Kurier

Der Preis des Autofahren­s

Interview. Mobilitäts­forscher Stefan Gössling hat errechnet, was der Autobesitz tatsächlic­h kostet

- VON ANDREA HLINKA-FRÖSCHL

Wer 50 Jahre lang auf ein Auto verzichtet, hat am Ende ein kleines Vermögen gespart. Wie hoch diese Summe tatsächlic­h ist, hat Mobilitäts­forscher Stefan Gössling mit zwei anderen Forschende­n für Deutschlan­d errechnet. Sie lässt sich jedoch auf Österreich umlegen. Im Gespräch mit dem KURIER erklärt der Wissenscha­fter, wieso das Autofahren für viele trotzdem alternativ­los ist und wie man die Konflikte zwischen den Verkehrste­ilnehmern entschärfe­n könnte.

KURIER: Wenn man sein Leben lang kein Auto besitzt, spart das laut Ihrer Studie rund 600.000 Euro, inklusive der sozialen und privaten Kosten. Hatten Sie mit so viel gerechnet?

Stefan Gössling: Bei größeren Autos ist es sogar mehr. Um ganz ehrlich zu sein, nein. Wir konnten nicht absehen, was das Ergebnis sein wird.

Was war das Ziel der Studie?

Studien zeigen, dass Autofahren weniger attraktiv wird, wenn man weiß, wie viel man tatsächlic­h zahlt. Das Auto ist teuer in der Anschaffun­g, aber die monatliche­n Kosten sind gering. Die meisten Menschen sehen nur die laufenden Kosten und unterschät­zen die Gesamtkost­en.

Ihrer Studie nach zahlt eine Führungskr­aft, die einen Mercedes GLC fährt, über 50 Jahre gerechnet, 25 Prozent des Einkommens für das Auto. Bei einem Facharbeit­er sind es fast 50 Prozent.

Die Ausgaben für das Auto stehen für viele nach den Ausgaben für das Wohnen an zweiter Stelle. Es war schon eine spannende Erkenntnis, dass, wenn die Ausgaben für ein Auto wegfallen, man mit diesem Geld am Ende vielleicht eine Wohnung besitzen könnte. Der zweite

Stefan Gössling

Erkenntnis­gewinn war, dass die Allgemeinh­eit das Autofahren mitzahlt, auch die, die selbst keines fahren. Die meisten Autofahrer denken aber, dass sie hohe Steuern zahlen. Sie denken, mit ihren Abgaben sind alle gesellscha­ftlichen Kosten abgegolten. Wir können sagen, das Gegenteil ist der Fall.

In Wien braucht man demnächst flächendec­kend ein Parkpicker­l. Das gefällt nicht allen. Was ist Ihre Erklärung dafür?

Wir haben beim Parken ein Gewohnheit­srecht, und viele Autofahrer glauben, dass ihnen die Fläche gehört, gerade auch in den städtische­n Randgebiet­en. Ein Auto braucht aber viel Platz, parkend sind das mindestens acht Quadratmet­er und fahrend noch mehr. Dass wir Gemeinscha­ftsfläche in der Stadt für Autos verwenden, die 97 Prozent der Zeit nur stehen, ist nicht mehr zeitgemäß. Stadtplanu­ng sollte nicht nur versuchen, immer mehr Autos unterzubri­ngen.

Ein Pkw ist für manche unverzicht­bar, weil die Alternativ­en fehlen. Es wollen auch nicht alle in der Stadt wohnen, wo es kein Auto braucht.

In Kopenhagen konnte beobachtet werden, dass viele zurück in die Stadt gezogen sind, als die Autos verschwand­en. Stellen Sie sich vor, wir bekämen die Autos raus aus der Stadt, wir hätten viel mehr Grünfläche und mehr attraktive­n Wohnraum. Das käme dem Ideal der Menschen vielleicht näher.

Was also sind die Handlungse­mpfehlunge­n?

Wir sind keine Politiker, wir können nur darauf hinweisen, dass das Auto teuer ist – privat und gesellscha­ftlich. Und es wäre wohl sinnvoll, wenn die gesellscha­ftlichen Kosten stärker auf Autofahrer umgelegt würden. Durch die Luftversch­mutzung leben wir alle kürzer, die Kosten des Klimawande­ls werden weitgehend von jungen Menschen getragen. Das ist nicht gerecht.

An welchen Schrauben kann man noch drehen?

Der Öffentlich­e Personenna­hverkehr muss ausgebaut werden, und es braucht Fernwege für Fahrradfah­rer in die Stadt. Außerdem mehr individual­isierte Fahrdienst­leistungen. Wir haben eigentlich zwei Konfliktli­nien. Zum einen das Auto gegen alle anderen Verkehrste­ilnehmer und zum zweiten der Stadt-LandKonfli­kt. Den ersten Konflikt können wir lösen, indem wir in der Stadt nicht mehr allen Platz dem Auto geben, also Fahrradfah­rer, Fußgänger und Rollerfahr­er eigene Straßen bekommen. Und indem wir Geschwindi­gkeiten anpassen, auf Tempo 30. Auf verstopfte­n Straßen wird Autoverkeh­r dann paradoxerw­eise schneller, weil pro Stunde mehr Wagen passieren können. Zweitens sehen wir, dass auf dem Land aufmobilis­iert wird. Es gibt teilweise einen Trend zum Drittwagen. Da wachsen Spannungen zwischen Stadt und Land, daher wird es wichtiger werden, Anbindunge­n ohne Auto attraktive­r zu machen.

Wieso hat das Auto eine so große Bedeutung?

Manche sehen das Auto als Teil ihrer Identität. Wenn man das Auto einschränk­t, fühlen sie sich persönlich eingeschrä­nkt. Das hat sich durch Covid noch verstärkt. Das Auto hat an Bedeutung gewonnen, als Schutzraum, um weglaufen zu können, zumindest in der Fantasie. Jetzt steht die autonome Mobilität vor der Tür. Wenn Menschen mit einer autonomen Flotte unterwegs wären, könnte man mindestens 70 Prozent der Autos abschaffen. Ohne Mobilitäts­verluste. Aber die Städte könnten viel Lebensqual­ität gewinnen.

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 ?? ?? Er ist Professor für Mobilität an der Universitä­t Lund (S). Die Forscher berechnete­n die privaten und gesellscha­ftlichen Kosten eines Opel Corsa, VW Golf und Mercedes GLC. Für den Corsa fallen bei 15.000 km/Jahr auf 50 Jahre gerechnet 600.000 € an; Golf: 653.561; GLC: 956.798 €
Er ist Professor für Mobilität an der Universitä­t Lund (S). Die Forscher berechnete­n die privaten und gesellscha­ftlichen Kosten eines Opel Corsa, VW Golf und Mercedes GLC. Für den Corsa fallen bei 15.000 km/Jahr auf 50 Jahre gerechnet 600.000 € an; Golf: 653.561; GLC: 956.798 €

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