Kurier

Hundstage in Humpolec

Eine Inszenieru­ng von Frank Castorf ist nie kurz. Und wer Peter Handkes Stück „Zdeněk Adamec“vorab gelesen hat, konnte bei der Premiere am Samstag die irrwitzige Reizüberfl­utung auch genießen

- VON THOMAS TRENKLER

Fast drei Fußballspi­ele lang dauerte am Samstag die Premiere von Peter Handkes Einakter „Zdeněk Adamec“, der im Sommer 2020 bei den Salzburger Festspiele­n seine recht betuliche Uraufführu­ng erlebt hatte. Und die Gäste auf dem Platz des A.F.C. Humpolec in Böhmen schossen viele Tore. Dies geht aus der Anzeigetaf­el hervor, die im Burgtheate­r Teil der grindigen Provinzidy­lle ist, die Aleksandar Denić für Frank Castorf und das siebenköpf­ige Ensemble gezimmert hat.

Zwischen Bushaltest­elle, Straßenlat­erne, Zäunen, Ölfässern und einer grün lackierten Holzhütte mit Veranda wuchern Werbeplaka­te. Sie propagiere­n das Verbrennen von Körperfett, erwartbar taucht auch der Coca-Cola-Schriftzug auf – in Kombinatio­n mit dem Energydrin­k „burn“. Ein zynischer Kommentar. Schließlic­h geht es in Handkes Stück um einen jungen Tschechen, der sich am Morgen des 6. März 2003 auf dem Wenzelspla­tz von Prag in Brand gesteckt hat.

Sein Vorbild, Jan Palach, hatte 1969 sein Leben als „Fackel“hingegeben, um ein Zeichen gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die damalige ČSSR zu setzen. Aber nun, 14 Jahre nach Ende des Kommunismu­s? „Ein Fanal für nichts und wieder nichts?“

Der Narr wird zum Irren

Handke, Widerspruc­hsgeist und mitunter ein Narr, wollte es genauer wissen. In seinem neuen Spiel vom Fragen beschäftig­t sich eine Gruppe zunächst eher beiläufig, dann immer intensiver mit Zdeněk Adamec, geboren in Humpolec, und seinen Lebensumst­änden.

Zentral wird der Abschiedsb­rief, in dem der junge Mann die Zustände in der Welt – Energiekri­se, Korruption, Kapitalism­us – anklagt. Und die letzte Bitte: „Haltet mich nicht für einen Narren!“Peter Handkes Übersetzun­g erscheint durchaus plausibel. Castorf aber setzt sich darüber hinweg: Er macht aus dem „Narren“einen „Irren“.

Und er scherte sich auch sonst wenig. Eigentlich müsste man die Dialoge, wollte man Handke gerecht werden, auf mehrere Figuren mit bestimmten Eigenschaf­ten verteilen, etwa auf den Erzähler, den Zweifler, den Neunmalklu­g und so weiter. Die Rollen würden, schreibt der Autor, im Verlauf der Begebenhei­ten klar werden. Doch von den Regieanwei­sungen hat Castorf nur eine beherzigt: Dass die Spielernam­en die Namen der Spieler sind. Das passt eben zu seinem Theater.

Schon zu Beginn herrscht auf der Drehbühne eine Stimmung wie in „Hundstage“: Eine Clique schlägt die Zeit tot – mit Bier und Wodka aus einer Kalaschnik­ow-Glasflasch­e. Auf der Leinwand, die immer wieder an der Rampe herunterge­lassen wird, sieht man die Übertragun­g eines Autocross-Rennens in Humpolec. Tschechisc­he PunkMusik, die sieben jungen Leute beginnen abzutanzen. Ein sehr starker Beginn.

Bis zur letzten Zeile

Bevor Castorf zur Sache kommt – mit dem amüsanten Hinweis, dass „eine Inszenieru­ng bei Frank nie kurz wird“– muss natürlich, wenn auch völlig unnötig, auf Handkes Position im Balkankrie­g verwiesen werden. Daher gibt es auch eine Reklametaf­el für Zigaretten­marken aus Bosnien und Serbien. Und dann beginnt das Ensemble, den Text runterzura­tschen. Oder zu schreien. Und zwar komplett (bis zur allerletzt­en Zeile des Buches, der Datumsanga­be „Juli 2019“). Erstaunlic­h. Das war bei Elfriede Jelineks Covid-Stück „Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen!“, das Castorf mit dem gleichen Leading-Team im Akademieth­eater realisiert­e, ganz anders.

Aber auch wenn Castorf den Handke-Text zu Gehör bringt, steigen jene, die ihn nicht kennen, aus. Weil z. B. Dialoge mit Rede und Gegenrede unstruktur­ierte Massen werden. Und weil das Geschehen auf der Bühne parallel läuft. Marie-Luise (Stockinger) ist sturzbesof­fen auf Entzug, Mavie (Hörbiger) kriegt die Wehen, Hanna (Hilsdorf) erzählt von der Volksbühne, Marcel (Heuperman) grillt Würstel, Florian (Teichtmeis­ter) kocht Suppe, Mehmet (Ateşçi) schüttet sie ihm über den Kopf, Franz (Pätzold) fragt sich, warum manche den Nobelpreis bekommen. Und alle zusammen würden lieber „Sieben Schauspiel­er suchen einen Autor“spielen.

Mensch als Fackel

Castorf baut zwei Songs von Georg Danzer ein, er zeigt Ausschnitt­e aus dem tschechisc­hen SW-Film „Ende August im Hotel Ozon“von Jan Schmidt, er lenkt mit seinem Theater der Reizüberfl­utung (inklusive einer menschlich­en Fackel) und der Assoziatio­nen ab. Adriana Braga Peretzki steuert eine aberwitzig­e Modeschau bei: Das Ensemble trägt immer wieder neue Geschmackl­osigkeiten, Latex- und Glitzerkos­tüme. So schaut man 4 Stunden und 10 Minuten begeistert zu. Auch wenn der tiefgründi­ge Text dem Regisseur, der seinen Schauspiel­erinnen am liebsten auf die Beine sieht, am Arsch vorbeigeht.

Jubel, teils berechtigt. KURIER-Wertung: āāāάā

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