BlickFanggründe
Was mich an Vera Russwurm stört, ist, dass sie ein Jahr älter ist als ich, aber mindestens acht Jahre jünger aussieht. Trotzdem habe ich die Einladung in ihre Talkshow angenommen.
Fazit: Keine unangenehmen Fragen, und Frau Russwurm lächelt immer. Es ging, wie gewöhnlich im Februar in meinem Leben, um den Opernball. Gemeinsam mit meinem Kammerl-Insassen Mag. WagnerTrenkwitz, durften wir über Vergangenheit, nicht vorhandene Gegenwart und die Zukunft des Opernballes referieren. So wollte Frau Russwurm wissen, was sich denn im Laufe der Jahrzehnte verändert hätte. Gewöhnlich antworten wir gerne mit einem schnoddrigen „Gar nix“. Diesmal aber entsann ich mich, dass man seinerzeit in verschiedenen Formaten, die den Opernball dokumentierten, eine andere Kameraführung bevorzugte. Genauer gesagt: Wurde damals ein Kameramann beim Überfliegen der Ballbesucherinnen von einem einladend ausladendem Dekolleté überrascht, konnte es passieren, dass man zuerst eine Totale des Ballsaals sah und das Bild dann langsam, aber sicher gnadenlos auf jenes Dekolleté zufuhr, um dort ein wenig lüstern zu verharren. Dies wäre heute undenkbar und würde zu einem Sturm der Entrüstung führen.
Was ist in diesen 30 Jahren geschehen? Vielleicht sind wir sensibler geworden, was die Werbung anbelangt. Seinerzeit war ein tiefer Ausschnitt auch ein Signal für tiefe Blicke, heute ist ein tiefer Ausschnitt auch ein Signal für tiefe Blicke, aber das Hinschauen ist verpönt und kann sogar als sexistischer Seitenblick enttarnt werden. Man könnte fragen, wozu dann ein Dekolleté, tut es aber nicht.
Was diese Problemstellung anbelangt, tat man sich in Italien wesentlich leichter als auf dem Opernball. Während einer Privataudienz bei Papst Paul VI. sorgte eine Dame mit Dekolleté für Aufregung, was auch dem heiligen Vater nicht verborgen blieb. Später darauf angesprochen, meinte er: „Wann immer eine Dame mit Dekolleté an mir vorbeigeht, schauen alle mich an und niemand die Dame mit dem Ausschnitt.“
Der Unterschied zwischen Vatikan und Opernball liegt, wie so oft im Leben, einzig und alleine an der Betrachtungsweise.