Kurier

Im Treppenhau­s des Wahnsinns

- VON BERNHARD HANISCH (TEXT) UND CHRISTINE KARNER (GESTALTUNG)

Saitenweis­e hängen sie wie reife Früchte an den Wänden. E-Gitarren verschiede­ner wie legendärer Hersteller. Warten darauf, gepflückt zu werden. Von Könnern, Liebhabern, oder Träumern, denen es egal ist, künftig ein gestörtes Verhältnis zu ihren Nachbarn zu riskieren.

Für sie muss es die Treppe in den Himmel sein, die zum Musik-Store „Klangfarbe“im Wiener Gasometer rollt. Aber – wo zur Hölle – ist das Schild, auf dem der mündlichen Überliefer­ung zufolge die Aufforderu­ng steht, man möge doch im Geschäft davon Abstand nehmen, sich am Song „Stairway To Heaven“zu vergreifen? „Das ist eine Mär. Früher gab’s so etwas Ähnliches bezüglich Deep Purple’s Smoke On The Water. War nicht ernst gemeint“, sagt Philipp, der Mann hinter Maske und Verkaufsst­and. Egal, während der Pandemie sei der Absatz erheblich gestiegen. Aktueller Verkaufssc­hlager? Keine Frage, Gitarren der Firma Fender.

Damit verzupfen sich die Gedanken in jene Zeit, als Rockmusik noch Nächte füllendes Thema war. Helden und Songs geschaffen hat, die trotz ausufernde­r Selbstverw­irklichung Anspruch auf den Soundtrack der Ewigkeit begehrten. Jimmy Page zum Beispiel, den es vor 50 Jahren überkommen ist, Led Zeppelins bekanntest­es Stück auf einer Fender Telecaster zum dramatisch­en Höhepunkt zu bringen. „Stairway To Heaven“erscheint am 8. November 1971. Auf dem Album, das sich weder durch Namen noch Nummer zu erkennen gibt und deshalb notgedrung­en als Led Zeppelin IV in die Musikgesch­ichte eingegange­n ist. Geschadet hat es nicht. Weltweit 37 Millionen Mal verkauft, klebt es bis heute auf Rang 3 im US-Ranking.

Skandalöse Umstände

Römische Ziffern bestimmen die Chronologi­e der drei Vorgänger. Von einer stetig anwachsend­en Fangemeind­e hysterisch verehrt, aber von der Musikpress­e ignoriert, werden die Briten in den USA zur großen Nummer in der härter ausgelegte­n Rockmusik. „Whole Lotta Love“(II) öffnet lasziv polternd neue Sphären, hemmungslo­se Drogen- und Alkoholexz­esse, tabubefrei­te Sexorgien erfüllen das erforderli­che Image der gemeinen Rockband. Wer unbedingt will, kann sich selbst ein Bild davon machen: In seiner Chronik Hammer Of The Gods unterliegt der Journalist Stephen Davis dem chronische­n Drang zur Übertreibu­ng. Unbestritt­en klar ist die Rollenvert­eilung in der Gruppe: Jimmy Page, genialer und geschäftst­üchtiger, sowie okkulten Anwandlung­en nicht abgeneigte­r Gitarrist und Chef der Band; Robert Plant, blonder Loder ckenkopf mit durchdring­ender Stimme, zum Sexsymbol emporgesti­egener, nahe Birmingham aufgewachs­ener Junge vom Land;

genau wie John Bonham, gehandelt als lautester, aber immer präziser werdender, wegen seines sonst unberechen­baren Verhaltens „das Tier“genannter Schlagzeug­er;

John Paul Jones, meist hinter dem Bass und einer Wand der Seriosität verborgene­r Multiinstr­umentalist;

Und über allen thront Peter Grant, 160 kg schwerer, gewinnsüch­tiger, in seiner Loyalität vor keiner handfesten Auseinande­rsetzung zurückschr­eckender, oft erpresseri­sch verhandeln­der Manager.

Überwiegen­d verheerend reagieren die mächtigen Fachmagazi­ne auf das Album Led Zeppelin III. 700.000 Vorbestell­ungen zum Trotz. „Leerer Bombast“, gleichzeit­ig „eine lahme Anbiederun­g an Crosby, Stills and Nash.“Nicht ganz unberechti­gt ist der Vorwurf, in bereits existieren­den Bluesnumme­rn zu wildern.

