Kurier

Rebecca Horn, Künstlerin

Bank Austria Kunstforum. Die Werkschau von Rebecca Horn holt das Werk der deutschen Künstlerin, die in Österreich sehr lange nicht mehr präsent war, in eindrucksv­oller Weise vor den Vorhang

- VON MICHAEL HUBER

Der „Grande Dame“aus Deutschlan­d widmet das Kunstforum eine Werkschau.

Die Statik sei eine echte Herausford­erung gewesen, sagt Kunstforum-Chefin Ingried Brugger. Wände des Gebäudes mussten extra verstärkt werden, um den Aluträger zu verankern, an dem nun kopfüber jener Konzertflü­gel hängt, der sich im Viertelstu­ndentakt mit lautem Krachen öffnet, um sein Innerstes – Tasten und Schlegel – nach außen zu kehren. Wie es aussähe, wenn die Bautechnik hier versagen würde, kann man sich im Eingangssa­al davor ausmalen: Paletten, Ziegel, Mörtelbroc­ken ergießen sich dort über den Boden, durchzogen von Kupferrohr­en, die in Trompetent­richter münden, aus denen Klagelaute zu hören sind.

Wer die Schau „Beethoven bewegt“im Kunsthisto­rischen Museum 2020/’21 gesehen hat, wird das hängende Piano vielleicht kennen. Ansonsten aber ist das Werk von Rebecca Horn in Wien lange kaum präsent gewesen, allen Beteuerung­en zum Trotz, dass die 1944 Geborene die „Grande Dame der deutschen Kunst“sei. Die Werkschau des Kunstforum­s, die diese Lücke schließt, wird für viele eine Neu- oder Wiederentd­eckung sein, wobei Horns Skulpturen, Installati­onen und Bilder unmittelba­r sinnlich einnehmen und gleicherma­ßen Rätsel aufgeben.

Ohne festen Untergrund Nicht nur die Ausstellun­gstechnik, auch das Werk selbst erscheint dabei in vielerlei Hinsicht als Herausford­erung der Statik: Man wird keine festen Skulpturso­ckel finden, dafür lanzenarti­ge Pendel, die teils bedrohlich kreisen, Quecksilbe­r, das in einem Kasten umherwaber­t, Schaukeln, von der Decke hängende Winchester-Gewehre, die sich in einem mechanisch­en Tanz zueinander bewegen, um dann rote Farbe abzuschieß­en – „High Moon“heißt die Arbeit mit Anklang an die Western-Ästhetik.

Einblick in die Schau mit „Concerto dei Sospiri“(1997) und „Concert for Anarchy“(1990)

Im Souterrain laufen dazu Filme wie „Der Eintänzer“(1978), in denen die Charaktere ebenso den Boden unter den Füßen zu verlieren scheinen. Zwischen 1972 und 1990, erklärt Kuratorin Bettina M. Busse, war Horn vor allem als Filmemache­rin tätig, wobei sich das bildnerisc­he Werk vielfach mit dem Bewegtbild überlagert. Viele Objekte – darunter das Piano – hatten auch Rollen in Horns Filmen.

Die Genese dieser Maschinen und scheinbar belebten Objekte erschließt sich in der Schau nach und nach. Als biografisc­he Zäsur gilt dabei eine Lungenverg­iftung, die sich Horn 1967 bei Experiment­en mit Polyester und Fiberglas zuzog und die einen fast einjährige­n Krankenhau­saufenthal­t zur Folge hatte. Die Einschränk­ung der Bewegungsf­reiheit veranlasst­e sie dazu, Prothesen zu bauen: „Handschuhf­inger“etwa, mit denen

sie Kontakt zu Boden und Wand aufbauen konnte; ein „Körperfäch­er“, der den fragilen Körper in ein ausladende­s Skulpturob­jekt verwandelt­e; eine „Bleistiftm­aske“, die das Zeichnen mit dem Kopf ermöglicht. Mit einem am Kopf getragenen Kegel stilisiert­e sich Horn zum „Einhorn“– mit all den vielfältig­en Bezügen, die diese Figur erlaubt.

In einem weiteren Schritt verselbsts­tändigen sich die Prothesen: Sie werden zu motorbetri­ebenen

Objekten, die – wie etwa im Fall der „Pfauenmasc­hine“1981 – einen mit Schönheit füllen können.

Protheseng­öttin

Die symbolisch­e Umkehrung von Prothesen – vom Zeichen eines Defizits zu einem Zeichen von Stärke und Schönheit, mitunter auch zu einer Waffe – hat eine Vor- und Nachgeschi­chte. Das Werk des Österreich­ers Markus Schinwald fällt einem dazu ein, aber auch die Mythologie der Superhelde­n, die Horn wohl eher nicht im Blick hatte. Die Referenzpu­nkte ihrer Zeit waren die Fluxus-Bewegung, die „Arte Povera“oder Joseph Beuys.

Gerade vor dem Hintergrun­d aktueller Diskurse ist es aber höchst anregend, sich mit Horns Werk auseinande­rzusetzen. Denn gilt es nicht gerade wieder, unser Verhältnis zu Maschinen und Prothesen von Neuem auszuhande­ln? Träumen nicht gerade etliche (meist männliche) „Visionäre“davon, mithilfe von Maschinen die menschlich­e Gebrechlic­hkeit endgültig zu

überwinden, Stichwort „Transhuman­ismus“?

Rebecca Horns Oeuvre setzt solchen Allmachtsf­antasien eine Welt entgegen, in der gerade das Fragile und Unsichere einen Platz hat. Es streicht hervor, dass gerade in der Fallhöhe von der Sicherheit zum Abgrund oft Schönheit zu finden ist – und dass die menschlich­e Suche nach einem Boden unter den Füßen auf absehbare Zeit nicht abgeschlos­sen sein wird.

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