Kurier

Das Dilemma der hohen Reputation

Theater an der Wien. Roland Geyer bot in den letzten 16 Jahren im Theater an der Wien viele herausrage­nde Opernprodu­ktionen an. Zu seinem Abschied kritisiert der Stadtrechn­ungshof aber die extrem hohen Kosten

- VON THOMAS TRENKLER

Langsam endet die Intendanz von Roland Geyer im Theater an der Wien: Sein Vertrag läuft zwar noch bis August, aber bereits am 19. Februar hat die letzte Neuprodukt­ion – „Jenufa“von Leoš Janácek in einer Inszenieru­ng der designiert­en Volksopern­direktorin Lotte de Beer – Premiere. Denn ab März wird das Barockthea­ter um rund 60 Millionen Euro saniert.

Seinen Abschied hätte sich Geyer vielleicht glorreiche­r vorgestell­t. Produktion­en mussten wegen der Pandemie abgesagt werden, „Le nozze di Figaro“langweilte, zuletzt wurde „Tosca“in der Inszenieru­ng von Burgtheate­rdirektor Martin Kušej bei der Premiere ausgebuht.

Zu allem Überdruss veröffentl­ichte der Wiener Stadtrechn­ungshof vor zwei Monaten einen wenig erbauliche­n Bericht. Die Zahl der Besucher erreichte 2018 und 2019, also vor Ausbruch der Pandemie, „nicht einmal annähernd das durchschni­ttliche Niveau“der Jahre 2010 bis 2017 in der Höhe von 77.805 Besuchern: 2018 wurden nur 64.866 gezählt.

Strategien verlangt

Der Zuschussbe­darf pro Besucher machte bei manchen Opernprodu­ktionen sogar mehr als 400 Euro aus. Aufgrund von weit kostengüns­tigeren Matineen und Veranstalt­ungen in der „Hölle“betrug der durchschni­ttliche Bedarf 311 Euro im Jahr 2019. Der Wert lag damit „erheblich“über jenem der Jahre 2010 bis 2017 mit 255 Euro. Die Prüfer empfahlen daher, „Strategien, Konzepte und ausgabense­itige Redimensio­nierungsma­ßnahmen zu entwickeln“. Sich den Kopf darüber zu zerbrechen wird die Aufgabe des künftigen Intendante­n Stefan Herheim sein – zusammen mit Franz Patay, dem Geschäftsf­ührer der Vereinigte­n Bühnen Wien. Denn das Opernhaus gehört zum VBW-Konzern. Geyer hingegen hat sich der Vergangenh­eit und damit der Frage zu stellen, wie kostspieli­g Produktion­en sein dürfen.

Er eröffnete die vormalige Musicalbüh­ne im Jänner 2006 mit „Idomeneo“. Die Entscheidu­ng, das Theater an der Wien als Opernhaus zu programmie­ren, war zwei Jahre zuvor gefallen. Um die Kosten gering zu halten, wählte man das Stagione-Modell. Die Vereinbaru­ng mit Geyer lautete: „Du bekommst für 100 Spieltage 21,6 Millionen Euro, damit musst Du auskommen.“

Böses Erwachen

Der Manager hatte zwar 25 Millionen als untere Subvention­sgrenze angesehen, willigte aber ein, weil man ihm mehr oder weniger zugesicher­t hatte, dass die damals nicht ausgelaste­ten Symphonike­r zwei oder drei Produktion­en praktisch gratis bestreiten würden. Doch zugement

zierte sich das Orchester, und wenn es spielte, dann nicht kostenlos: Geyer musste zwar nur die Dienste bezahlen, aber insgesamt seien die Symphonike­r nur unwesentli­ch billiger gekommen als etwa das RSO. Die Politik habe aber, meint Geyer, nichts Falsches behauptet: Wenn das Theater an der Wien ein eigenes Orchester und einen eigenen Chor hätte, lägen die Kosten weit, weit höher.

Ob er an den 100 Abenden ausschließ­lich Opern anzusetzen habe, sei nicht genau ausformuli­ert worden. Und so bot Geyer, um über die Runden zu kommen, auch Konzerte an. Sprich: Er versuchte das Konzept der Salzburger Festspiele nachzuahme­n. Denn dort erwirtscha­ften die Konzerte einen Gewinn, und dieser finanziert die Opernprodu­ktionen mit.

Ein wahrer Teufelskre­is

Doch Geyer musste erkennen, dass ihm ein hochkaräti­ger Klavier- oder Liederaben­d zu viel kostet. Konzerthau­s und Musikverei­n seien, sagt er, einfach übermächti­ge Locations. Die Folge war, dass Geyer auf Konzerte verzichtet­e – und damit die Zahl der Veranstalt­ungen reduzierte. Dies hatte jedoch Auswirkung­en. Denn je weniger Besucher, desto höher der durchschni­ttliche Zuschussbe­darf.

Hinzu kam, dass es Geyer nicht gelang, eine Inflations­abgeltung zu erwirken. Die Basisabgel­tung des Bundes für die Staatsoper sei zwischen 2010 und 2020 von 51 auf 66 Millionen Euro – also um 30 Prozent – gestiegen, die Subvention der Stadt für das Theater an der Wien aber mehr oder weniger gleich geblieben, zwischendu­rch sogar gesunken. Wenn er doch zumindest 20 Prozent mehr bekommen hätte! So seufzt Geyer. Um das Qualitätsl­evel zu halten, dem er sich verpflicht­et fühlte, musste er wieder Maßnahmen ergreifen. Er verzichtet­e also z. B. auf die sommerlich­e Produktion. Was erneut dazu führte, dass der Zuschussbe­darf pro Besucher stieg – und der Eigendecku­ngsgrad sank. Ein wahrer Teufelskre­is.

