Sicher Zug fahren mit künstlicher Intelligenz
Ein neuartiges kamerabasiertes Sensorsystem soll in zukünftigen Schienenfahrzeugen integriert werden, um die Sicherheit der Passagiere, aber auch die Effizienz im Bahnverkehr zu steigern
Der Zug von Wien nach Innsbruck ist für die Abfahrt bereit. Kurz vor dem Start bemerkt jedoch ein Mitarbeiter des Zugpersonals, dass sich jemand zwischen dem Schienenfahrzeug und der Bahnsteigkante befindet. Die Person wird aus dieser Gefahrenzone hinausbefördert – der Zug kann mit Verzögerung schließlich losfahren.
Damit Zugreisen in Zukunft reibungsloser und sicherer ablaufen können, braucht es vermehrt intelligente Funktionen, wie etwa eine automatische Überwachung des Außenbereichs des Fahrzeugs. Bei rund 6.400 Zügen, die laut einer Statistik täglich auf dem Streckennetz der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) fahren (Stand: 2020), könnte eine solche Lösung eine enorme Effizienzsteigerung sowie eine Erhöhung der Sicherheit bedeuten.
3-D-Sensorsystem
Im Rahmen des von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderten Projekts „Raileye 3D“entwickelt der KameraSensoren-Experte Eyyes in Zusammenarbeit mit den ÖBB und dem Austrian Institute of Technology (AIT) ein 3-D-Sensorsystem, welches die gesamte Abfertigung sowie den Bereich zwischen Zug und Bahnsteigkante überwacht. Konkret handelt es sich dabei um kamera-basierte Sensoren mit integrierter künstlicher Intelligenz (KI), welche Personen oder Gegenstände am Bahnsteig und in Gefahrenzonen erkennen und den Lokführer über potenzielle Gefahren informieren können.
Die an der Außenfläche angebrachten Kameramodule erzeugen ein Gesamtlagebild rund um das Schienenfahrzeug – an den Enden der Waggons wird jeweils ein Modul montiert. „Beide Sensoren blicken in die entgegengesetzte Richtung, überlappen sich daher auch. Damit ist es möglich, die gesamte Zugwandseite vollständig zu erfassen“, sagt Johannes Traxler, Geschäftsführer von Eyyes, gegenüber dem KURIER.
Bewegungen analysiert
Die integrierte KI erkennt unter anderem, wenn Personen im Bahnbereich stehen, in den Zug ein- oder aussteigen wollen oder gegen die
Zugwand lehnen. Ein künstliches neuronales Netz könne aus den Sensordaten einzelne Personen erfassen, erklärt Traxler.
In einer zweiten Verarbeitungsschicht könne die KI dann beurteilen, wie sie sich bewegen und ob sie etwa zusteigen oder nur am Zug vorbeigehen. „Der Plan ist, dass der Fahrer diese Informationen auf einem Monitor angezeigt bekommt, wenn eine Gefahrensituation vorliegt“, sagt der Fachmann.
Dabei werden die jeweiligen Personen beispielsweise rotumrandet dargestellt beziehungsweise am Bildschirm markiert. Auch ein akustisches Warnsignal könne laut dem Spezialisten bei Gefahr ausgesandt werden. „Das KIbasierte System soll dem Fahrer eine Zusatzunterstützung bieten, um Gefahrensituationen zu erkennen, beziehungsweise richtig darauf zu reagieren“, sagt er.
Hohe Erfolgsrate
Laut Traxler wurden im Rahmen des Forschungsprojekts auf den tatsächlichen Schienen und in den Bahnhöfen mehrere Testfahrten unternommen und unterschiedliche Szenarien mithilfe von Statisten nachgestellt. Diese Feldtests wurden ihm zufolge auch bereits vollständig ausgewertet und durch manuelle Kontrolle überprüft, ob die KI alle Personen und Gegenstände richtig erkannt hat. Traxler zufolge sei die Qualität der Detektion zufriedenstellend. Außerhalb einer physikalischen Limitierung, etwa bei starkem Schneefall, habe das System nahezu alle kritischen Fälle abdecken können.
Rollstuhlfahrer sehen
Das Forschungsprojekt „Raileye 3D“wurde unlängst abgeschlossen. Ein weiteres Ziel sei es, dass ein derartiges KIgestütztes System in Zukunft auch Personen mit körperlichen Einschränkungen wie etwa Rollstuhlfahrer erkennt. Somit könnte mithilfe diverser Unterstützungsmaßnahmen, die in zukünftigen Zügen integriert werden sollen, umgehend reagiert werden.
Denkbar sei zudem, dass der Fahrer durch das System vollautomatisch informiert wird, wie lange es noch dauert, bis alle Passagiere in den Zug eingestiegen sind. So könne er sich gezielt darauf vorbereiten, dass das Fahrzeug in Kürze abgefertigt werden kann. Nächster Schritt sei laut Traxler jedenfalls, das System breiter zu testen.
Flexibel einsetzbar
Generell lässt sich das System flexibel und universell in jede Art von Fahrzeug integrieren und ist sowohl für Neufahrzeuge als auch für Nachrüstprojekte einsetzbar und auch für den internationalen Bahnsektor von Interesse. Taktzeiten sowie der gesamte Zugverkehrsbetrieb könnten damit nicht nur österreichweit, sondern auch auf europäischer Ebene deutlich optimiert werden.
Wann das System jedoch tatsächlich zur Anwendung kommen wird, ließe sich laut Traxler aktuell noch nicht konkret voraussagen. Ein realistischer Zeithorizont wäre ihm zufolge, dass es sich in etwa zwei bis drei Jahren etablieren könnte.
Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).