zum perfekten werden und ein hochorgani­sierter kann an einem Zufall scheitern.

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