Der Alt-Wiener Salon
Alle haben es leider nicht geschafft. Trotz der verschiedenen Corona-Hilfen („Koste es, was es wolle“) sind in der Pandemie etliche Lokale auf der Strecke geblieben. Eine Zeit lang konnte man sich noch einreden, dass da vielleicht renoviert wird; langsam aber wird traurige Gewissheit, wo für immer Sperrstunde ist. Allein in meiner näheren Umgebung sind mir vier gastronomische Todesfälle aufgefallen. Zwei Tschocherln – das Blackout und das Lambada – werden sicher nicht mehr aufsperren, und man fragt sich besorgt, wo und wie die dortige Stammkundschaft jetzt ihre Zeit verbringt. Das schöne alte Gasthaus Wratschko in der Neustiftgasse ist allem Anschein nach zwar noch vollständig vorhanden; dass es immer noch geschlossen hat, dürfte aber kein besonders gutes Zeichen sein. Besonders schmerzhaft trifft mich das Ableben des Cafés „Alt-Wiener Salon“in der Neubaugasse. Sie werden das Lokal wahrscheinlich nicht kennen, obwohl Sie bestimmt öfter daran vorbeigegangen sind. Der Alt-Wiener Salon war ein unauffälliges Lokal, nichts Besonderes eigentlich. Ich habe gerade das geschätzt. Da gab’s kein originelles GastroKonzept und keine schicke Einrichtung; der Kaffee stammte nicht aus einer angesagten Kleinrösterei, sondern von Lavazza; zu essen gab’s nur Kleinigkeiten wie Toast oder Spiegeleier, und sollten die bio gewesen sein, dann wurde darauf jedenfalls nicht extra hingewiesen. Ein für mich besonders wichtiges Kriterium, das Print-Angebot, erfüllte das Café spielend: Der KURIER lag – wie die gängigsten anderen Tageszeitungen – auf, und das Repertoire an Magazinen war sogar überdurchschnittlich vielfältig. Seit wann das Café den Namen Alt-Wiener Salon trug, weiß ich nicht mehr; vor gut zehn Jahren wurde das Lokal neu übernommen und renoviert, möglicherweise wurde damals auch der Name eingeführt. Nicht, dass das besonders wichtig wäre, aber gepasst hat er eigentlich nicht. Das Lokal erinnerte mehr an eine Konditorei am Land als an ein Wiener Kaffeehaus. Hauptattraktion waren die selbst gemachten Mehlspeisen, die diesbezüglich gut bestückte Vitrine war prominent in der Auslage platziert. Der Hauptraum war auf biedermeierlichgemütlich dekoriert; dahinter befand sich noch ein kleiner Schankraum, in dem sich vor allem jene Gäste auf hielten, die lieber Achtel und Seidel konsumierten als Melange und Kleinen Braunen. Wie sich das für eine Provinzkondi gehört, durfte selbstverständlich geraucht werden, solange das gesetzlich nicht endgültig verboten war.
Das Lokal war immer da, wenn ich es brauchte. Ich denke da zum Beispiel an die Zeit, als mein Sohn noch ganz klein war. Damals ging ich stets sehr früh am Tag einkaufen und gönnte mir im Alt-Wiener Salon eine kurze Pause vom erschöpfenden Morgenritual eines nicht mehr ganz jungen Jungvaters. Jahre später sollte das Café mein Leben dann geradezu schicksalhaft beeinflussen, aber das ist eine andere Geschichte. Was ich sagen will: Ich vermisse den Alt-Wiener Salon und hoffe, dass wenigstens die nette Wirtin halbwegs gut ausgestiegen ist. Meine Stammgäste-Treuekarte, die mir nach neun konsumierten Kaffees ein Freigetränk eingebracht hätte, ist wertlos geworden. Ich werde sie trotzdem auf bewahren. Vielleicht wird ja doch nur sehr gründlich renoviert.
Alt Wiener Salon Neubaugasse 34, 1070 Wien Tel. 01/236 20 39 facebook.com/altwienersalon derzeit geschlossen