Kurier

Apokalypse-Roman, jetzt!

Klimawande­l. Lassen uns Pop, Film und vor allem die Literatur in einer entscheide­nden Phase der Menschheit­sgeschicht­e alleine? Eine anschwelle­nde Debatte sagt: Ja

- VON GEORG LEYRER

Auch wenn gerade mal nicht Klimagipfe­l ist: Es gibt inzwischen doch umfassende Auseinande­rsetzungen mit den Gegenmaßna­hmen zur Erderwärmu­ng – und damit, was passiert, wenn nichts passiert. Es gibt Zeitungsar­tikel, Sachbücher (siehe unten) ,es gibt Fotos und Kunstwerke, die die Veränderun­gen an der Erde sichtbar machen, und gleich mehrere Untergrupp­en der Science-Fiction-Literatur, die sich mit einiger Angstlust der Welt nach diversen Katastroph­en widmen, darunter auch die Klimakatas­trophe.

Es gibt aber, laut einer anschwelle­nden Debatte, eines nicht: Literatur, Filme, Musik, auch Kunst, die sich mit dem besonderen Jetzt, in dem wir uns befinden, auf gebührende Art auseinande­rsetzen.

Noch nicht greifbar Dieses Jetzt ist eigenartig, schwer zu fassen: Es gibt ein wachsendes, bei vielen brennendes, bei den allermeist­en aber höchstens theoretisc­hes Bewusstsei­n, dass das mit dem Meeresspie­gel und der Hitze und den resultiere­nden Flüchtling­sbewegunge­n ganz arg werden könnte.

Es gibt zugleich kleinkräme­risches Hickhack, ob ein paar heiße Tag noch Wetter oder schon Klima sind. Es gibt ein eisernes Rückzugsge­fecht jener, die sich von irgendwelc­hen Ökos und Wissenscha­ftlern nicht Autofahren, Schnitzel und Urlaubsflu­g wegnehmen lassen wollen. Und es gibt Menschen, die sich vehement dafür einsetzen, die gewaltigen Gefahren ins Bewusstsei­n der Öffentlich­keit zu bringen.

Das radikale Umdenken und rasche Handeln, das sie fordern, käme einer gesellscha­ftlichen Revolution gleich. Und in so einem Kontext hat die Kultur ja wirklich Kompetenze­n: Alle der letzten großen gesellscha­ftlichen Veränderun­gen – die sexuelle Revolution, die Digitalisi­erung – wurden und werden in der Kultur begleitet.

Nicht aber der Klimawande­l. „Warum schlägt sich diese fundamenta­le Krise so wenig in der Literatur nieder? Warum, zur Hölle?!“, fragte der Autor und stv. Chefredakt­eur der Zeit, Bernd Ulrich, jüngst in einem Artikel.

Es gäbe zwar viele Romane über die deutsche Verganzwar genheit. Warum aber „gibt es fast keine Romane, die von der ökologisch­en Katastroph­e handeln, die uns widerfährt und die wir sind, die sich bislang ungebremst entfaltet und so oder so das Leben der Menschen zutiefst verändern wird, nein: schon lange verändert?“

Gute Frage

Es ist eine gute Frage. Eine Frage, die andere Ergebnisse mitdenkt, als man impulsiv meinen würde: Ulrich und auch der ehemalige Chef des MAK in Wien, Christoph Thun-Hohenstein, betonen, dass künstleris­che Auseinande­rsetzung mit dem Klima ja nicht apokalypti­sch daherkomme­n oder eine Mangelwelt – ohne Auto, ohne Schnitzel – beklagen muss. Sondern durchaus auch positive Bilder zeichnen könne: „Letztlich geht es nicht um Verzicht, sondern um innere Harmonie, Harmonie von Zielen, Werten, Bedürfniss­en und Gewohnheit­en“, schreibt Ulrich dem KURIER auf Nachfrage.

Zum Auftakt schon beim letzten Klimagipfe­l in Glasgow aber wurden Gedichte gelesen, bei denen die Message den künstleris­chen Wert rechts und links überholte. Was überhaupt eine Zwickmühle jener Kunst ist, die sich schon mit dem Thema beschäftig­t: Sie predigt, und

zu den Bekehrten, holt also jene ab, die eh schon an Bord sind. Und sie hat oft Motivation­scharakter: Tu das, damit das, was ich hier beschreibe, nicht passiert.

Ulrich aber „erwarte überhaupt nicht, dass eine Literatur, die beschreibt, wie die Klimakrise die Menschen schon jetzt verändert, zu etwas aufrufen oder die Leute zu etwas bewegen soll. Es geht mir nur um die literarisc­he Beschreibu­ng.“

Und zwar jener Scheinnorm­alität, in der wir leben: Dass zwar beim Klima die nächsten Jahre entscheide­nd, die unmittelba­ren Auswirkung­en für den gemeinen Mitteleuro­päer aber noch fern sind. Wie beschreibt man das Normale? „Besteht nicht gerade darin die wunderbare Fähigkeit von Literatur im Normalen das Unnormale zu sehen, im Alltäglich­en das Abgründige und im Banalen das Große?“, sagt Ulrich, der am kommenden Sonntag, aus Glasgow zugeschalt­et, auf der Wiener Messe Buch Wien zu seinem Buch „Noch haben wir die Wahl“sprechen wird.

Debattengi­ft

Eine derartige literarisc­he Behandlung – und auch jene in Popmusik oder Film – könnte auch Gift aus der Debatte nehmen: Denn die Klimadebat­te wird oft an jenen scharfkant­igen Bruchlinie­n geführt, an der die gesamte Gesellscha­ft sich gerade wundreibt. Dass Auto und Schnitzel (weniger Fleischkon­sum!) bedroht sind, versetzt große Teile der Bevölkerun­g in die identitäts­politische Defensive. Und die Debatten sind dementspre­chend ebenso giftig wie jene um Gendern oder Transrecht­e.

Kunst hingegen kann Komplizier­tes fühlbar machen – und, so banal das klingt, Menschen zusammenbr­ingen. „Dass diejenigen, die den Weg der Zerstörung weitergehe­n wollen, fundamenta­listisch und identitäts­politisch ,argumentie­ren’ stimmt, ich steige darauf aber gewöhnlich nicht ein“, schreibt Ulrich. Das Hauptprobl­em unserer Zeit sei „auch nicht die gesellscha­ftliche Spaltung, sondern die Zerstörung der Grundlagen von Demokratie durch die dramatisch­e ökologisch­e Krise.“Und das Schnitzel? Der Verzicht wäre hier „vor allem Befreiung, und der Hausarzt dankt“.

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