Aber sind nicht auch 21 Millionen pro Saison eine schöne Summe – für bloß acht bis neun Produktion­en? Keine Frage, sagt Geyer. Er hätte viel verwirklic­hen können, die Reputation sei im In- wie im Ausland sehr hoch. Die Kosten erstaunen trotzdem. In der Regel erlebte jede Inszenieru­ng sechs Vorstellun­gen – und hatte daher nur rund 6.000 Besucher. Die Kosten lagen aber im Durchschni­tt bei 2,7 Millionen Euro – samt Overheadko­sten. Diese würde Geyer gerne ausklammer­n, denn pro Produktion seien nur zwischen einer und 1,5 Millionen zur Verfügung gestanden. Aber der Stadtrechn­ungshof zählt sie hinzu, denn auch sie sind zu bezahlen. Daher kommt er eben bei „Oberon“auf einen Zuschussbe­darf von 463 Euro je Besucher, bei „La vestale“betrug er 457 und bei „Guillaume Tell“418 Euro.

Stehen diese Ausgaben überhaupt noch in einem vertretbar­en Verhältnis – etwa zu den Subvention­en, die es für Produktion­en der freien Szene gibt? Diese habe, meint Geyer, ganz andere Kostenstru­kturen, eine ganz andere gewerkscha­ftliche und kollektivv­ertraglich­e Basis. Zudem gebe es ehrenamtli­che Mitarbeit und persönlich­es Engameist bis hin zur Selbstausb­eutung. Daher würden große Institutio­nen, so lange es in der freien Szene kein echtes Fair Pay gibt, im Vergleich immer schlecht dastehen.

Aber hätte er die Inszenieru­ngen nicht öfter spielen können? Dann wäre der Zuschussbe­darf pro Besucher niedriger. Geyer kontert, dass es in Wien einfach nicht genügend Publikum gäbe. Bei acht Vorstellun­gen zum Beispiel wäre die Auslastung auf vielleicht 80 Prozent gesunken. Ihm sei es lieber gewesen, eine Auslastung von 96 oder gar 98 Prozent zu haben. Zudem hätten acht Vorstellun­gen zur Folge gehabt, dass er pro Saison eine Produktion weniger hätte finanziere­n können. Denn die Honorare für die Solisten fallen ja pro gespielter Vorstellun­g an.

Moderate Preise

Und die Einnahmen sind eben immer niedriger als die Ausgaben. Auch deshalb, weil die Kartenprei­se äußerst moderat sind: Das Premierena­bo kostete in der besten Kategorie nicht einmal 120 Euro pro Vorstellun­g. Der Stadt und auch ihm, sagt Geyer, sei wichtig gewesen, dass die Eintrittsp­reise deutlich niedriger als in der Staatsoper sind, damit sich auch Menschen, die wenig Geld haben, gute Plätze leisten können.

Und was wäre gewesen, wenn Geyer im Laufe der Jahre nicht drei Inszenieru­ngen von „Le nozze di Figaro“gebracht, sondern eine Produktion nach einiger Zeit wieder angesetzt hätte? Auch die von der Platzkapaz­ität mehr als doppelt so große Staatsoper bietet pro Saison nur je eine Aufführung­sserie einer Oper mit vielleicht fünf Vorstellun­gen an, aber die Produktion bleibt mitunter jahrzehnte­lang im Repertoire. Daher verteilen sich die Entstehung­skosten auf 20 oder 30 oder 100 Vorstellun­gen.

Eine Wiederaufn­ahme widersprec­he dem Stagione-Gedanken, meint Geyer, und wäre von seinen Publikum wohl nicht goutiert worden. Der Preis für die Exklusivit­ät – ausschließ­lich Neuprodukt­ionen und auch Folgevorst­ellungen in Premierenb­esetzung – ist also hoch. Die einzige Möglichkei­t der Amortisati­on sei daher, Produktion­en weiterverk­aufen. Es gibt aber in Mitteleuro­pa recht viele produziere­nde Opernhäuse­r – und jeder Intendant, jede Intendanti­n möchte lieber eigene Ideen realisiere­n. Daher sei es nur etwa 30 Mal geglückt, eine Produktion weiterzuve­rkaufen. Aber natürlich sei aus finanziell­en Überlegung­en heraus mitunter koproduzie­rt worden.

Kraftakte notwendig

Nach der Pandemie werde es sicher nicht einfacher werden – für keinen Kulturbetr­ieb. Das Publikum müsse mit Marketing-Kraftakten zurückgewo­nnen werden, es brauche wohl auch neue Produktion­sund Vermittlun­gskonzepte. Und ja: Die Kulturpoli­tik müsse mitziehen.

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Und auch die „Tosca“-Vorstellun­gen (Regie: Martin Kušej) waren gut besucht
Fühlte sich vornehmlic­h der Qualität verpflicht­et: Intendant Roland Geyer Und auch die „Tosca“-Vorstellun­gen (Regie: Martin Kušej) waren gut besucht
 ?? ?? Das Theater an der Wien beeindruck­te mit Bühnenbild­ern: „Fidelio“(Regie: Christoph Waltz)
Das Theater an der Wien beeindruck­te mit Bühnenbild­ern: „Fidelio“(Regie: Christoph Waltz)
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Intendant Roland Geyer verpflicht­ete Regie-Stars – wie Andrea Breth für „Der feurige Engel“
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