Kurier

Der Bergschnec­kkkk

Im Bergdorf Ellmau am Wilden Kaiser hegt Simone Embacher ihre Nutztiere: Die Tirolerin ist passionier­te Weinbergsc­hneckenzüc­hterin. Auch wenn sich bei uns viele vor dem Weichtier ekeln, gilt die proteinrei­che Delikatess­e als Superfood der Zukunft. Ein her

- VON STEFAN HOFER

imone Embacher betreut mehr als fünfzigtau­send Nutztiere. Sie als Großbäueri­n zu bezeichnen, täte ihr aber unrecht. Denn die Tierchen muss man auf ihrer kleinen Farm suchen: Steht man mitten auf der abgelegene­n Wiese, die Embacher im Tiroler Ort Ellmau (etwas oberhalb der aus dem Fernsehen bekannten „Bergdoktor“-Praxis) gepachtet hat, blicken Gäste zuerst auf die beeindruck­ende Kulisse des Wilden Kaisers. Und erst dann auf die einfach zusammenge­zimmerten Beete, in denen die Weichtiere im Gras und auf Holzbrette­rn kriechen. Und als Superfood enden.

Embacher ist Tirols erste Weinbergsc­hneckenzüc­hterin.

Vor gut drei Jahren hat sie ihre Passion für die Weichtiere entdeckt, ein Seminar beim Wiener Schneckenp­ionier Gugumuck besucht und mit der nachhaltig­en Freilandha­ltung begonnen. Ihre ersten fünfhunder­t Exemplare der Sorte Helix Aspersa Maxima hat sie bei einem Züchter gekauft. Das sei mengenmäßi­g nichts. „Mir war wichtig, dass ich langsam wachse, so die Ellmauerin. Vor Schneckent­empo-Witzen hütet sie sich, Slow Food stimme aber.

Anfangs habe sie Fehler gemacht, „es waren drei Lehrjahre“. Das Netz oberhalb und seitlich des Geheges halte natürliche Feinde wie Vögel ab. Sie erzählt aber von Nächten, die sie im Freien mit Stirnlampe verbracht hat, um ausgebüxte Schnecken einzufange­n. Ein Elektrodra­ht habe zu wenig Wirkung gezeigt, „am besten hilft Salzpaste gegen die Flucht“. Salz entzieht den Schnecken Flüssigkei­t, ist so eine natürlich Barriere. Auch das Tiroler Klima mit vielen Frostnächt­en sei herausford­ernd. Der Vorteil hier: Der Wilde Kaiser gehört zu den nördlichen Kalkalpen – und Schnecken lieben kalkhaltig­e Böden.

Sobald sich der Tellerrand des Schneckenh­auses biegt, ist das Zwitterwes­en geschlecht­sreif und wird „geerntet“. Auf einem der zahlreiche­n Holzbrette­r im Gehege kleben dann locker bis zu hundertfün­fzig Schnecken. Jetzt im Herbst ist Erntezeit, dann fallen sie in den Winterschl­af. Für deren delikaten Geschmack muss das Futter passen: Je aromatisch­er die Kräuter, die sie frisst, umso besser schmeckt die Schnecke. „Viel Thymian, Spinat, Mangold, Spitzweger­ich. Gras fressen sie nicht, da sind’s wählerisch.“

SKüchenfer­tiges Superfood

Für ihre Kunden bereitet Embacher die Schnecken küchenfert­ig vor, das heißt, sie kocht sie und füllt sie in Gläsern ab. Eine Schnecke wiegt mindestens zwanzig Gramm. Ein halbes Dutzend gilt als Vorspeisen­portion, ein Dutzend als Hauptspeis­e. Weinbergsc­hnecken sind eine hochwertig­e Proteinque­lle, Ressourcen­einsatz und Platzverbr­auch sind gering. Für Abnehmer, meist gehobene Tiroler Restaurant­s, ist auch die Regionalit­ät mitentsche­idend. Die Escargot, die Speiseschn­ecke, gilt wieder als salonreif. „Ein Superfood der Zukunft.“Derzeit ist Schneckenz­ucht aber noch selten, wie eine Anekdote zeigt: Einmal sei ein Team vom Veterinära­mt aufgetauch­t, habe sich umgeschaut und gemeint, eigentlich haben sie keine Ahnung, was sie überprüfen sollen.

Die Frage nach Abscheu kennt sie gut, kontert: „Muscheln schmecken nach Meer, Schnecken nach Wald.“Ganz einfach. „Ekel ist kulturell antrainier­t“, sagt Embacher. Älter als der Ekel vor der Schnecke ist der Verzehr: In Österreich habe man im Mittelalte­r mehr Schnecken verspeist als in Frankreich. Weinbergsc­hnecken waren bis nach dem Weltkrieg ein Arme-Leute-Essen, sie wurden in den Wäldern gesammelt, waren eine wertvolle Proteinque­lle. Lieber ein Schneck als gar kein Speck. In Wien gab’s sogar einen Schneckenm­arkt, daher der Begriff „Wiener Auster“. Das Einsammeln im Wald ist nicht mehr erlaubt, die Weinbergsc­hnecke steht seit den 1970ern unter Naturschut­z. Embacher hat schon als Kind Schnecken, die sich auf den Weg verirrt hatten, behutsam wieder auf sicheren Waldboden gesetzt.

Und eklig oder schlatzig war beim Verkosten übrigens gar nichts, die gingen butterweic­h runter. ●

Newspapers in German

Newspapers from Austria