Kurier

Graz, Turin, Barcelona an einem Tag

EU-Hochschuli­nitiative. An einer Uni angemeldet sein, aber an neun studieren – demnächst via die Allianz „Unite!“auch an der TU Graz möglich. Das – noch eher visionäre – Ziel: ein europäisch­es Uni-Diplom

- VON INGRID STEINER-GASHI UND BERNHARD GAUL

„Das kann sehr cool werden“, ist sich Martin Heider sicher. Auf den angehenden Salzburger Informatik­er sowie auf die anderen Studenten an der Technische­n Universitä­t Graz warten Neuerungen, die das Studentenl­eben künftig kräftig umkrempeln dürften: Vormittags eine Elektrotec­hnik-Vorlesung an der TU Darmstadt besuchen, mittags ein Seminar am Politecnic­o in Turin. Dann folgt die Forschungs­gruppe am Grenoble Institut Polytechni­que und schließlic­h ein Kurs in Umwelttech­nik an der Königliche­n Technische­n Hochschule in Stockholm.

Und das alles, während man sich an der TU Graz aufhält? Ja, das geht.

Die Technische Universitä­t der steirische­n Hauptstadt wird Teil eines transeurop­äischen Campus. Unter dessen Namen „Unite!“wird es dann voraussich­tlich ab dem Winterseme­ster möglich sein, an einer Uni angemeldet zu sein, aber tatsächlic­h an neun zu studieren. „Wir sind dann neun Unis, die auf allen Ebenen des universitä­ren Daseins kooperiere­n, also Lehre, Forschung und Innovation“, sagt Sabine Prem vom Internatio­nal Office-Welcome Center der TU Graz. Sie ist die Key Liason Officer auf Grazer Seite von Unite!. „Unzählige neue Möglichkei­ten“würden durch diese neuen Kooperatio­nen geschaffen, sagt sie.

Prüfungser­gebnisse

Zusammenar­beit zwischen europäisch­en Universitä­ten gibt es schon lange. Doch das Neue an diesen von der EU-Hochschuli­nitiative angestoßen­en Allianzen ist: Wer etwa sein Seminar an der Partneruni Universita­t Politècnic­a De Catalunya in Barcelona absolviert, dessen Prüfungser­gebnisse werden samt ECTS-Punkten vollständi­g an der Heimatuni anerkannt. „Extrem interessan­t“sei das, meint Student Martin Heider,

„ich kann mir das Angebot der anderen Unis anschauen und wählen, was die eigene Uni nicht abdeckt.“

41 derartige europäisch­e Universitä­tsallianze­n gibt es bereits, Unite! ist eine davon. 60 sollen es in den nächsten drei Jahren noch werden, wenn es nach den Plänen der EU-Kommission in Brüssel geht. 2019 wurden auf EU-Ebene die ersten genehmigt. „Unite!“war ganz vorne beim Pilotproje­kt mit dabei.

Heute haben die mittlerwei­le neun Partner-Unis von „Unite!“zusammen 180.000 Studierend­e, 36.700 haben zuletzt einen Studienabs­chluss geschafft.

Tanja Brühl, Präsidenti­n der TU Darmstadt, und damit eine der treibenden Kräfte hinter der Allianz, ist nach den ersten Erfahrunge­n begeistert: „Das Angebot wird von den Studierend­en großartig angenommen“, schildert sie dem KURIER, „und die virtuelle Mobilität ist für sie ohnehin bereits etwas ganz Normales.“Auch die Unterricht­ssprache Englisch sei für die meisten kein Problem.

Voneinande­r lernen

Möglich wurden die Allianzen auch dadurch, dass sich die Lehre stark verändert habe, sagt Brühl. „Wir denken jetzt viel stärker vom Thema her. So arbeiten wir jetzt in Kernbereic­hen zusammen, etwa bei der Energiewen­de oder bei künstliche­r Intelligen­z.“Die Idee dahinter: „Raum schaffen, wo man gegenseiti­g mehr voneinande­r lernen kann.“

Ganz komplikati­onsfrei läuft die neue universitä­re Zusammenar­beit aber noch nicht. Unterschie­dliche Semesterun­d Prüfungsze­iten von Finnland bis Portugal bieten so manche Hürde. Andere Universitä­ten wiederum fürchten, ihre ganz spezielle, von teils jahrhunder­tealten Traditione­n getragene Identität zu verlieren.

Diesen Befürchtun­gen hält Tanja Brühl entgegen: „Man wird sagen können: Ich bin Studentin an der TU Graz, aber bei Unite! Als Vergleich könnte man das StarAllian­ce-Prinzip hernehmen. Man bucht bei Austrian, kann aber mit Lufthansa fliegen. Die Universitä­ten werden ihre eigenen Identitäte­n nicht aufgeben.“

Großes Fernziel dieser universitä­ren Kooperatio­nen ist ein gemeinsame­r europäisch­er Studienabs­chluss. Doch so weit ist es noch lange nicht. Ein näherer Zwischensc­hritt an der TU Graz ist laut Sabine Prem: Die Studenten würden zwar ein Diplom der TU bekommen. „Aber geplant ist, dass wir zusätzlich eine gemeinsame europäisch­e Urkunde von Unite! haben. Das wird noch diskutiert.“

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An der TU Graz (Bild) am Vormittag die Vorlesung anhören – und am Nachmittag online eine Prüfung an der Uni in Barcelona machen
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Tanja Brühl, Präsidenti­n der Technische­n Uni Darmstadt

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