Gefängnis, Anstalt, Gaskammer
Lentos. In Linz werden parallel die berührenden Schicksale zweier Künstlerinnen nacherzählt: Ida Maly wurde vom NS-Regime aus eugenetischen Gründen ermordet, Friedl Dicker-Brandeis aus rassistischen
In Linz schlägt das Pendel mit Wucht in die andere Richtung aus. Hemma Schmutz, Direktorin der städtischen Museen, präsentierte auch in der Vergangenheit weibliche Positionen – man denke nur an die exzellente Ines-Doujak-Retrospektive. Aber nun stehen Künstlerinnen das gesamte Jahr über im Mittelpunkt.
Bis 9. Jänner gastierte die Sammlung Verbund mit „Feministischer Avantgarde“seit den 70ern im Lentos. Geplant sind zudem die Personalen Inge Dick (ab 18. 3.) und Iris Andraschek (ab 16. 6.).
Im Nordico leistet man unterdessen Geschichtsaufarbeitung nach Grazer Vorbild: Auf die Überblicksschau „Ladies First! Künstlerinnen in und aus der Steiermark 1850 – 1950“, die bis zum Herbst in der Neuen Galerie am Joanneum zu sehen war, folgt ab 20. Mai „Auftritt der Frauen. Künstlerinnen in Linz 1851 – 1951“. Die Zeit von 1950 bis heute wird danach (ab 28. 10.) unter dem Titel „What the fem?“aufbereitet.
Und gerade eben widmet sich das Lentos zwei ganz besonderen Schicksalen: Ida Maly, 1894 in Wien geboren, wie auch die vier Jahre jüngere Friedl Dicker-Brandeis wurden in der NS-Zeit ermordet. Die eine aus eugenetischen, die andere aus rassisistischen Gründen. Was beide Lebenswege noch verbindet: Diese Künstlerinnen verarbeiteten in Bildern die psychische wie physische Gewalt.
Wobei die Peiniger nicht nur Männer waren: In einem Aquarell von Ida Maly aus 1932 drückt „Wärterin Köppl“mit ihren riesigen Händen eine zierliche Frau nieder: „Das wern ma seh’n, ob du di net setzen wirst!“Und die Insassin der Anstalt, sie heißt in der Zeichnung „Hofer“, fleht: „Aber ich will doch raus!“
Moderne in dunkler Zeit
Die triste Geschichte der Ida Maly wurde schon vor zwei Jahrzehnten von der Neuen Galerie dem Vergessen entrissen – in der Schau „Moderne in dunkler Zeit“über Widerstand, Verfolgung und Exil steirischer Kunstschaffender 1933 bis 1945. In der Folge gab es auch eine Einzelausstellung über Ida Maly, die in Graz aufgewachsen war. Die Personale „Zwischen den Stilen“im Lentos (bis 27. 2.) basiert daher auch zum Großteil auf Leihgaben aus Graz.
Ida Maly war die Tochter eines Eichmeisters; zusammen mit ihrer Schwester Paula studierte sie ab 1912 Malerei in Graz und dann in Wien. Ab 1915 lebte sie einige Zeit in St. Pölten: Sie arbeitete in einer Fabrik, nahm an Wettkämpfen im Schwimmen und Turmspringen teil.
Im August 1918 – der Weltkrieg ging zu Ende – zog Ida Maly nach München und bewegte sich dort im illustren Kreis von Theaterleuten und Künstlern. Das von Männern abfällig verwendete Wort „Malweib“soll sie mit Stolz und Humor getragen haben. Aber ihre Versuche, sich als alleinerziehende Mutter und freischaffende Künstlerin (etwa mit Auftragsporträts und der Gestaltung von Exlibris) durchzubringen, scheiterten: 1923 übergab sie ihre zwei Jahre zuvor geborene Tochter Elga Pflegeeltern in Graz.
Es folgten Aufenthalte in Berlin, Dresden, Paris und Wien. In Cafés porträtierte sie mit schnellem Strich Besucher und Künstler. Im Frühjahr 1928 kehrte sie nach Graz zurück. Bezeichnend für ihre äußerst prekäre Lage ist das Aquarell „Trübe Ahnungen“: Eine Person steht vor einem Gebäude mit der Aufschrift „Armenhaus“.
Ein unwertes Leben
Im August jenes Jahres wurde sie mit der Diagnose „Schizophrenie“in die Landes-Heilund Pflegeanstalt für Geisteskranke Am Feldhof eingewiesen. Für die Nazis, seit dem März 1938 an der Macht, war sie ein „unwertes Leben“: Im Februar 1941 verbrachte man Ida Maly ins Schloss Hartheim in Oberösterreich und ermordete sie in der dortigen Gaskammer. Als Todesursache wurde Pneumonie (Lungenentzündung) angegeben.
