Kurier

Die Familie Querfeld: Gastronomi­e ist ihr Kaffee

Drei Generation­en arbeiten bereits bei dem Wiener Familienun­ternehmen

- VON MICHAELA REIBENWEIN UND CHRISTOPH SCHWARZ

Der Deckel des Klaviers ist hinunterge­klappt, die Stühle werden nur fürs Interview von den Tischen genommen. Während wenige Meter weiter am Wiener Rathauspla­tz Punsch und Glühwein getrunken wird, gilt im Traditions­café Landtmann noch der Gastro-Lockdown. Sogar die Kaffeemasc­hine ist abgedreht – die leeren Häferl nehmen die Querfelds dem Fotografen zuliebe in die Hand. Die Schaumroll­en allerdings sind echt.

Drei Generation­en haben in der Sitznische zum KURIER-Interview Platz genommen. Allen voran Anita Querfeld. Erst vor wenigen Wochen hat die 80-Jährige die Geschäftsf­ührung an den „Junior“abgegeben. Der wortgewalt­ige und streitbare Berndt (55) ist nun das offizielle Familienob­erhaupt.

Die nächste Generation strebt bereits nach oben. Die 30-jährige Karoline Winkler führt das Café Mozart, der 25-jährige Ferdinand Querfeld, eigentlich Leistungss­portler (Rudern), ist gerade erst ins Familienge­schäft eingestieg­en. Mit Torten.

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KURIER: Drei Generation­en, die gemeinsam zehn Betriebe leiten. Da streitet man sicher auch leidenscha­ftlich. Anita Querfeld: Wir streiten gar nicht.

Berndt Querfeld: Aha?

Anita Querfeld: Es gibt Meinungsve­rschiedenh­eiten, aber es wird nicht gestritten. Aber ja, ich frage mich sehr oft, wie es uns gelungen ist, dass in unserer Großfamili­e – ich habe vier Kinder, vier Schwiegerk­inder, elf Enkelkinde­r – die Harmonie immer da war. Da wird geholfen, nicht intrigiert. Berndt Querfeld: Das Glück ist, dass unsere Familie sehr groß ist, da gibt es unterschie­dlichste Charaktere und Begabungen. Was uns eint, ist, dass wir Spaß an der Arbeit haben. Natürlich müssen wir auch Geld verdienen. Am Ende muss sich jeder aus der Familie, der mitarbeite­n will, seinen Platz erarbeiten – und sich ein bisschen unentbehrl­ich machen.

Frau Querfeld, ist es Ihrem Sohn gelungen, sich unentbehrl­ich zu machen?

Anita Querfeld: Das ist ihm tatsächlic­h gelungen. Aber nicht von einem Tag auf den andeauch ren. Am Anfang hat er ein bisschen ausgeholfe­n, hat mir das Kassabuch und das Wareneinga­ngsbuch geschriebe­n, alles noch händisch damals. Irgendwann hat mich eine Freundin gefragt, wann der Berndt denn einsteigt. Ich hab gesagt: „Ich weiß es nicht und es interessie­rt mich auch nicht. Ich habe vier Kinder, da kann ich nicht immer nachfragen.“Irgendwann hat er dann gefragt.

Berndt Querfeld: Das war vor drei Jahrzehnte­n. Es war nicht immer ganz leicht. Mein Vater und ich, wir waren uns sehr ähnlich. Wir haben nicht immer anziehend aufeinande­r gewirkt. Anita Querfeld: Doch, anziehend schon ... Berndt Querfeld: ...aber dann hat es gekracht. Da ging es um Innovation­en, die ich vorantreib­en wollte. Ich habe 1990 als einer der ersten Gastronome­n ein elektronis­ches Gerät für Kreditkart­enzahlunge­n angeschaff­t, weil mich dieses Ritsch-Ratsch-Gerät so genervt hat. Die Standleitu­ng der Post hat 360 Schilling im Monat gekostet, das war damals viel. Mein Vater hat überlegt, mich zu enterben.

Herbert Querfeld verstarb im Jahr 2004. Bis heute ist er mit einer Büste im Landtmann präsent.

Anita Querfeld: Mein Mann war der vielleicht einzige Mensch, der zu Lebzeiten ein Denkmal hatte. Er war damals sehr krank und die Familie dachte, er werde bald sterben. Daher haben wir die Büste anfertigen lassen. Er wurde wieder gesund und hat jahrelang neben seiner Büste gelebt.

Berndt Querfeld: Ein Künstler von der Uni hat sie angefertig­t und meinen Vater dafür tagelang gezeichnet. Mein Vater wusste davon nichts und sah immer nur diesen Mann, der stundenlan­g im Landtmann saß, zeichnete – und dazu nur einen kleinen Mocca bestellte. Irgendwann hat er den Oberkellne­r gerufen und gemeint: „Den haben wir uns eingetrete­n. Hau ihn raus.“Der Oberkellne­r war aber eingeweiht. Ein paar Stunden im Kaffeehaus mit nur einem Mocca. Gibt’s das heute noch? Oder hat sich das Leben im Café verändert?

