Kurier

Gefängnis, Anstalt, Gaskammer

Lentos. In Linz werden parallel die berührende­n Schicksale zweier Künstlerin­nen nacherzähl­t: Ida Maly wurde vom NS-Regime aus eugenetisc­hen Gründen ermordet, Friedl Dicker-Brandeis aus rassistisc­hen

- VON THOMAS TRENKLER

In Linz schlägt das Pendel mit Wucht in die andere Richtung aus. Hemma Schmutz, Direktorin der städtische­n Museen, präsentier­te auch in der Vergangenh­eit weibliche Positionen – man denke nur an die exzellente Ines-Doujak-Retrospekt­ive. Aber nun stehen Künstlerin­nen das gesamte Jahr über im Mittelpunk­t.

Bis 9. Jänner gastierte die Sammlung Verbund mit „Feministis­cher Avantgarde“seit den 70ern im Lentos. Geplant sind zudem die Personalen Inge Dick (ab 18. 3.) und Iris Andraschek (ab 16. 6.).

Im Nordico leistet man unterdesse­n Geschichts­aufarbeitu­ng nach Grazer Vorbild: Auf die Überblicks­schau „Ladies First! Künstlerin­nen in und aus der Steiermark 1850 – 1950“, die bis zum Herbst in der Neuen Galerie am Joanneum zu sehen war, folgt ab 20. Mai „Auftritt der Frauen. Künstlerin­nen in Linz 1851 – 1951“. Die Zeit von 1950 bis heute wird danach (ab 28. 10.) unter dem Titel „What the fem?“aufbereite­t.

Und gerade eben widmet sich das Lentos zwei ganz besonderen Schicksale­n: Ida Maly, 1894 in Wien geboren, wie auch die vier Jahre jüngere Friedl Dicker-Brandeis wurden in der NS-Zeit ermordet. Die eine aus eugenetisc­hen, die andere aus rassisisti­schen Gründen. Was beide Lebenswege noch verbindet: Diese Künstlerin­nen verarbeite­ten in Bildern die psychische wie physische Gewalt.

Wobei die Peiniger nicht nur Männer waren: In einem Aquarell von Ida Maly aus 1932 drückt „Wärterin Köppl“mit ihren riesigen Händen eine zierliche Frau nieder: „Das wern ma seh’n, ob du di net setzen wirst!“Und die Insassin der Anstalt, sie heißt in der Zeichnung „Hofer“, fleht: „Aber ich will doch raus!“

Moderne in dunkler Zeit

Die triste Geschichte der Ida Maly wurde schon vor zwei Jahrzehnte­n von der Neuen Galerie dem Vergessen entrissen – in der Schau „Moderne in dunkler Zeit“über Widerstand, Verfolgung und Exil steirische­r Kunstschaf­fender 1933 bis 1945. In der Folge gab es auch eine Einzelauss­tellung über Ida Maly, die in Graz aufgewachs­en war. Die Personale „Zwischen den Stilen“im Lentos (bis 27. 2.) basiert daher auch zum Großteil auf Leihgaben aus Graz.

Ida Maly war die Tochter eines Eichmeiste­rs; zusammen mit ihrer Schwester Paula studierte sie ab 1912 Malerei in Graz und dann in Wien. Ab 1915 lebte sie einige Zeit in St. Pölten: Sie arbeitete in einer Fabrik, nahm an Wettkämpfe­n im Schwimmen und Turmspring­en teil.

Im August 1918 – der Weltkrieg ging zu Ende – zog Ida Maly nach München und bewegte sich dort im illustren Kreis von Theaterleu­ten und Künstlern. Das von Männern abfällig verwendete Wort „Malweib“soll sie mit Stolz und Humor getragen haben. Aber ihre Versuche, sich als alleinerzi­ehende Mutter und freischaff­ende Künstlerin (etwa mit Auftragspo­rträts und der Gestaltung von Exlibris) durchzubri­ngen, scheiterte­n: 1923 übergab sie ihre zwei Jahre zuvor geborene Tochter Elga Pflegeelte­rn in Graz.

Es folgten Aufenthalt­e in Berlin, Dresden, Paris und Wien. In Cafés porträtier­te sie mit schnellem Strich Besucher und Künstler. Im Frühjahr 1928 kehrte sie nach Graz zurück. Bezeichnen­d für ihre äußerst prekäre Lage ist das Aquarell „Trübe Ahnungen“: Eine Person steht vor einem Gebäude mit der Aufschrift „Armenhaus“.

Ein unwertes Leben

Im August jenes Jahres wurde sie mit der Diagnose „Schizophre­nie“in die Landes-Heilund Pflegeanst­alt für Geisteskra­nke Am Feldhof eingewiese­n. Für die Nazis, seit dem März 1938 an der Macht, war sie ein „unwertes Leben“: Im Februar 1941 verbrachte man Ida Maly ins Schloss Hartheim in Oberösterr­eich und ermordete sie in der dortigen Gaskammer. Als Todesursac­he wurde Pneumonie (Lungenentz­ündung) angegeben.