Dieser Lebens- und Leidensweg wird in der von Anna Lehninger kuratierten Ausstellung anhand 70 Arbeiten und etlichen Dokumenten nachgezeichnet. Auffällig ist nicht nur die stilistische Nähe zu Expressionismus, Art déco oder Neue Sachlichkeit: In mehreren Porträts scheint Ida Maly die kräftige Farbigkeit der Pop Art (etwa eines Richard Lindner) vorweggenommen zu haben.
Weit opulenter angelegt ist die Ausstellung über Friedl Dicker-Brandeis – „BauhausSchülerin, Avantgarde-Malerin, Kunstpädagogin“– im Oberlichtsaal (bis 29. 5.): Kuratorin Brigitte Reutner-Doneus präsentiert in einer ansprechenden Architektur das vielseitige Schaffen der überzeugten Kommunistin: neben Zeichnungen und Gemälden auch Fotocollagen, Filmausschnitte, Stoffmuster ...
Ausgangspunkt ist eine riesige Tafel mit den Lebensdaten. Das Publikum wird auf einen Rundgang im Uhrzeigersinn eingeladen, was jedoch den gravierenden Nachteil hat, dass die Chronologie entgegen der Lesegewohnheiten von rechts nach links läuft.
Friedl Dicker, 1898 in Wien geboren, studierte zunächst bei Franz Cižek und ab 1916 bei Johannes Itten. In dessen Privatschule lernte sie Franz Singer kennen, mit dem sie eine Beziehung einging und viele Jahre zusammenarbeitete. 1919 zog Itten mit all seinen Schützlingen nach Weimar ins Bauhaus; die Lehrer von Friedl Dicker waren unter anderem Paul Klee und Wassily Kandinsky.
1923 eröffneten Singer und Dicker die „Werkstätten Bildender Kunst“in Berlin: Sie entwarfen u. a. Kinderspielzeug und Schmuck, erhielten Aufträge für Textilien und Buchgestaltungen. In den Raumentwürfen wurden Zimmer mit mehreren Funktionen ausgestattet: Das Zusammenklappen und Stapeln der Möbel (im Lentos sind etliche Beispiele zu sehen) ermöglichte eine Mehrfachnutzung auf engem Raum.
Der Musterkindergarten
1925 kehrte Friedl Dicker nach Wien zurück, Franz Singer folgte ihr nach, die beiden gründeten das Atelier SingerDicker. 1930 erhielten sie den Auftrag, für den Goethehof einen Kindergarten zu entwerfen. Die Einrichtung nach Vorgaben der Montessori-Pädagogik wurde als Musterkindergarten im Roten Wien berühmt. Im Jahr darauf trat Friedl Dicker der kommunistischen Partei bei. In ihrer Wohnung wurden Utensilien zum Fälschen von Pässen gefunden, die Künstlerin wurde verhaftet und verhört, was sie in einem Zyklus verarbeitete.
Der Gefängnisaufenthalt vermochte sie nicht zu brechen: Sie entwarf weiter Propagandaplakate für die Kommunisten, in Berlin arbeitete sie an einer Verfilmung von „Das Kapital“mit.
1934 übersiedelte Friedl Dicker nach Prag. Dort verliebte sie sich in Pavel Brandeis. 1938 ging das Ehepaar nach Hronov nahe der polnischen Grenze. Brandeis arbeitete als Hauptbuchhalter in der Stofffabrik Spiegler & Söhne, seine Frau gestaltete u. a. einen Stand für eine Textilmesse, die mit einer Goldmedaille für das exzellente Design ausgezeichnet wurde.
Den Juden eine Stadt
Doch im Oktober 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht im Sudetenland ein. Freunde versuchten, Friedl Dicker-Brandeis zur Ausreise zu bewegen. Franz Singer zum Beispiel lud sie nach London ein, ein Visum für Palästina wurde organisiert. Doch das Ehepaar blieb. Aufgrund der antisemitischen Gesetze musste es mehrfach umziehen, jedes Mal in eine noch armseligere Wohnung.
1942 wurde es nach Theresienstadt (Terezín) deportiert, die der Führer den Juden „geschenkt“hatte. Die alte Festung diente dem NS-Regime als Durchgangs- wie auch als Vorzeigelager. Friedl Dicker-Brandeis unterrichtete im Kinderheim L-410 als feinfühlige Zeichenlehrerin.
Am 28. September 1944 wurde Pavel Brandeis nach Auschwitz deportiert. Friedl Dicker-Brandeis, die ihren Mann nicht alleine lassen wollte, meldete sich für den Folgetransport. Sie kam am 8. Oktober nach Auschwitz-Birkenau. Wenig später wurde sie „vergast“. Pavel Brandeis überlebte den Krieg.