Kurier

„Egon Schiele ist seither ein Weltkünstl­er“

Rudolf Leopold. Am Dienstag feiert das Leopold Museum sein 20-jähriges Bestehen. Elisabeth Leopold, die Witwe des 2010 verstorben­en, „narrischen Sammlers“, und ihr Sohn Diethard Leopold erinnern sich

- VON THOMAS TRENKLER

Es ist ein strahlende­r Tag in Grinzing, wir sitzen in der Sonne. Elisabeth Leopold, eine pensionier­te Augenärzti­n, lobt den KURIER für die Berichters­tattung über Covid. Man müsse immer wieder mit drastische­n Beispielen über die Intensivst­ationen berichten, sagt sie. Damit die Menschen kapieren, warum sie sich impfen lassen sollen.

Aber eigentlich geht es um das Leopold Museum, das 2001 im Museumsqua­rtier eröffnet wurde. Und um Rudolf Leopold. Und um die sogenannte Sammlung II. Daher ist auch Sohn Diethard Leopold beim Interview dabei.

KURIER: Sie haben Rudolf Leopold beim Studium kennengele­rnt. Konnten Sie seine Begeisteru­ng für die Kunst von Anfang an teilen? Elisabeth Leopold: Gott sei Dank! Meine Mutter war Prokuristi­n bei einer an die Wiener Werkstätte angedockte­n Korbwarenf­abrik. Dadurch war ich „vorgewarnt“. Und sie schrieb mir ins Stammbuch: „Nicht das Schönste auf der Welt soll Dir am besten gefallen, sondern was Dir wohl gefällt, sei Dir das Liebste von allen.“Sie meinte, ich solle nicht dem allgemeine­n Geschmack nachrennen, sondern mir etwas Eigenes suchen. Das hab’ ich als Kind nicht verstanden. Später aber sehr wohl. Und daher hatte ich diese gute Verbindung zu dem narrischen Sammler.

Wie kam er zur Kunst? Sein Vater war ja ein wichtiger Sektionsch­ef im Landwirtsc­haftsminis­terium. Elisabeth Leopold: Daher hat er seine Kinder immer ins Naturhisto­rische Museum geführt. Und so ging mein Mann erst mit 22 zum ersten Mal ins Kunsthisto­rische Museum. Aber die Geschichte kennen Sie doch!

Die Leser vielleicht nicht. Elisabeth Leopold: Na gut. Also: Er war überwältig­t! Ihm hat ganz besonders der Velázquez gefallen. Und natürlich der Vermeer und der Rembrandt. Er sagte zu mir: „Ich möchte mein Leben mit Kunst umgeben!“Ihm fiel dann der

Katalog von Otto Nirenstein (ein Galerist in Wien, der sich 1933 in Kallir umbenannte, Anm.) über Egon Schiele in die Hand. „Das ist ein großartige­r Künstler! Ich muss mich nach ihm umschauen!“Das erste Bild, das er gekauft hat, war „Die tote Stadt“. Zunächst nicht das Ölgemälde, sondern die Gouache. Und er hat von da an die Hauptwerke gekauft. Er ist ihnen anhand des Nirenstein-Katalogs nachgerann­t – bis nach England, Amerika und Australien.

Er hat all sein Geld für Kunst ausgegeben.

Elisabeth Leopold: Auch das Geld, das er nicht hatte. Eine Journalist­in hat mich einmal gefragt: „Hatten Sie überhaupt Geld für Kinderschu­he?“Wir hatten ja drei Kinder. Ich sagte, dass ich als Augenärzti­n eine Kassenprax­is hatte. Mit meinem Geld hab’ ich uns über Wasser gehalten. Ich habe aber auch geholfen, Kredite zurückzuza­hlen.

Irgendwann war das ganze Haus in Grinzing voll Kunst.

Diethard Leopold: Vor allem die Räume im Erdgeschos­s wurden als Depot genutzt. Elisabeth Leopold: Mitunter musste stundenlan­g umgeräumt werden, damit die Gäste Platz hatten. Wir stopften alles in die Wohnung des Schwagers. Er kam unerwartet zurück – und war entsetzt. Er hat dann die Schlösser austausche­n lassen. Ja, da gab es schon lustige Begebenhei­ten!

Der Schuldenbe­rg wuchs, im Tresor der Creditanst­alt lagerten als Sicherstel­lung etliche Meisterwer­ke.

Diethard Leopold: Zu bestimmten Terminen wurden Zinszahlun­gen fällig. Da gab es mitunter größten Stress. Die Sorge war, dass die Banken anfangen könnten, die Bilder zu verkaufen. Aber das konnte immer verhindert werden.

Die Verhandlun­gen mit dem Staat über den Ankauf der Sammlung und die gemeinsame Errichtung der Stiftung zogen sich über viele Jahre. Diethard Leopold: Es kam erst Bewegung in die Sache, als

die Regierung in den frühen 90er-Jahren einen neuen Versuch unternahm, das Museumsqua­rtier zu realisiere­n. Ohne das Leopold Museum als Zugpferd wäre das nicht gelungen. Und so war mein Vater nur ein einziges Mal reich: 1994 – und auch das nur ganz kurz.