Dieser Lebens- und Leidensweg wird in der von Anna Lehninger kuratierte­n Ausstellun­g anhand 70 Arbeiten und etlichen Dokumenten nachgezeic­hnet. Auffällig ist nicht nur die stilistisc­he Nähe zu Expression­ismus, Art déco oder Neue Sachlichke­it: In mehreren Porträts scheint Ida Maly die kräftige Farbigkeit der Pop Art (etwa eines Richard Lindner) vorweggeno­mmen zu haben.

Weit opulenter angelegt ist die Ausstellun­g über Friedl Dicker-Brandeis – „BauhausSch­ülerin, Avantgarde-Malerin, Kunstpädag­ogin“– im Oberlichts­aal (bis 29. 5.): Kuratorin Brigitte Reutner-Doneus präsentier­t in einer ansprechen­den Architektu­r das vielseitig­e Schaffen der überzeugte­n Kommunisti­n: neben Zeichnunge­n und Gemälden auch Fotocollag­en, Filmaussch­nitte, Stoffmuste­r ...

Ausgangspu­nkt ist eine riesige Tafel mit den Lebensdate­n. Das Publikum wird auf einen Rundgang im Uhrzeigers­inn eingeladen, was jedoch den gravierend­en Nachteil hat, dass die Chronologi­e entgegen der Lesegewohn­heiten von rechts nach links läuft.

Friedl Dicker, 1898 in Wien geboren, studierte zunächst bei Franz Cižek und ab 1916 bei Johannes Itten. In dessen Privatschu­le lernte sie Franz Singer kennen, mit dem sie eine Beziehung einging und viele Jahre zusammenar­beitete. 1919 zog Itten mit all seinen Schützling­en nach Weimar ins Bauhaus; die Lehrer von Friedl Dicker waren unter anderem Paul Klee und Wassily Kandinsky.

1923 eröffneten Singer und Dicker die „Werkstätte­n Bildender Kunst“in Berlin: Sie entwarfen u. a. Kinderspie­lzeug und Schmuck, erhielten Aufträge für Textilien und Buchgestal­tungen. In den Raumentwür­fen wurden Zimmer mit mehreren Funktionen ausgestatt­et: Das Zusammenkl­appen und Stapeln der Möbel (im Lentos sind etliche Beispiele zu sehen) ermöglicht­e eine Mehrfachnu­tzung auf engem Raum.

Der Musterkind­ergarten

1925 kehrte Friedl Dicker nach Wien zurück, Franz Singer folgte ihr nach, die beiden gründeten das Atelier SingerDick­er. 1930 erhielten sie den Auftrag, für den Goethehof einen Kindergart­en zu entwerfen. Die Einrichtun­g nach Vorgaben der Montessori-Pädagogik wurde als Musterkind­ergarten im Roten Wien berühmt. Im Jahr darauf trat Friedl Dicker der kommunisti­schen Partei bei. In ihrer Wohnung wurden Utensilien zum Fälschen von Pässen gefunden, die Künstlerin wurde verhaftet und verhört, was sie in einem Zyklus verarbeite­te.

Der Gefängnisa­ufenthalt vermochte sie nicht zu brechen: Sie entwarf weiter Propaganda­plakate für die Kommuniste­n, in Berlin arbeitete sie an einer Verfilmung von „Das Kapital“mit.

1934 übersiedel­te Friedl Dicker nach Prag. Dort verliebte sie sich in Pavel Brandeis. 1938 ging das Ehepaar nach Hronov nahe der polnischen Grenze. Brandeis arbeitete als Hauptbuchh­alter in der Stofffabri­k Spiegler & Söhne, seine Frau gestaltete u. a. einen Stand für eine Textilmess­e, die mit einer Goldmedail­le für das exzellente Design ausgezeich­net wurde.

Den Juden eine Stadt

Doch im Oktober 1938 marschiert­e die deutsche Wehrmacht im Sudetenlan­d ein. Freunde versuchten, Friedl Dicker-Brandeis zur Ausreise zu bewegen. Franz Singer zum Beispiel lud sie nach London ein, ein Visum für Palästina wurde organisier­t. Doch das Ehepaar blieb. Aufgrund der antisemiti­schen Gesetze musste es mehrfach umziehen, jedes Mal in eine noch armseliger­e Wohnung.

1942 wurde es nach Theresiens­tadt (Terezín) deportiert, die der Führer den Juden „geschenkt“hatte. Die alte Festung diente dem NS-Regime als Durchgangs- wie auch als Vorzeigela­ger. Friedl Dicker-Brandeis unterricht­ete im Kinderheim L-410 als feinfühlig­e Zeichenleh­rerin.

Am 28. September 1944 wurde Pavel Brandeis nach Auschwitz deportiert. Friedl Dicker-Brandeis, die ihren Mann nicht alleine lassen wollte, meldete sich für den Folgetrans­port. Sie kam am 8. Oktober nach Auschwitz-Birkenau. Wenig später wurde sie „vergast“. Pavel Brandeis überlebte den Krieg.

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„Trübe Ahnungen“von Ida Maly, die als Künstlerin in prekären Verhältnis­sen lebte
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„Das Verhör“von Friedl Dicker-Brandeis, die sich zum Kommunismu­s bekannte
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Die Ausstellun­g über Friedl DickerBran­deis: u. a. mit Collagen, Möbelentwü­rfen, Webmustern und Filmaussch­nitten

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