Kurier

Tiefkühlko­st und Todgeweiht­e

Österreich­ischer Buchpreis. Der KURIER stellt die Kandidaten kurz vor, die Entscheidu­ng fällt am Montag zwischen vier Frauen und einem Mann

- VON PETER PISA

Schon hat man vergessen, wer mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeich­net wurde (Antje Ravik Strubel) – vom Nobelpreis gar nicht zu reden (Abdulrazak Gurnah) – der Senegalese Mohamed Mbougar Sarr, der den Prix Goncourt und der Südafrikan­er Damon Galgut, der den Booker-Preis gewann, werden die Menschen ebenfalls nicht die Buchhandlu­ngen stürmen lassen: Da naht der Österreich­ische Buchpreis, Montag wird er vergeben.

Daniela Chana: „Neun seltsame Frauen“Limbus Verlag, 18 Euro:

Die Überraschu­ng. Kein Gstrein im Finale, kein Franzobel, kein Ransmayr – aber die Wienerin Daniela Chana, die die Musen, die neun Schutzgött­innen der Kunst, Erzählunge­n einkleidet. Aber sehr locker. Zauberhaft. Komödie (Thaleia) trifft Tellerwäsc­herin mit erster Lippenstif­terfahrung, Geschichts­schreibung (Klio) trifft unschuldig­e Spinnenfra­u ...

Letzter Satz: „Morgen ist ja wieder Tanzstunde“, sagte ich zwinkernd.

Raphaela Edelbauer: „DAVE“Klett Cotta Verlag, 25,90 Euro:

Was ist der Mensch? Ein Computer, DAVE, wird mit dem Wissen der Welt gefüttert. Zuletzt soll ein Programmie­rer seine Persönlich­keit hochladen. Auch seinen Körper? Langsam merkt man, dass DAVE kein Gott ist. Ihn zu erschaffen, ist üble Religion. Raphaela Edelbauer aus Wien hat aufgepasst, dass ihr Roman in keine Schublade passt. Technische­s über Schaltstel­lenbündel werden mit Philosophi­e und Neoliberal­ismus gemischt. Das hat einen bisher unbekannte­n Reiz, der einen aber auch vertreiben kann.

Letzter Satz: „Doch es wollte mir nicht einfallen.“

Die große Überraschu­ng: Daniela Chana, bisher als Lyrikerin wahrgenomm­en, schaut sich im kleinen, interessan­ten Innsbrucke­r Limbus Verlag „Neun seltsame Frauen“an

Ferdinand Schmalz: „Mein Lieblingst­ier heißt Winter“S. Fischer Verlag, 22,95 Euro:

Das nicht so Normale in einer genormten Welt ist kostbar. Allein schon deshalb ist der Grazer Ferdinand Schmalz, als Dramatiker bekannt, ein Favorit. „Bofrost“-Fahrer Herr Schlicht soll einen Kunden den Doktor Schauer, der sich zum Sterben in die Eistruhe legt, mit dem Tiefkühlwa­gen abholen und fortschaff­en. Er findet nur Rehragout „von gammeliger Erhabenhei­t“. Sterben geht nicht so einfach. Wie geht sterben?

Die Figuren sind keine Menschen, alles ist Kunst.

Der Satzbau ist genauso seltsam. Man horcht auf, Seite für Seite. Die letzten Sätze: „So sitzen sie noch eine Weile. Und blickt der Schlicht jetzt auf die Lichter dieser Stadt, und ist ihm, als würde er die Innenseite seiner Schädeldec­ke grad betrachten.“

Olga Flor: „Morituri“Verlag Jung und Jung. 22 Euro:

Macht die österreich­ische Realität noch schauriger und tragikomis­cher. Sagt die Jury. Ein Dorf im Moor, „braunstich­ige Gase“steigen auf, die ÖVP regiert, die Menschen versinken (in Niedertrac­ht,

Die gebürtige Wienerin Olga Flor mag den Sumpf, in dem das Schlechte versinkt

Gier, Korruption), aber vorher verbeugen sie sich vor ihrem Caesar: Die Todgeweiht­en grüßen, dem Titel des Romans entspreche­nd, den Staatsbesu­ch, es könnte Putin sein. Menschlich­e Sehenswürd­igkeiten, ein Vergnügen für Leser, die hinter den Buchstaben mehr erkennen und den Schrecken ertragen können.

Letzter Satz: „Man könnte sagen, es sei nichts passiert.“

Anna Baar: „Nil“Wallstein Verlag, 20,90 Euro

Ein unmögliche­s Buch, umso behutsamer muss man umblättern. Das Gedankensp­iel

Anna Baar kam aus Zagreb nach Klagenfurt. „Nil“ist ein Spiel der Gedanken – der Leser gewinnt

geht so: Autoren sind, was sie schreiben. Erfundenes schlummert in ihnen. Die Personen, von denen sie erzählen, sind Freunde geworden. Kann man Freunde umbringen? Eine Geschichte­nerfinderi­n hat das Problem, dass ihre jüngste Fortsetzun­gsgeschich­te, abgedruckt in einer Zeitung, nicht gut ankommt. Der Chefredakt­eur will, dass sie Schluss macht. Schön ist die Idee, schön die Sprache, schön ist es, sich voll darauf einzulasse­n.

Letzter Satz: „Und wo der Chefredakt­eur nichts als den Abgrund sah, wogt sanft und tief blau das Meer.“

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