Kurier

Angst vor neuem Angriff auf die Demokratie

70 Prozent der Republikan­er halten Trump unveränder­t für den rechtmäßig­en Gewinner. In vielen Bundesstaa­ten wird ihm der Weg geebnet, um 2024 „legal“ins Weiße Haus zu gelangen

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

Leute wie Bill Cassidy muss man bei den US-Republikan­ern im Moment mit der Lupe suchen. Der Arzt, der für den Bundesstaa­t Louisiana im Senat von Washington sitzt, hat das sichere Gefühl, dass Donald Trump zu viel VerliererI­mage hat, um 2024 erneut Präsidents­chaftskand­idat zu werden.

„Er wird nicht unser Kandidat sein“, sagte Cassidy kürzlich im Fernsehsen­der HBO, „ich würde ihm meine Stimme nicht geben.“Was Cassidy als Malus sieht, hat in weiten Teilen der Republikan­er null Relevanz. Dass unter Donald Trump binnen vier Jahren Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses verloren wurden und 2020, genau vor einem Jahr am 3. November, auch das Weiße Haus – diese Misserfolg­e werden heute offen geleugnet.

So teilen laut Studien fast 50 Millionen Amerikaner die von Trump seit der Wahlnacht nahezu täglich verbreitet­e Behauptung, ihm sei der Wahlsieg durch Manipulati­onen von den Demokraten gestohlen worden.

Neue Internet-Plattform

44 Prozent der republikan­ischen und unabhängig­en Wähler befürworte­n einen zweiten Anlauf des Unternehme­rs, der sich mit einer eigenen Internet-Plattform („Truth social“) finanziell sanieren und der Verbannung durch Facebook und Twitter kontern will. Laut einer aktuellen Studie sind fast 70 Prozent der Republikan­er überzeugt, bei der Wahl 2020 sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen.

Trump macht sich das bei seinen Kundgebung­en vor Tausenden Fans zunutze. Seit die Biden-Regierung in Umfragen wegen des Abzugs aus Afghanista­n, der Flüchtling­smisere an der Grenze zu Mexiko, der stagnieren­den Corona-Bekämpfung und dem politische­n Stillstand in Washington im Ansehen der Be völkerung rapide abgestürzt ist, agiert der Amtsvorgän­ger aufmüpfige­r denn je. Tenor: Biden muss weg. Sonst geht Amerika unter.

Ohne sich festzulege­n (seine Anwälte haben ihm mit Blick auf die strikten Wahlkampf-Spenden-Gesetze abgeraten), kokettiert Trump damit, ab 2025 zum zweiten Mal die Geschicke des Landes übernehmen zu wollen. Sollten die Republikan­er bei den Zwischenwa­hlen zum Kongress im Herbst 2022 den Demokraten ihre knappen Mehrheiten entreißen, wird Trump sich als „Königsmach­er“präsentier­en und – wenn nicht gesundheit­liche Probleme oder Prozesse dazwischen­kommen – wahrschein­lich seinen Hut in den Ring werfen. Damit wären potenziell­e innerparte­iliche Konkurrent­en – Ex-Vize Mike Pence oder Florida-Gouverneur Ron DeSantis – quasi out. „Sie würden von Trump brutal weggebisse­n“, sagen republikan­ische Strategen.

Anders als erwartet hat sich Trumps Zugriff auf die Partei kein bisschen gelockert. Wer seine große Lüge vom gestohlene­n Wahlsieg nicht nachbetet, wird öffentlich schikanier­t, beim Wähler angeschwär­zt und mit parteiinte­rnen Gegenkandi­daten konfrontie­rt. Bis auf wenige Dissidente­n gibt dem immer autokratis­cher auftretend­en

New Yorker niemand Kontra. Gegner sind an den Rand gedrängt oder geben desillusio­niert auf.

Propaganda-Feldzug

Trump kann es sich sogar leisten, den mächtigste­n Republikan­er, Senator Mitch McConnell, öffentlich zu demütigen, weil dieser ihm die Gefolgscha­ft beim Privat-Feldzug gegen Joe Biden verweigert. McConnell weiß zu gut: Über 60 Gerichtsve­rfahren, bis hin zum Obersten Gerichtsho­f, bestätigen: Es gab bei der Wahl keine Unregelmäß­igkeiten, die ins Gewicht fielen.

Aber Trumps Propaganda, unterstütz­t von TV-Sendern wie Fox News, OAN oder

Newsmax, reißt nicht ab. Die Mär vom finsteren demokratis­chen Komplott gegen ihn hat sich im Bewusstsei­n des radikal republikan­isch gestimmten Amerika festgesetz­t. Zuletzt zu erleben bei einer Kundgebung in Iowa. Tausende riefen dort wie gehirngewa­schen: „Trump hat gewonnen!“

Wie toxisch die genährten Zweifel am demokratis­chen System sind, das hat die Universitä­t Chicago untersucht. Danach glauben mehr als 20 Millionen erwachsene Amerikaner, dass der Einsatz von Gewalt gerechtfer­tigt sei, um Trump wieder ins Amt zu bringen.

Nur der Auftakt

Der Angriff aufs Kapitol vom 6. Jänner könnte also nur der Auftakt zu einem noch schwereren Angriff auf die amerikanis­che Demokratie gewesen sein. Bei den nächsten Präsidents­chaftswahl­en 2024, so hat der renommiert­e konservati­ve Publizist Robert Kagan unlängst beschriebe­n, wird Trump aus den Anfänger-Fehlern vom 6. Jänner gelernt haben.

Mit bis dahin auf legal getrimmten Tricks werde Trump die Weichen dafür stellen, dass er selbst bei einer Niederlage zum Sieger ausgerufen werden kann, sagt Kagan. Wie das ginge? In rund zwei Dutzend Bundesstaa­ten sind die Wahlgesetz­e inzwischen extrem verschärft worden. Die Briefwahl, die Biden sehr geholfen hat, wird massiv erschwert.

Verfassung­skrise droht

Sollte Trump antreten und durch knappe Ergebnisse in einzelnen Regionen verlieren, können republikan­isch beherrscht­e Landesparl­amente die Listen für das „electoral college“(Wahlmänner-Gremium) nach Gutdünken mit Loyalisten so bestücken, dass Trump trotzdem der Weg ins Weiße Haus geebnet würde. Kagan bilanziert bereits: „Die Verfassung­skrise ist längst da!“

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Gerät im Weißen Haus immer mehr in die Defensive: US-Präsident Biden muss um seine wichtigen politische­n Ziele kämpfen
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REUTERS / GAELEN MORSE Trump lässt sich wieder öfter auf der Bühne von Fans feiern

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