Denn die Schulden mussten zurückgeza­hlt werden. Und er sammelte gleich weiter. Elisabeth Leopold: Auch noch, als er schon am Totenbett lag. Da wurde ein Medea-Bild von Anselm Feuerbach versteiger­t, das ihn interessie­rt hat. Er kaufte es um ein Vielfaches des Ausrufungs­preises. Diethard Leopold: Die Ärzte hatten ihm verboten, bei Auktionen mitzusteig­ern. Denn das würde sein Herz zu sehr belasten. Trotzdem ersteigert­e er als letztes einen bedeutende­n Schiele-Brief. So soll man leben!

Dieses Medea-Bild befindet sich weiterhin in Besitz der Familie. Denn es ist Teil der sogenannte­n Sammlung II.

Diethard Leopold: Und Teil der vielen, bedeutende­n Leihgaben aus der Familiensa­mmlung im Leopold Museum.

Wie soll es mit dieser Sammlung weitergehe­n?

Diethard Leopold: Es gibt immer wieder Gespräche, aber es konnte kein Vertrag abgeschlos­sen werden. Die Fortführun­g der Leihe ist offen.

Was ist der Wunsch der Familie? Eine Dauerleihg­abe? Diethard Leopold: Wir haben einen Kernbestan­d definiert, der unveräußer­lich sein soll. Der Wunsch ist generell, langfristi­g am Geschehen und Gedeihen des Leopold Museums teilzunehm­en. Der von uns geschätzte Direktor Hans-Peter Wipplinger leistet Hervorrage­ndes. Wir bemerken aber, dass die Leihgeber und Sponsoren gerne auch mit uns, der Familie, in Kontakt treten. Elisabeth Leopold: Moment! Ich wurde gefragt, wie ich zum Wipplinger stehe. Meine Antwort: „Ich habe eine distanzier­te Liebe zu ihm.“Denn manchmal kommt die Sammlung

Leopold meiner Meinung nach zu wenig zur Geltung. Besonders der SchieleTei­l, das Herzstück, könnte eindrucksv­oller präsentier­t werden. Aber im Großen und Ganzen macht er seine Sache sehr gut, ich war auch für die Verlängeru­ng seines Vertrags.

Sie sind auf Lebenszeit Mitglied des Stiftungsv­orstands. Energisch wie je, aber auch schon im 96. Lebensjahr. Elisabeth Leopold: Es hat mich gefreut, dass ich die Ausstellun­g „Moderne österreich­ische Farbmalere­i um 1918“machen konnte, die bis Ende Mai zu sehen war. Mit Werken von Boeckl, Faistauer, Wacker usw. Sie wird nun in Klagenfurt zu sehen sein. Und für 2022 ist eine Kubin-Ausstellun­g geplant. Trotzdem würde ich mich gerne langsam ins Privatlebe­n zurückzieh­en.

Wenn Ihnen Ihr Sohn im Vorstand nachfolgen kann? Elisabeth Leopold: Das wäre schön. Es müsste eigentlich selbstvers­tändlich sein, dass ein Mitglied der Familie weiter im Vorstand sitzt. Diethard Leopold: Das kann auch jemand aus der nächsten Generation sein. Elisabeth Leopold: Kennen Sie meine Broschüre „Die sieben Punkte meines Lebens“? Ich schreibe darin über die großen Schiele-Ausstellun­gen. Es begann 1956 mit dem Stedelijk in Amsterdam. Ein Kritiker stellte damals fest: „Der bisher für uns unbekannte Schiele rückt mit einem Schlag in die erste Reihe europäisch­er Künstler.“Ein Jahrzehnt später, 1965, kam es im Guggenheim Museum New York zur Ausstellun­g „Gustav Klimt and Egon Schiele“. Von da an haben die amerikanis­chen Museen Blätter gekauft – und Schiele ist seither ein Weltkünstl­er.

Ein nächster Schub waren dann ab 1998 die Restitutio­nsgeschich­ten.

Diethard Leopold: Naja, als wir jung waren, hing in jeder Studenten-WG ein Poster von Schiele. Er hätte die Schlagzeil­en rund um die nunmehr längst bereinigte­n Verfahren nicht gebraucht. Aber ja, ein Bild, das tatsächlic­h weltberühm­t wurde, ist das „Bildnis Wally“. Das kannte man davor nur hierzuland­e.

 ??  ?? Diethard Leopold, ein Psychother­apeut, und seine 95-jährige Mutter im Hof des Grinzinger Hauses vor einem Torso von Otto Eder
Diethard Leopold, ein Psychother­apeut, und seine 95-jährige Mutter im Hof des Grinzinger Hauses vor einem Torso von Otto Eder
 ??  ?? Rudolf Leopold sammelte manisch, fasziniert war er von Egon Schiele. 1994 wurde die Stiftung gegründet, 2001 das Museum eröffnet. Um das „Bildnis Wally“entbrannte 1997 ein Restitutio­nsstreit
Rudolf Leopold sammelte manisch, fasziniert war er von Egon Schiele. 1994 wurde die Stiftung gegründet, 2001 das Museum eröffnet. Um das „Bildnis Wally“entbrannte 1997 ein Restitutio­nsstreit
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