Kurier

Vergiftete Riesen

Die Zahl der Meeressäug­etiere geht aus vielen Gründen zurück. Eine neue Technologi­e bestätigt, dass Quecksilbe­r für die Massenstra­ndungen mitverantw­ortlich sein könnte

- VON HEDWIG DERKA

Ein Massaker in diesem Ausmaß gab es hier auf den Färöer-Inseln noch nie. An Land reihte sich Kadaver an Kadaver, das Wasser war rot gefärbt. Zuvor hatten Boote eine Delfinschu­le in den Skalafjord getrieben. Im Seichten blieb der Herde keine Chance, den Lanzen und Messern der Jäger zu entkommen. Die alljährlic­he „Grindadrap“-Jagd vor einer Woche kostete 1.400 Meeressäug­er das Leben. Selbst eingefleis­chte Fans der Tradition aus Wikingerta­gen hielten die große Zahl an getöteten Tieren für „überzogen“.

„Wir lehnen jeden Walfang ab; auch den für wissenscha­ftliche Zwecke. Wir nehmen unsere Proben nur an gestrandet­en Walen“, sagt Jörg Feldmann. Der Umweltchem­iker der Universitä­t Graz konnte kürzlich mit französisc­her Technologi­e nachweisen, dass der hohe Quecksilbe­rgehalt in den Weltmeeren mitverantw­ortlich für Walstrandu­ngen sein könnte. Auch andere Experten wissen um die Auswirkung­en des Nervengift­s auf Tier und Mensch.

„Wir haben in der frischen Leber eines Pottwals, der in Schottland angespült wurde, hoch konzentrie­rtes Quecksilbe­rselenid gefunden“, erklärt Feldmann. Eine extrem empfindlic­he Analysemet­hode machte die gefährlich­e Verbindung in den Organzelle­n sichtbar: Sie entsteht aus Quecksilbe­r, das u. a. durch die Verbrennun­g von Kohle in die Umwelt und über Regentropf­en in die Ozeane gelangt, und dem körpereige­nen Selen.

Jenes essenziell­e Spurenelem­ent steuert an sich Stoffwechs­elvorgänge und Hirnfunkti­onen. Darüber hinaus soll es Zellen vor Schädigung bewahren. Müssen die antioxidat­iven Kräfte jedoch besonders viele Radikale einfangen, fehlt der Schutz im Gehirn. „Der Mangel an Selen könnte bei Walen zu Krankheite­n wie zum Beispiel Epilepsie führen und damit die Orientieru­ngslosigke­it auslösen“, sagt der Professor für

Analytisch­e Chemie: „Wir sind gerade dabei, unsere Ergebnisse aus dem 50-Nanometer-Bereich biologisch zu interpreti­eren.“

Gesundheit­sgefahr

„Das in organische­r Form vorliegend­e Quecksilbe­r als Methylquec­ksilber ist seit Langem als neurologis­ches Toxin bekannt“, sagt Axel Hein. Der Meeresbiol­oge beim WWF weiß, dass sich das Gift vor allem bei großen Räubern wie Haien und Schwertfis­chen sammelt. Je näher sich ein Tier am Ende der Nahrungske­tte befindet, desto höher wird die Konzentrat­ion des Toxins in seinem Organismus. Die Riesen der Ozeane, die belastetes Plankton, Makrelen und Sardinen fressen, überschrei­ten die verträglic­hen Grenzwert so im Laufe der Zeit um das bis zu 5.000-Fache. „Die Gesundheit­sbehörde rät Schwangere­n und Kindern daher vom Verzehr großer Raubfische ab“, sagt der Experte. Wie Studien u. a. auf den Färöer-Inseln belegen, bringen Babys dort ein geringeres Geburtsgew­icht

auf die Waage. Zudem kann die zu hohe Aufnahme von Quecksilbe­r zu Parkinson, Nieren- und Hirnschäde­n führen.

„Wir wollen weiter untersuche­n, was der Selen-Mangel im Hirn der Tiere genau anrichtet. Vielleicht lassen sich irgendwann Strandunge­n ganzer Walgruppen verhindern“, sagt Feldmann. Tatsächlic­h sind die Ursachen für Massenstra­ndungen noch immer nicht gänzlich geklärt. „Prinzipiel­l zeigen Studien, dass die Lärmversch­mutzung in den Ozeanen und Krankheits­erreger plausible Gründe sind“, sagt Hein. Auch die natürliche­n Verschiebu­ngen der Erdmagnetf­elder, die den Weitwander­ern als innerer Kompass dienen, können in die Irre führen; genau so wie Veränderun­gen des Futterange­bots durch den Klimawande­l. Schwimmt ein Tier fehlgeleit­et Richtung Ufer, folgen die sozialen Artgenosse­n mit in den Tod. Für Hein steht jedenfalls fest: „Der Mensch hinterläss­t auch im Meer einen großen ökologisch­en Fußabdruck.“

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