Hochschulabschluss in übler Nachrede
Papst Franziskus gehört zum geistlichen Orden der Jesuiten, der „Gesellschaft Jesu“. Vor dem endgültigen Eintritt in diese Gemeinschaft ist jeder Kandidat zu 30-tägigen Exerzitien verpflichder tet, deren Form Gründer, der heilige Ignatius von Loyola, konzipiert hat. In der Stille der Zurückgezogenheit und mit einem geistlichen Lehrer stellt sich der Berufene verschiedene Fragen: Was bewegt mich in der Tiefe meines Herzens wirklich? Von welchen Geistern und Motiven lasse ich mich in meinem Tun leiten?
Das zu erkennen ist der Beginn der bewussten Offenheit für die Anregungen des Heiligen Geistes. Im Alltag lassen wir uns leider oft nicht vom guten Geist leiten. Ein Beispiel dafür hat Papst Franziskus am vergangenen Mittwoch bei der Generalaudienz in aller Deutlichkeit benannt: Sobald wir bei anderen einen Fehler bemerken, sind wir in der großen Versuchung, darüber zu schwätzen und den Nächsten schlecht dastehen zu lassen. Vor dieser Urversuchung ist niemand gefeit. Das Gegenmodell dazu: In der Haltung der Sanftmut dem Bruder und der Schwester gegenüber auf den Fehler hinzuweisen und selbst darauf zuac hten, nicht auch in diesen Fehler zu verfallen.
Welch ein wirkmächtiges Beispiel der Demut: „Wenn wir nämlich versucht sind, andere zu verurteilen, was oft der Fall ist, müssen wir zuerst über unsere eigene Schwäche nachdenken. Wie leicht ist es, den anderen zu kritisieren. Es gibt Leute, die scheinen einen Hochschulabschluss in übler Nachrede zu haben. Jeden Tag kritisieren sie die anderen.“Die oberste Regel bei einer geschwisterlichen Korrektur müsse, so Franziskus, immer die Liebe sein. Mitunter würde das heißen, Probleme und Schwächen der Mitmenschen in Stille und Gebet zu ertragen. Ein Tipp des Papstes: „Schau mal lieber auf dich selbst.“
Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan