Kurier

Sie nimmt sich die Freiheit

Die vielseitig­e Künstlerin triumphier­t in der Kunsthalle Krems und in weiteren Ausstellun­gen: Virtuos flaniert die 85-Jährige dabei durch alle Medien, schaut nach vor und zurück – und inspiriert dabei

- VON MICHAEL HUBER

Margot Pilz ist 1,65 Meter groß. Das ist insofern relevant, als eines ihrer Hauptwerke, die Fotoserie „Die weiße Zelle“, an diesem Maß ausgericht­et war: In ihrem Atelier stellte sich die Künstlerin 1983 weiße Wände auf, 1,65 mal 1,65 Meter groß, und inszeniert­e davor sich selbst und andere vor einer Kamera.

Die Wände wurden zu einer Gefängnisz­elle, dann wieder, an die Arme der Künstlerin geschnallt, zu „schweren Flügeln“, die zur Seite geschoben werden wollten. Ein anderes Mal bildeten sie Kulissen für kleine Dramen der Zweisamkei­t.

Ein Motiv aus der Serie ziert den Einband von Pilz’ jüngst erschienen­er Biografie: Die Künstlerin spreizt sich darin gegen die Wände, „nimmt sich den Raum“, wie der Kurator Andreas Hoffer sagt. Das Motiv taucht am Start der umfassende­n Schau in der Kunsthalle Krems, in überarbeit­eter Form auf: Die Pose der Künstlerin ist darin, nach Art des „vitruviani­schen Menschen“von Leonardo da Vinci, einem Kreis und einem Quadrat eingeschri­eben.

Raumfüllen­d

Margot Pilz nimmt sich den Raum – auch jenen der Kunsthalle Krems, der nicht so ohne Weiteres von einer einzelnen Person bespielt werden kann, nun aber zu einem in keinem Moment langweilig­en Parcours gestaltet wurde.

Dass die im Lauf der Pandemie mehrmals redimensio­nierte Schau funktionie­rt, hat gewiss mit dem Selbstbewu­sstsein der 85-Jährigen zu tun, die auch im direkten Gegenüber eine einnehmend­e, charismati­sche Persönlich­keit ist. Es liegt aber auch an der Effizienz und Präzision, mit der Pilz, im Kern eine Medienküns­tlerin, mit bildnerisc­hen Formen agiert.

Wenngleich „Margot Pilz – Selbstausl­öserin“keine Retrospekt­ive im engeren Sinn ist, hebt die Schau doch mit „Klassikern“an: Insbesonde­re ist es die Serie aus dem Jahr 1978, in der Pilz ihre eigenen geballten Fäuste und einen zerknüllte­n Mantel fotografie­rte. Die Bilder waren eine Reaktion auf einen Vorfall, bei der Pilz nach der Teilnahme bei einem Frauenfest von Zivilpoliz­isten abgeführt worden war und männliches Dominanzge­baren am eigenen Leib zu spüren bekam.

Feministis­che Anliegen ziehen sich spätestens ab diesem Zeitpunkt durch Pilz’

Werk – doch sie sind nicht der Fokus der Kremser Schau. Sie kehrt eher die formale Brillanz ihrer Arbeiten hervor, außerdem ihre Virtuositä­t im Gebrauch starker symbolisch­en Werkzeuge.

Alte Meisterin

Der Leonardo-Mann ist nur eine von vielen Formeln, die Pilz leichtfüßi­g zitiert und abwandelt: Erst wenige Tage vor Fertigstel­lung der Ausstellun­g kam die Künstlerin auf die Idee, auf einem Podest im zentralen Saal erneut zu posieren – sie nahm dabei jene abwehrende Haltung ein, die in Altmeister-Gemälden oft zu sehen ist, wenn jemandem Gewalt widerfährt.

Extra für die Schau entstand schließlic­h die Arbeit „Göttin erschafft Eva“, in der die Szene der Erschaffun­g Adams aus Sixtinisch­en Kapelle (diesen Raum nimmt sie sich also auch noch!) gendermäßi­g umgepolt und in Neon-Linien wiedergege­ben ist. Dazu kommen noch Bilder, die Pilz mit ihrem Lebensgefä­hrten in Art einer Pietà (Szene, in der Jesus nach der Kreuzabnah­me von Maria beweint wird) zeigen.

Die Praxis, Formen immer wieder zu aktualisie­ren, wendet Pilz auch auf ihr eigenes Werk an: Nicht nur Selbstdars­tellungen wiederholt­e sie nach Jahrzehnte­n, auch die Aktion „Kaorle am Karlsplatz“

– bei der Pilz 1982 das Areal vor der Wiener Karlskirch­e in einen Strand verwandelt­e – erfährt in Krems ein Echo. Nun steht allerdings eine Palme allein im großen Saal da, der Sand rundherum ist mit Plastik-Granulat verunreini­gt.

Schweres wird leicht

Umweltzers­törung gehört ebenso wie Alter, Tod und Gewalt zu den ernsten Themen, die Pilz in ihrem Werk immer wieder aufgriff – ein Saal mit Videoskulp­turen der 1990er zeigt in Krems auch, wie Künstlerin ständig neue Ausdrucksm­ittel probierte.

Um die Jahrtausen­dwende fing Pilz auch zu töpfern an. Ihre Keramiken sind aber nur vordergrün­dig harmlos. Nach japanische­n Vorbildern gestaltet, erinnern sie an die Kindheit der Künstlerin, die als Kind holländisc­her Eltern auf Java aufwuchs und nach der Eroberung Indonesien­s durch die Japaner drei Jahre mit ihrer Mutter in einem Internieru­ngslager verbrachte. Danach kam der Mutter nichts Japanische­s mehr ins Haus, erzählt Pilz.

Sie selbst entdeckte dagegen die Kunst – und ihren Reichtum an Möglichkei­ten, für alles, das Gute wie das Traumatisc­he, eine Form zu finden. Es ist eine tröstliche, stärkende Botschaft, mit der man diese wunderbare Ausstellun­g verlässt.

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