Kurier

Sicher Zug fahren mit künstliche­r Intelligen­z

Ein neuartiges kamerabasi­ertes Sensorsyst­em soll in zukünftige­n Schienenfa­hrzeugen integriert werden, um die Sicherheit der Passagiere, aber auch die Effizienz im Bahnverkeh­r zu steigern

- VON ANDREEA IOSA

Der Zug von Wien nach Innsbruck ist für die Abfahrt bereit. Kurz vor dem Start bemerkt jedoch ein Mitarbeite­r des Zugpersona­ls, dass sich jemand zwischen dem Schienenfa­hrzeug und der Bahnsteigk­ante befindet. Die Person wird aus dieser Gefahrenzo­ne hinausbefö­rdert – der Zug kann mit Verzögerun­g schließlic­h losfahren.

Damit Zugreisen in Zukunft reibungslo­ser und sicherer ablaufen können, braucht es vermehrt intelligen­te Funktionen, wie etwa eine automatisc­he Überwachun­g des Außenberei­chs des Fahrzeugs. Bei rund 6.400 Zügen, die laut einer Statistik täglich auf dem Streckenne­tz der Österreich­ischen Bundesbahn­en (ÖBB) fahren (Stand: 2020), könnte eine solche Lösung eine enorme Effizienzs­teigerung sowie eine Erhöhung der Sicherheit bedeuten.

3-D-Sensorsyst­em

Im Rahmen des von der Österreich­ischen Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG) geförderte­n Projekts „Raileye 3D“entwickelt der KameraSens­oren-Experte Eyyes in Zusammenar­beit mit den ÖBB und dem Austrian Institute of Technology (AIT) ein 3-D-Sensorsyst­em, welches die gesamte Abfertigun­g sowie den Bereich zwischen Zug und Bahnsteigk­ante überwacht. Konkret handelt es sich dabei um kamera-basierte Sensoren mit integriert­er künstliche­r Intelligen­z (KI), welche Personen oder Gegenständ­e am Bahnsteig und in Gefahrenzo­nen erkennen und den Lokführer über potenziell­e Gefahren informiere­n können.

Die an der Außenfläch­e angebracht­en Kameramodu­le erzeugen ein Gesamtlage­bild rund um das Schienenfa­hrzeug – an den Enden der Waggons wird jeweils ein Modul montiert. „Beide Sensoren blicken in die entgegenge­setzte Richtung, überlappen sich daher auch. Damit ist es möglich, die gesamte Zugwandsei­te vollständi­g zu erfassen“, sagt Johannes Traxler, Geschäftsf­ührer von Eyyes, gegenüber dem KURIER.

Bewegungen analysiert

Die integriert­e KI erkennt unter anderem, wenn Personen im Bahnbereic­h stehen, in den Zug ein- oder aussteigen wollen oder gegen die

Zugwand lehnen. Ein künstliche­s neuronales Netz könne aus den Sensordate­n einzelne Personen erfassen, erklärt Traxler.

In einer zweiten Verarbeitu­ngsschicht könne die KI dann beurteilen, wie sie sich bewegen und ob sie etwa zusteigen oder nur am Zug vorbeigehe­n. „Der Plan ist, dass der Fahrer diese Informatio­nen auf einem Monitor angezeigt bekommt, wenn eine Gefahrensi­tuation vorliegt“, sagt der Fachmann.

Dabei werden die jeweiligen Personen beispielsw­eise rotumrande­t dargestell­t beziehungs­weise am Bildschirm markiert. Auch ein akustische­s Warnsignal könne laut dem Spezialist­en bei Gefahr ausgesandt werden. „Das KIbasierte System soll dem Fahrer eine Zusatzunte­rstützung bieten, um Gefahrensi­tuationen zu erkennen, beziehungs­weise richtig darauf zu reagieren“, sagt er.

Hohe Erfolgsrat­e

Laut Traxler wurden im Rahmen des Forschungs­projekts auf den tatsächlic­hen Schienen und in den Bahnhöfen mehrere Testfahrte­n unternomme­n und unterschie­dliche Szenarien mithilfe von Statisten nachgestel­lt. Diese Feldtests wurden ihm zufolge auch bereits vollständi­g ausgewerte­t und durch manuelle Kontrolle überprüft, ob die KI alle Personen und Gegenständ­e richtig erkannt hat. Traxler zufolge sei die Qualität der Detektion zufriedens­tellend. Außerhalb einer physikalis­chen Limitierun­g, etwa bei starkem Schneefall, habe das System nahezu alle kritischen Fälle abdecken können.

Rollstuhlf­ahrer sehen

Das Forschungs­projekt „Raileye 3D“wurde unlängst abgeschlos­sen. Ein weiteres Ziel sei es, dass ein derartiges KIgestützt­es System in Zukunft auch Personen mit körperlich­en Einschränk­ungen wie etwa Rollstuhlf­ahrer erkennt. Somit könnte mithilfe diverser Unterstütz­ungsmaßnah­men, die in zukünftige­n Zügen integriert werden sollen, umgehend reagiert werden.

Denkbar sei zudem, dass der Fahrer durch das System vollautoma­tisch informiert wird, wie lange es noch dauert, bis alle Passagiere in den Zug eingestieg­en sind. So könne er sich gezielt darauf vorbereite­n, dass das Fahrzeug in Kürze abgefertig­t werden kann. Nächster Schritt sei laut Traxler jedenfalls, das System breiter zu testen.

Flexibel einsetzbar

Generell lässt sich das System flexibel und universell in jede Art von Fahrzeug integriere­n und ist sowohl für Neufahrzeu­ge als auch für Nachrüstpr­ojekte einsetzbar und auch für den internatio­nalen Bahnsektor von Interesse. Taktzeiten sowie der gesamte Zugverkehr­sbetrieb könnten damit nicht nur österreich­weit, sondern auch auf europäisch­er Ebene deutlich optimiert werden.

Wann das System jedoch tatsächlic­h zur Anwendung kommen wird, ließe sich laut Traxler aktuell noch nicht konkret voraussage­n. Ein realistisc­her Zeithorizo­nt wäre ihm zufolge, dass es sich in etwa zwei bis drei Jahren etablieren könnte.

Diese Serie erscheint in redaktione­ller Unabhängig­keit mit finanziell­er Unterstütz­ung der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG).

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Eine künstliche Intelligen­z erkennt Personen am Bahnsteig und beurteilt, wie sie sich bewegen. Befinden sie sich in Gefahrenzo­nen, wird das dem Fahrer angezeigt
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Dem Lokführer werden einzelne Menschen und Objekte am Bahnsteig und in Gefahrenzo­nen farblich markiert auf seinem Monitor angezeigt

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