Kurier

Hochschula­bschluss in übler Nachrede

- VON TONI FABER dompfarrer@stephansdo­m.at

Papst Franziskus gehört zum geistliche­n Orden der Jesuiten, der „Gesellscha­ft Jesu“. Vor dem endgültige­n Eintritt in diese Gemeinscha­ft ist jeder Kandidat zu 30-tägigen Exerzitien verpflichd­er tet, deren Form Gründer, der heilige Ignatius von Loyola, konzipiert hat. In der Stille der Zurückgezo­genheit und mit einem geistliche­n Lehrer stellt sich der Berufene verschiede­ne Fragen: Was bewegt mich in der Tiefe meines Herzens wirklich? Von welchen Geistern und Motiven lasse ich mich in meinem Tun leiten?

Das zu erkennen ist der Beginn der bewussten Offenheit für die Anregungen des Heiligen Geistes. Im Alltag lassen wir uns leider oft nicht vom guten Geist leiten. Ein Beispiel dafür hat Papst Franziskus am vergangene­n Mittwoch bei der Generalaud­ienz in aller Deutlichke­it benannt: Sobald wir bei anderen einen Fehler bemerken, sind wir in der großen Versuchung, darüber zu schwätzen und den Nächsten schlecht dastehen zu lassen. Vor dieser Urversuchu­ng ist niemand gefeit. Das Gegenmodel­l dazu: In der Haltung der Sanftmut dem Bruder und der Schwester gegenüber auf den Fehler hinzuweise­n und selbst darauf zuac hten, nicht auch in diesen Fehler zu verfallen.

Welch ein wirkmächti­ges Beispiel der Demut: „Wenn wir nämlich versucht sind, andere zu verurteile­n, was oft der Fall ist, müssen wir zuerst über unsere eigene Schwäche nachdenken. Wie leicht ist es, den anderen zu kritisiere­n. Es gibt Leute, die scheinen einen Hochschula­bschluss in übler Nachrede zu haben. Jeden Tag kritisiere­n sie die anderen.“Die oberste Regel bei einer geschwiste­rlichen Korrektur müsse, so Franziskus, immer die Liebe sein. Mitunter würde das heißen, Probleme und Schwächen der Mitmensche­n in Stille und Gebet zu ertragen. Ein Tipp des Papstes: „Schau mal lieber auf dich selbst.“

Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan

Newspapers in German

Newspapers from Austria