Die Menschen verhalten sich im Großen und Ganzen wie früher. Das macht die Tradition. Wer eintritt, der passt sich an – der Ausstattun­g, der Gemütlichk­eit. Wir haben nie Probleme mit Gästen, alle sind freundlich und zuvorkomme­nd. Was ich aber vermisse, das sind die Studenten. Die sind nicht mehr da. Früher haben wir sie durch die Uni-Zeit begleitet, viele wurden Stammgäste. Obwohl das

Landtmann für Studenten immer hochpreisi­g war. Wir haben die Türen immer für alle Menschen geöffnet, alle dürfen überall sitzen. Daher haben wir so einen wundervoll­en Mix an Gästen – von der Hausfrau bis zur Schauspiel­erin oder zum Politiker.

Sie legen Wert auf „Sauberkeit, Stil und Eleganz“, steht auf der Homepage. Sind das Werte, die immer gelten?

Anita Querfeld: Ja. In der Gastronomi­e geht das nicht anders. Hygiene ist überhaupt das oberste Gebot. Die Mitarbeite­r müssen auch regelmäßig zum Friseur, darauf schaue ich.

Berndt Querfeld: Meine Mutter ist ja erst spät raus in den Gastraum gegangen, früher war sie viel im Büro. Den direkten

Kontakt mit den Gästen, das muss man auch mögen.

Anita Querfeld: Ich habe es anfangs nicht geschafft. Heurigenwi­rtin hätte ich nie werden dürfen. Dann habe ich es versucht und bin durch die Reihen gegangen und habe alle gegrüßt. Die Menschen haben aufgeschau­t, aufgehört zu reden und sich gedacht: „Wer ist denn das jetzt?“Da habe ich mir vorgenomme­n, das nie wieder zu tun. Aber meine Tochter hat nicht locker gelassen. Sie hat gesagt: „Du kaufst dir einen weißen Arbeitsman­tel, dann wissen die Leute, wer du bist.“

Berndt Querfeld: Die Mama hat dann die schönsten Arbeitsmän­tel gekauft. Nicht in Richtung Putzfrau, sondern eher in Richtung Oberärztin.

Anita Querfeld: Also bitte. Bernd Querfeld: Obwohl meine Mama, das muss man sagen, immer selbst beim Putzen geholfen hat. Sie stand um 6 Uhr in der Früh mit einem Staubwedel auf einer Leiter, bis sie zum Chiroprakt­iker musste. Irgendwann haben wir sie überzeugt, dass es besser ist, wenn sie an der Mehlspeise­n-Vitrine steht und die Gäste begrüßt.

Anita Querfeld: Das ist meine letzte Station hier im Betrieb, alles andere habe ich schon abgegeben. Der Abschied geht schmerzlos, irgendwann kommen die Jungen mit den besseren, neuen Ideen. Ich will und muss nicht mehr 18 Stunden am Tag hier arbeiten.

Sie waren von der Früh bis zur Sperrstund­e da?

Anita Querfeld: Immer.

Berndt Querfeld: Alle denken, wir sind mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachs­en. Aber so war das nicht. Die Mama ist 1976 von einem Tag auf den anderen in dieses Landtmann verschwund­en, da war ich zehn Jahre alt. Sie hat immer gearbeitet. Frau Winkler, Sie wurden in eine Dynastie hineingebo­ren: Diese goldenen Löffel, gibt es die heute in dritter Generation?

Wir hatten auch nie goldene Löffel. Meine Mama hat ebenfalls immer gearbeitet, mein Vater ist Direktor in einem Privatspit­al. Als kleines Kind in der Schule habe ich gesagt: „Der Papa ist im Spital und die Mama sitzt im Kaffeehaus.“Der Lehrer war irritiert. Auch ich habe früh zu arbeiten begonnen. Ich habe mir ab 14 mein Taschengel­d beim Kellnern verdient, meine Freundinne­n haben das damals nicht verstanden.

Was können Sie von Ihrer Oma lernen? Karoline Winkler: Ich bewundere ihre wahnsinnig­e Souveränit­ät. Deshalb ist es so super, wenn sie da ist. Sie ist unsere Qualitätsm­anagerin. Sie hat mittlerwei­le auch die Distanz, Dinge anders zu sehen. Sie muss sich nicht mehr beweisen. Und trifft gerade deshalb so oft ins Schwarze mit ihren Feststellu­ngen.

Berndt Querfeld: Meine Mutter hatte es nie leicht im Leben. Selbst wenn wir goldene Löffel hatten, hat man sie uns wieder weggenomme­n. Spannend ist, wie unsere Geschäftsp­artner in Tokio meine Mutter wahrnehmen. Da darf Anita-San sogar mit den Männern am Tisch sitzen, wenn verhandelt wird. Meine Frau und Karoline müssen am Nebentisch sitzen.

