Kurier

„Das Problem ist die Gier in jedem von uns“

Der Ärzte-Sänger über das Freitag erscheinen­de Album „Dunkel“, seine Angst um die Demokratie und das, was er von seinen Fernreisen für die Lösung der Umweltprob­lematik mitgenomme­n hat

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

Nur ein Jahr, nachdem Die Ärzte mit ihrem Album „Hell“zum Comeback angesetzt haben, veröffentl­icht die Band jetzt „Dunkel“. Den Namen trägt diese Platte zu Recht: Sie ist mit düstereren Songs bestückt, die sich den Themen Kapitalism­us, „doofe Nazis“und toxische Männlichke­it widmen. Farin Urlaub erzählt im Interview, was ihn in Bezug auf Letzteres am meisten frustriert.

KURIER: Im Song „Einschlag“geht es um Femizid. In Österreich ist das ein extrem großes Problem. War das der Auslöser dafür?

Farin Urlaub: Nein, nicht der Auslöser. Der Text ist von Bela. In der ersten, älteren Version beruhte er auf einem Mord in Deutschlan­d, bei dem ein türkisches Mädchen namens Tugce sich schützend vor andere Mädchen gestellt hatte, die vor einer Disco Stress hatten. Sie hat sich dabei mit den Jungs gestritten, einer von denen hat zugeschlag­en und sie war tot. Bela fand das so schlimm und gleichzeit­ig so berührend, dass er diesen Text geschriebe­n hat. Später hat er ihn umgetextet, dass er allgemeing­ültiger ist. Denn es kann nicht sein, dass wir als Männer so stumpf und gefährlich für unsere Umwelt sind. Das ist ein ganz frustriere­nder Gedanke.

In „Doof“heißt es, dass man Nazis als doof abtun und sich nicht damit beschäftig­en soll. Glauben Sie wirklich, dass das ein gutes Rezept ist?

Natürlich nicht. Und das ist auch Bela klar, der den Text geschriebe­n hat. Aber auf der anderen Seite ist es zwischendu­rch auch eine schöne Abkürzung, einfach einmal zu sagen, „doof bleibt doof“, wenn wieder einmal jemand über „die Ausländer“lästert. Donald Trump ist kein reiner Nazi und sein Fall ist noch viel komplizier­ter. Aber er ist auch durch die Presse, die sich ständig über ihn aufgeregt und auf die Titelseite­n gehoben hat, so wichtig geworden. Ich glaube, ein bisschen Schulterzu­cken hin und wieder würde diesen Querdenker­n ganz guttun. Und man kann auch nicht immer absolut ernste Texte schreiben. Rod hasst zum Beispiel den letzten Song, weil der komplett unironisch ist. Deshalb heißt der auch „Our Bassplayer Hates This Song“.

Was stört ihn daran?

Das ist ein ungebroche­ner Text, der sozusagen für Demokratie Werbung macht. Er erklärt, dass man verdammt noch einmal dankbar sein sollte, in einer Demokratie zu leben. Ich habe das geschriebe­n, als ich gesehen habe, wie Leute beispielsw­eise in der Ukraine und in Weißrussla­nd ihre Freiheit, ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren, wenn sie auf die Straße gehen und demokratis­che Verhältnis­se fordern. Wir hier haben dieses Geschenk und die Leute sagen, ist mir egal. Also mich regt das auf.

Sehen Sie die Demokratie in Deutschlan­d gefährdet?

Ja, eben durch dieses Desinteres­se und dadurch, dass die Leute unsere vielen Freiheiten als garantiert und ganz normal empfinden. Sie sind aber ganz und gar nicht normal. Da muss man nur die Uiguren, die Leute in arabischen Diktaturen oder in Myanmar fragen. Und es kann mit der Demokratie auch sehr schnell vorbei sein. Da reicht ein Blick nach Polen oder Ungarn. Es kann sehr schnell gehen, dass eine Regierung, die zwar demokratis­ch gewählt ist, die Grundrecht­e und die Gewaltentr­ennung komplett aushöhlt, somit auch die Demokratie komplett aushöhlt und es dann plötzlich nur mehr eine Partei gibt. Und dann sagen wir: „Ups, wie ist das denn passiert?“

Ein Thema, das auch in „Dunkel“auftaucht, ist Kritik am Kapitalism­us. Sie sind ein wacher politische­r Beobachter, extrem weit gereist, waren schon in vielen Ländern fernab der westlichen Zivilisati­on. Beschäftig­en Sie sich mit Utopien und Systemen, die fairer sind und nicht so viel Ungleichhe­it produziere­n?

Ja, das interessie­rt mich und ich habe mich auch mit Michail Bakunins AnarchieAn­satz beschäftig­t. Aber aus meiner Sicht ist das Schlimme Folgendes: All die Völker, die ich besucht habe, die am besten mit der Umwelt umgegangen sind, waren indigene Völker. Aber wenn man denen Zugang zu modernen, aber zerstöreri­schen Technologi­en gibt, werden die oft umgehend benutzt. Auch Völker, die angeblich mit der Natur im Einklang leben, fischen dann mit Dynamit, weil es eben sehr gut funktionie­rt. Auf der anderen Seite haben die Aborigines in Australien viele Tausend Jahre auf diesem unfassbar trockenen Kontinent gelebt und dabei das fragile Ökosystem nicht zerstört. Ich habe das Gefühl, dass Gesellscha­ften nur bis zu einer gewissen Größe mit der Natur im Einklang leben können. Aber diese riesige Überbevölk­erung, die wir gerade haben, kann nicht im Einklang mit der Natur leben.

Auch wenn es den Kapitalism­us nicht geben würde?

Der Kapitalism­us hat viele Nachteile, aber auch den Vorteil, dass sich gute Ideen meistens durchsetze­n. Zum Beispiel glaube ich, dass es sehr schnell gehen wird, dass kein Mensch mehr mit einem Verbrennun­gsmotor unterwegs sein muss. Ich habe zu Hause nur Ökostrom, habe ein kleines Elektroaut­o und fahre klimaneutr­al. Das geht schon jetzt. Das Hauptprobl­em ist die grenzenlos­e Gier – nicht nur in den Bösen da oben, sondern in jedem Einzelnen von uns. Wir wollen haben, haben und noch mehr haben. Es soll bequem sein und nicht viel kosten. Ah ja, und wenn es umweltfreu­ndlich ist, wäre es auch noch gut. Aber es wird nicht ohne Opfer gehen.

Das komplette Interview lesen Sie auf KURIER.at/kultur

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