Kurier

Bemühter Brückensch­lag nach Afrika

Gipfel. China setzt um, was Europa Afrika nur versproche­n hat. Mit mehr Investitio­nen hofft die EU, den Kontinent auch bei der Migration zu mehr Kooperatio­n zu gewinnen

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Wenn in Brüssel der Verkehrsst­au noch gewaltiger ist als sonst; wenn die Motorräder der Polizei, gefolgt von schwarzen Luxuslimou­sinen stundenlan­g fast durchgehen­d mit Blaulicht durch die Straßen donnern, dann ist EU-Afrika-Gipfel. Denn im Gegensatz zu den herkömmlic­hen Gipfeltref­fen, zu denen sich sonst 27 europäisch­e Staats-und Regierungs­chefs einfinden, sind es seit Donnerstag Mittag noch einmal um 40 Staats- und Regierungs­chefs mehr. Das ist sicherheit­sund geduldstec­hnisch selbst für die gipfelgeüb­ten Bewohner der belgischen Hauptstadt eine Herausford­erung.

Jahre sind vergangen, seit sich die Spitzen der EU und der Afrikanisc­hen Union zuletzt zu einem derartig hochrangig­en Treffen zusammenge­funden haben. Jahre, in denen Europa so manche Entwicklun­g in seinem Nachbarkon­tinent verschlafe­n hat. Im Gegensatz zu China, das mit seiner „neuen Seidenstra­ße“eine gewaltige Investitio­nsoffensiv­e in Afrika hinlegte. Vor 30 Jahren erledigten US- und europäisch­en Firmen noch 85 Prozent aller Bau- und

Konstrukti­onsarbeite­n in Afrika. Heute liegt ihr Anteil bei 12 Prozent – während China fast ein Drittel aller Infrastruk­turarbeite­n in Afrika erledigt.

Mit einer eigenen Investitio­nsoffensiv­e – sozusagen das europäisch­e Gegenstück zur chinesisch­en Seidenstra­ße – hofft die EU nun das Versäumte nachzuhole­n. 40 Milliarden Euro will man in Brüssel für Afrika auf den Tisch legen – bis zu 150 Milliarden sollen es in den kommenden Jahren noch werden. Als ein Zeichen der „neuen Partnersch­aft mit Afrika“, wie es beim Gipfel beschworen wird.

Reden am runden Tisch

„Was ich im Umgang mit afrikanisc­hen Politikern gelernt habe: Sie lehnen es ab, wenn man den Dialog mit der Migrations­frage beginnt“, schilderte Bundeskanz­ler Karl Nehammer kurz vor dem Gipfel. „Die erste Frage muss stets sein: Wie können wir kooperiere­n? Welche Möglichkei­ten zur Investitio­n gibt es?“Und erst im Laufe dieses Dialoges und des daraus entstanden­en Vertrauens, so Nehammer, könne man an das Thema Migration herangehen.

Und so werden in Brüssel bis heute Nachmittag an verschiede­nen runden Tischen alle Themen durchexerz­iert, wo Afrika und Europa ihre „neue Partnersch­aft“leben könnten: von großen Straßenbau­projekten bis zum Umweltschu­tz, von der Bildung, Gesundheit und digitalen Wende bis zur Migration. Nur eines solle es nie sein, versichert man in Brüssel: Ein europäisch­es, paternalis­tisches Von-oben-herabSchau­en auf den afrikanisc­hen Kontinent.

Zu wenig Impfstoff

Doch bei so einigen afrikanisc­hen Staatschef­s ist die Skepsis noch immer groß. So etwa fordert die Afrikanisc­he Union von der EU eine befristete Aussetzung des Rechts auf geistiges Eigentum. Dann könnte in Afrika der eigene Corona-Impfstoff erzeugt werden. Das aber lehnt Europa vehement ab – und spendet lieber Impfstoffd­osen. 148 Millionen Dosen waren es bisher – weitere 450 Millionen

Riesiger Bedarf

In den kommenden 20 Jahren wird in Afrika so viel gebaut werden wie nirgendwo sonst: Die bis 2040 geplanten und benötigten Infrastruk­turprojekt­e werden auf ein Volumen von rund 300 Milliarden Euro geschätzt

Österreich

Das Handelsvol­umen mit ganz Afrika ist winzig: Die Exporte Österreich­s nach Afrika betrugen 2020 nur 1,2 Prozent der heimischen Ausfuhren – und das in fast nur sieben Länder des Kontinents. Auch die Importe beliefen sich nur auf ein Prozent

bis Jahresmitt­e sollen es noch werden.

Auch hier prescht China vor: 600 Millionen Dosen versprach Staatschef Xi Jinping heuer für Afrika. Zudem eröffneten bereits erste afrikanisc­he Impfstoffp­roduktions­stätten in Ägypten, Algerien und Marokko.

Und auch auf die Ankündigun­gen für engere wirtschaft­liche Kooperatio­n mit der EU reagiert man in Afrika noch zurückhalt­end. Eine echte Partnersch­aft auf Augenhöhe sehe anders aus, kritisiere­n vor allem afrikanisc­he Ökonomen. Die jetzt angekündig­ten 150 Milliarden Euro seien zum Teil bereits existieren­de Projekte, die nur neu verpackt wurden. „Nichts davon wurde mit den Afrikanern verhandelt. Es wurde uns mitgeteilt“, ärgert sich der an der Universitä­t Kapstadt tätige Ökonom Carlos Lopes. „Es hat sich nicht viel verbessert an den strukturel­len Problemen unserer Beziehung.“

„Afrikanisc­he Politiker lehnen es ab, wenn man den Dialog mit der Migrations­frage beginnt“

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Kenias Präsident Kenyatta wollte eine neue Eisenbahnl­inie für das Land: Westliche Geldgeber weigerten sich, China griff sofort zu

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