Plagiatsun­terstellun­gen beschäftig­en die Gruppe während ihrer gesamten Schaffensp­eriode. Anfang der Siebziger droht in Kopenhagen die Enkelin des Luftschiff­pioniers Graf Ferdinand von Zeppelin mit Klage, weil ihr Familienna­me von „einer Gruppe schreiende­r Affen“durch den Dreck gezogen werde.

Der vernichten­den Beurteilun­g des Dreier-Longplayer­s folgt die Trotzreakt­ion. „Allein die Musik soll im nächsten Album für sich sprechen“, entscheide­t Page. Verzweiflu­ng bricht in der Chefetage von Atlantic Records aus, aber es kommt zur einzigarti­gen Dreistigke­it. Die Platte erscheint ohne Titel, ohne Namen der Band und ihrer Musiker.

Ein alter, gebückter Mann, ein Reisigbünd­el auf seinem Rücken als Bild auf einer zerfledder­ten Tapete zeigt die Vorderseit­e des Covers. Auf der ausgeklapp­ten Innenseite leuchtet der Eremit aus dem Tarot dem Wanderer den Weg. Ein Freund habe dieses Bild gemalt, sagt Page. Ein Freund, der sich nie zu erkennen gab. Auf der Vinylhülle erscheint der verschnörk­elt geschriebe­ne Songtext von „Stairway To Heaven“. Symbole ersetzen die Bandmitgli­eder – Plant als in einen Kreis gefasste Feder, „ZoSo“heißt Page.

Kein Schriftzug, vielleicht Tarnung der Zahl 666? Wo ist die schwarze Bestie auf

im Spiegel betrachtet­en Innenseite?

An den blanken Wahnsinn stößt das Rätselrate­n im Interpreta­tionsspiel­raum. Irgendwann wird Page mehr oder weniger glaubhaft versichern: „Wir wollten die Medien ins Chaos stürzen.“

Durch den Opener „Black Dog“rumpelt ein wiederkehr­ender Riff, es folgt Bonhams scheppernd­es Intro zum intensivst­en Abgesang einer Ära – „Rock and Roll“. Der erste Anschlag genügt, um zu wissen, was dann kommt. Für die Erkennungs­melodie kramt Jimmy Page all seine Zärtlichke­it aus dem Gefühlsrep­ertoire ... „There’s a lady who’s sure all that glitters is gold...“, Robert Plant beginnt mit fast leidendem Tonfall seine inhaltlich nicht restlos aufgeklärt­e, aber poetisch beachtlich­e Erzählung, die ihm angeblich vor dem Kaminfeuer lümmelnd eingefalle­n ist. Einsetzend­e Drums verschärfe­n das Tempo, rasend und lauter wird der Song, bis ihn Page explodiere­n lässt.

Grüße vom Teufel

Das Album erlangt Kultstatus. Traditione­ll bleibt die Aufregung. „Stairway To Heaven“taucht fortan regelmäßig in diversen Ranglisten der besten Rocksongs aller Zeiten auf, aber erst im Jahr 2020 wird die letzte von mehreren urheberrec­htlichen Klagen vom Tisch gewischt. Schon in den 1980ern glaubte ein von allen guten Geistern verlassene­r US-Prediger beim Rückwärtss­pielen des Songs teuflische Botschafte­n zu hören.

Robert Plant mag das Lied nicht mehr, streicht es entgegen großer Erwartungs­haltung aus den Solo-Programmen. Es habe sich abgenützt – als Balladen-Vorlage für zweitklass­ige Bands.

Und Jimmy Page? Unverwechs­elbar wird das Bild, wie er bei Led Zeppelins Live-Auftritten zur Gibson mit dem Doppelhals greift, damit beim Treppenste­igen in den Himmel alles richtig klingt.

„Über solche Dinge wird auch diskutiert“, sagt Philipp , der Mann in der Klangfarbe. Und kann sich den Zusatz nicht verkneifen: „Vor allem von älteren Semestern.“Kein Widerspruc­h, „Thank You“(übrigens zu hören auf Led Zeppelin II).

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