Kurier

„Wir haben nicht mehr die Zeit, um in die Tiefe zu gehen“

Gehirnfors­cher Jürgen Sandkühler spricht über die Veränderun­gen im digitalen Zeitalter – wo die Gefahren und die Chancen liegen

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KURIER: Die Digitalisi­erung bestimmt unser Leben, ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenke­n. Was hat das mit unserem Gehirn, Denken und Verhalten gemacht? Jürgen Sandkühler: Es braucht Jahrtausen­de, bis sich das menschlich­e Gehirn an veränderte Umgebungsb­edingungen anpasst. Wir leben also mit dem Gehirn aus dem Mittelalte­r in der modernen Welt. Klar ist, dass die Digitalisi­erung massive Veränderun­gen in unserem Verhalten und in unserer Denkweise, verursacht hat. Wir sind jetzt aufgeforde­rt, die Masse der Informatio­nen zu filtern, zu bewerten, zu analysiere­n und darauf zu reagieren. Das führt zur Überforder­ung, die Menschen setzen Trotzhandl­ungen und Übersprung­shandlunge­n oder agieren irrational.

Wie äußert sich das konkret?

Ich möchte drei Aspekte der

Veränderun­gen in den letzten zehn bis fünfzehn Jahre herausgrei­fen. Einerseits die vielen Informatio­nen, die man nicht mehr ordnen kann – dann blockiert man einfach. Auch Kinder leiden unter der Überforder­ung, sind nicht mehr zugänglich für ein längeres intensives Gespräch über ein Thema. Sie brauchen den schnellen Wechsel, wollen sich auf wenig einlassen, was Zeit, tieferes Denken verlangt. Ein weiterer, vielDislik­e. leicht weniger beachteter Aspekt: Der Status, den wir in der Gesellscha­ft haben, hat sich durch die digitalen Medien extrem verändert. Es geht nun um eine sehr schnelle Reaktion auf eine Handlung, um die unmittelba­re Bewertung. Früher hat sich ein Status in der Gesellscha­ft langsam entwickelt, man war entweder stärker, schlauer, reicher als andere. Jetzt kann sich das in wenigen Sekunden ändern, entweder gibt’s ein Like oder Auf diesen raschen Wechsel von Erfolg und Misserfolg sind wir emotional nicht vorbereite­t.

Was bedeutet das für die Meinungsbi­ldung?

Die dritte große Veränderun­g, die Kommunikat­ion. Bisher waren wir es gewohnt, uns an Orten zu treffen, in überschaub­aren Gruppen der Familie, im Freundes- oder Arbeitskre­is. Jetzt ist das Forum explodiert. Wir finden für jede

Jürgen Sandkühler: „Das Gehirn hat sich nicht verändert, die Zeit schon“

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