„Beim Schreiben mit der Hand ist man ganz bei sich“
Analoge Notizbücher mit digitalen Prinzipien
Moduletto. Mit der Hand auf Papier zu schreiben habe eine eigene Qualität, sagt Michele Falchetto. „Man wird nicht wie beim Schreiben am Computer durch permanent aufpoppende Nachrichten gestört. Beim Schreiben mit der Hand ist man ganz bei sich.“Papier habe aber noch einen weiteren Vorteil, sagt der Grafiker: „Man kann es angreifen.“
Unter der Marke Moduletto bietet Falchetto gemeinsam mit seiner Frau Katharina Notizbücher an, die auf die haptische Qualität wertlegen. Man habe Papier gesucht, auf dem die Tinte nicht durchscheine und das sich vor allem gut anfühle: „Ich wollte einen samtigen Touch.“Hergestellt wird das Papier, wie auch der Kartonrahmen und die Gummibänder, die die Blöcke zusammenhalten,
Grafiker Michele Falchetto hat „Moduletto“erfunden
in Österreich. Zusammengesetzt werden die Notizbücher in der betreuten Wiener Werkstatt Opus, in der physisch beeinträchtigten Personen Arbeit finden: „Im letzten Arbeitsschritt wird das Buch aufgemacht und noch einmal mit der Hand über die Kante gefahren“, erzählt Falchetto.
Mehr als 500.000 Stück seiner Notizbücher, die ab 15 Euro zu haben sind, hat das Unternehmen bereits verkauft. Über einen Online-Konfigurator
können Cover, Einlageblätter und Gummiband selbst ausgesucht und kombiniert werden. Viele Notizbücher werden auch an Firmen verkauft, darunter zahlreiche ITUnternehmen. Das hat seinen Grund. Denn die Moduletto-Heftchen machen sich digitale Prinzipien zunutze. Ebenso wie Textbausteine in Schreibprogrammen, lassen sich die einzelnen Seiten beliebig neu anordnen. Dazu muss lediglich das Gummiband gelöst und die Seiten zwischen den Kartonrahmen neu sortiert werden. „Man kann Ideen miteinander verbinden“, sagt Falchetto. Computer seien nützliche Werkzeuge, auf das haptische Erleben wolle er aber nicht verzichten: „Das Nebeneinander von Analogem und Digitalem ist das Schöne.“
noch so verrückte Idee eine Gruppe, die ähnlich denkt. Die Digitalisierung bewirkt eine gefährliche Verstärkung von Extremen. Es scheint, wir denken immer weniger nach, weil es bequemer ist, im Netz zu suchen.
Das könnte unser Gehirn doch langfristig verändern?
Wie gesagt, echte genetische Veränderungen in unserem Gehirn brauchen Hunderttausende von Jahren. Was wir hier erleben, ist in der Evolution gar nichts. Das Gehirn ist in der Lage, mit den neuen Bedingungen umzugehen. Was sich tatsächlich verändert, ist unser Verhalten. Und Verhaltensänderung geschieht durch Lernprozesse. Das muss nicht immer etwas Positives sein. Man kann auch Gewalt lernen. Was wir nun lernen, ist, dass wir uns nicht mehr tief in Themen einarbeiten. Themen
wechseln unglaublich schnell, werden alle nur mehr oberflächlich gestreift. Wir haben nicht mehr die Zeit, um in die Tiefe zu gehen. Einige junge Menschen sagen: Wenn mich etwas interessiert, dann google ich es. Dabei geht nicht zuletzt die Beschäftigung mit sich selbst verloren.
Wie soll man da überhaupt draufkommen, was einen interessiert?
Da tut sich eine Lücke in der Bildung auf. Wir gehen weg von Lehrenden, denen wir geduldig zugehört und Büchern, die wir mit viel Zeitaufwand gelesen haben, hin zu der schnellen, bunten Welt des Internets. Da geht tatsächlich viel an Zusammenhängen, an aktiven Erkenntnissen verloren. Meine Vision ist: Wir können die Digitalisierung nicht rückgängig machen, aber wir können sie zu einer besseren Form des Lernens nutzen.
Das wie geschehen soll?
Kinder, die am Computer spielen, müssen auch viel lernen. Auch sinnlosen Quatsch, das kann ja sein. Aber sie sind ganz begeistert davon, in Systeme einzutauchen, die sie interessieren. Stellen Sie sich vor, wir würden das nützen, um Lerninhalte so zu verpacken. Jahrzehntelang war es üblich, dass da unten ein Dozent steht, und liest 1.000 Studenten vor. Das ist anachronistisch. Dass alle im selben Rhythmus etwas lernen müssen, ist nicht mehr notwendig. Warum nicht eine Software einsetzen, die den gesamten Lernstoff aufbereitet, und jeder Student so nach seinem Lerntempo vorgehen kann? Kommt man nicht weiter, greift ein menschlicher Lehrer erklärend ein. Die Studenten könnten so mit ihrem eigenen Tempo und eigenen Schwerpunkten viel effizienter lernen. Die Digitalisierung hält für die Bildung und Ausbildung ein enormes Potenzial bereit.
Das heißt, ein gewisser Kulturpessimismus ist verständlich, aber eigentlich nicht begründet?
Es gab Zeiten, in denen Bücher verteufelt wurden, in der Annahme, es werden verführerische Inhalte vermittelt, die Gesellschaft destabilisiert. Ebenso wie Fernsehen und Radio. Wir waren immer im Zweifel, ob das, was die Jugend macht, nicht den Untergang der Menschheit mit sich bringt.
Vergleicht man 15- bis 20-jährige Jugendliche aus den Jahren 2000 und 2020, wo sehen Sie Unterschiede?
Mir tut jetzt bei den jungen Leuten weh, dass sie der Häme und dem Hass im Internet ausgesetzt sind. Das ist wie eine Lawine, gegen die sie sich kaum wehren können. Die Eltern sind oft nicht in der Lage, ihre Kinder zu schützen, weil sie mit diesen Medien nicht so vertraut sind. Der zweite Unterschied ist, dass wir den Verlust der Kindheit beobachten. Kinder haben eine Informationsautonomie erlangt, die den Eltern früher fremd war. Sie informieren sich so, wie sie wollen und nicht mehr, wie die Eltern es vorgeben.
Das heißt, das Leben der Kinder entfernt sich von jenem der Erwachsenen?
Es gibt den schönen Ausdruck von digitalen Einwohnern und digitalen Einwanderern. Wir Älteren sind die Einwanderer und die Kinder die digitalen Einwohner, die immer schon dort gewesen sind. Alle zusammen könnten wir es schaffen, uns die digitale Welt zunutze zu machen, anstatt uns an ihr aufzureiben.