Karoline Winkler: Ja, das kann ich bestätigen. Alles schon erlebt. Berndt Querfeld: Die Mama verfügt über Weisheit und eine Gelassenhe­it, die mich früher

„Wir haben unsere Türen seit jeher für alle Gäste geöffnet“Anita Querfeld

„Unsere Torten sollen Menschen Lebensfreu­de und Genuss bringen“Ferdinand Querfeld

„Bei uns daheim gab es keine goldenen Löffel. Ich habe mit 14 gekellnert“Karoline Winkler

wahnsinnig gemacht hat. „Die Zeit heilt alle Wunden“, hat sie immer gesagt. Damit kann man als junger Mensch nichts anfangen.

Morgen dürfen Sie all Ihre Lokale wieder aufsperren. Überwiegt die Freude? Oder die Angst vor Omikron?

Karoline Winkler: Immer die Freude.

Anita Querfeld: Wir müssen aufsperren. Es geht nicht mehr anders.

Berndt Querfeld: Dass unsere Branche immer die letzte ist, die aufsperren darf, ist wissenscha­ftlich nicht begründet. Alles andere in Wien ist schon geöffnet. Das Geld rinnt uns zwischen den Fingern davon. So groß das Füllhorn im vergangene­n Jahr auch war, wir müssen uns etwas überlegen.

Karoline Winkler: Alles ist teurer geworden. Die Preise für den Strom haben sich verdreifac­ht, jene für Kalbfleisc­h verdoppelt. Nur wir haben unsere Preise zuletzt im März 2019 angepasst.

Wird der Kaffeehaus­besuch teurer?

Karoline Winkler: Ja, denn alles andere ist schon teurer geworden. Wir müssen jetzt noch besser zeigen, wie viel Arbeit und Qualität in unseren Dienstleis­tungen und Produkten steckt – und dass sie das Geld auch wert sind. Anita Querfeld: Das ist kein saloppes Nachziehen, es ist absolut notwendig.

Berndt Querfeld: Wenn wir den Kaffee um 20 Cent teurer machen, kommen sofort Proteste. Woanders, in einem Restaurant, ist es den Menschen egal, ob sie 130 oder 140 Euro zahlen. Oder in einem Club, da kosten Eintritt und ein Cola 9,50 Euro. Stellen Sie sich vor, wir würden 9,50 Euro für ein Cola verlangen. Dabei spielt auch bei uns der Pianist live Musik, fast wie im Club.

Sie könnten ja Eintritt ins Landtmann verlangen.

Berndt Querfeld: Es ist schwierig, wenn ein Gast für 3,20 Euro zwei Stunden lang sitzt.

Die Konsumatio­n pro Stunde müsste bei 15 Euro liegen, damit es sich rechnet. Im Schnitt gibt ein Landtmann-Kunde das hier nicht aus.

Wie hoch war Ihr Verlust im laufenden Jahr?

Berndt Querfeld: Wir haben 2021 vom Konto weg 2,5 Millionen Euro verloren.

Jetzt haben Sie sich auch noch auf einen kostspieli­gen Prozess eingelasse­n, weil Sie während der Pandemie die Mietzahlun­gen ausgesetzt haben.

Berndt Querfeld: Den Prozess wollten wir nicht, er ist passiert. Wir wollten mit der Wlaschek-Stiftung, dem Eigentümer des LandtmannG­ebäudes, in Wirtschaft­smediation gehen und alles regeln. Das hat man abgelehnt und stattdesse­n meiner Mutter einfach einen Räumungsbe­scheid geschickt, weil man dachte, wir sind ein leichtes Opfer. Ich sage Ihnen: Wenn einer meiner Mutter droht, dann ist es aus bei mir. Ich habe eine Regel: Sich eine Meinung bilden, einen Standpunkt einnehmen, notfalls auch gegen den Strom schwimmen. Also habe ich gemacht, was ich auch gut kann: Ich habe mein Schiff quer gestellt.

Im schlimmste­n Fall droht Ihnen die Räumung.

Berndt Querfeld: Im schlimmste­n Fall schulden wir der Stiftung Geld. Aber es sieht gut aus vor Gericht für uns.

Die Familie Querfeld ohne Landtmann, kann es das geben?

Anita Querfeld: Das Schöne ist, das Landtmann gibt es seit fast 150 Jahren. Einige Familien sind mit ihm verbunden, wir sind nur Begleiter dieser Institutio­n. Das Landtmann geht nicht unter. Berndt Querfeld: Wir werden kämpfen bis zuletzt. Und wir blicken in die Zukunft. Etwa mit unseren neuen Torten, die mein Sohn Ferdinand verantwort­et.

Ferdinand Querfeld: Wir haben Torten für Menschen mit Kau- und Schluckbes­chwerden entwickelt. Das ist ein großes Tabu-Thema. Fast 10 Prozent der Bevölkerun­g sind betroffen, bei Parkinson, Alzheimer oder nach einem Schlaganfa­ll. Die Menschen ernähren sich oft von Breinahrun­g. Das ist nicht attraktiv, da verliert das Essen seine Würde, man zieht sich sozial zurück. Unsere Torten schmecken der ganzen Familie. Das bringt wieder Lebensfreu­de und Genuss.

„Wenn jemand meiner Mama droht, dann ist es aus bei mir“Berndt Querfeld

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