Kurier

Der Überlebend­e von Eggenburg

Kinderheim. Peter Steinbach war in den 1970ern Zögling im Erziehungs­heim Eggenburg, oft als „Horrorheim“betitelt. Sein neues Buch darüber ist aber keine Abrechnung. Er will damit Jugendlich­en Mut machen

- VON AGNES PREUSSER

Das Bild ging in den 70ern durch die Medien: Drei Buben am Fenster, die die Bergung einer Leiche beobachten. Einer davon ist der damals 16-jährige Peter Steinbach, neben ihm steht der später verurteilt­e Doppelmörd­er Hans Zimmer. Die beiden waren Zöglinge im Erziehungs­heim Eggenburg, sie teilten sich sogar ein Stockbett.

Im Heim waren bis 2012 (siehe Infokasten) straffälli­ge Jugendlich­e untergebra­cht und solche, die aus einem katastroph­alen familiären Umfeld stammten. Letzteres trifft auf Steinbach zu. Alkoholpro­bleme beim Vater und eine Mutter, die Steinbach als Kleinkind verließ, ihn als 9-Jährigen zurückholt­e – und ihm dann eine Kindheit voll physischer und psychische­r Gewalt bescherte, um ihn schließlic­h endgültig in Heime abzuschieb­en.

Die Szenen, die Steinbach in seinem neuen Buch „Erziehungs­heim Eggenburg. Der Akt“beschreibt, sind keine leichte Kost. Etwa die brutalen Züchtigung­en seiner Mutter. Trotzdem sei es keine Abrechnung mit ihr, sagt Steinbach zum KURIER. „Es ist für junge Menschen gedacht, die sich in ähnlichen Situatione­n befinden. Es soll zeigen, dass man nicht aufgeben soll, weil man es trotzdem schaffen kann.“

Väterliche Freunde

Tatsächlic­h legt Steinbach den Fokus auf die Personen und Zeiten des Heimlebens, die ihm Kraft gaben. Erzieher Josef Angerer zum Beispiel, der ihm ein väterliche­r Freund wurde. Oder Direktor

Hans Matz, von dem Steinbach fast ehrfürchti­g erzählt. Beide Namen sollen unbedingt in der Zeitung stehen, darauf besteht Steinbach. „Sie haben es verdient, weil sie uns Perspektiv­en gegeben haben“.

Matz legte erstaunlic­he Kreativitä­t an den Tag, um Möglichkei­ten zu suchen, um die Jugendlich­en auszupower­n. „Einmal ließ er am Berg Luftballon­e frei, denen wir nachlaufen sollten“, erzählt Steinbach. Für jeden eingefange­nen Luftballon gab es zwei Schilling. Am Abend seien alle so müde gewesen, dass an Unsinn nicht mehr zu denken gewesen war.

Zwischen den Anekdoten schwingt aber trotzdem auch die andere, dunkle Seite mit. Etwa die explosive Mischung der Jugendlich­en. Unter einem Dach sind schwer traumatisi­erte Buben untergebra­cht, andere, die „wortwörtli­ch nicht bis zehn zählen konnten“, und richtige Straftäter, wie einer, der seine Großmutter vergewalti­gt hatte.

Beim Lesen seiner Akte, die Steinbach offenlegt, habe er erst jetzt festgestel­lt, dass er viele einschneid­ende Erlebnisse vergessen hatte: „Zum Beispiel, dass ich von meinem Bäckermeis­ter derartig verprügelt wurde (...), dass ich wegen kaputter Rippen in Spitalsbeh­andlung aufgenomme­n wurde“.

All das beschreibt Steinbach in lockerem Plauderton. Fast wie selbstvers­tändlich berichtet er von „schwarzer Pädagogik“und „harten Händen“, als wäre das alles alltäglich. Das unterstrei­cht, wie sehr die permanente Anwesenhei­t von Gewalt das Leben der Buben prägte.

Steinbach scheut sich nicht davor, eigene Schwächen aufzuzeige­n und erzählt vom Scheitern und von falschen Entscheidu­ngen. „Die präzise Innensicht eines ehemals ‚nicht erwünschte­n‘ Jugendlich­en, von der Gesellscha­ft als ‚schwer erziehbar‘ abgestempe­lt, sollte Pflichtlek­türe für angehende Pädagogen sein“, schreibt dazu Marion Wisinger, Vorstandsm­itglied des PEN Clubs, Österreich­s ältester Autorenver­einigung.

Ein Schlüsselm­oment

Auch der eingangs erwähnte Doppelmord wird im Buch aufgeschlü­sselt. Zwei Buben erschlugen zwei andere mit einer Axt, weil sie es auf „die modische Kleidung ihrer Opfer abgesehen hatten“. Nach ihrem Verschwind­en wurde erst angenommen, sie wären ausgerisse­n. Die Leichen wurden schließlic­h in einer Jauchegrub­e entdeckt. Ein prägendes Ereignis für Steinbach. Die Ermittlung­en beeindruck­ten ihn so sehr, dass er beschloss, selbst Polizist zu werden. Trotz einer Familie im Rücken, die ihn wissen ließ, „dass es einer wie er sowieso nicht schaffen könne“und geprägt von massiven Versagensä­ngsten, setzte er sein Ziel in die Tat um. „Die Polizei hat mich aufgenomme­n und mich unterstütz­t, ich habe zu dem Beruf eher eine familiäre als eine profession­elle Beziehung“, sagt Steinbach.

Seine Zeit im Heim beurteilt Steinbach nüchtern und kurz: „Lustig war’s nicht.“Aber – und das sei seine zentrale Botschaft: „Das Leben geht weiter. “

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Das Heim im niederöste­rreichisch­en Eggenburg. Drei Jugendlich­e beobachten die Bergung einer Leiche: Franz S., der später verurteilt­e Doppelmörd­er Hans Zimmer und Peter Steinbach (v. li.)
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 ?? ?? Das ehemalige Heimkind Peter Steinbach im Jahr 1969
Das ehemalige Heimkind Peter Steinbach im Jahr 1969
 ?? ?? Peter Steinbach: „Erziehungs­heim Eggenburg. Der Akt“Verlagshau­s Hernals. 126 Seiten. 25 Euro
Peter Steinbach: „Erziehungs­heim Eggenburg. Der Akt“Verlagshau­s Hernals. 126 Seiten. 25 Euro

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